Die Vorbehaltsaufgaben geben Pflegefachpersonen mehr Verantwortung und Autonomie. Wir erklären die neuen Rechte und Pflichten, die für eine qualitativ hochwertige Pflege unerlässlich sind.

von Annemarie Fajardo (RN, MSc, PhD stud., Vize-Präsidentin des Deutschen Pflegerates, Literatur bei der Verfasserin)

Annemarie Fajardo - Foto: Gudrun Arndt

Annemarie Fajardo – Foto: Gudrun Arndt

Die Pflegefachpersonen verfügen seit dem 1.1.2020 erstmals über eigene Vorbehaltsaufga-ben, die im § 4 Abs. 2 PflBG (Pflegeberufegesetz) geregelt sind. Diese Aufgaben beschreiben in erster Linie Tätigkeiten, die ausschließlich von Pflegefachpersonen ausgeübt werden dür-fen.

Zu diesen Aufgaben gehören…

  • die Erhebung und Feststellung des individuellen Pflegebedarfs,
  • die Organisation, Gestaltung und Steuerung des Pflegeprozesses sowie
  • die Analyse, Evaluation, Sicherung und Entwicklung der Qualität der Pflege.

Neben diesen Aufgaben werden noch weitere Aufgaben genannt, die gem. § 5 Abs. 3 Nr. 1 PflBG im Sinne der selbstständigen Ausübung des Pflegeberufes während der Ausbil-dung vermittelt werden. Dazu zählen u. a. Durchführung der Pflege und Dokumentation der angewendeten Maßnahmen, Bedarfserhebung und Durchführung präventiver und gesund-heitsfördernder Maßnahmen oder etwa Beratung, Anleitung und Unterstützung von zu pfle-genden Menschen bei der individuellen Auseinandersetzung mit Gesundheit und Krankheit sowie bei der Erhaltung und Stärkung der eigenständigen Lebensführung und Alltagskompe-tenz unter Einbeziehung ihrer sozialen Bezugspersonen.

Das Besondere daran ist, dass die Berufsgruppe der Ärzte keinerlei Rechte hat, diese Aufga-ben zu verordnen oder vorzugeben. Gleichzeitig besteht für die Tätigkeiten des Pflegeberufes nach wie vor eine große Abhängigkeit vom Arztvorbehalt gem. § 15 und § 28 SGB V. Das be-deutet, dass viele weitere Tätigkeiten durchaus dem Arztvorbehalt untergeordnet werden müssen. Deutlich wird diese Abhängigkeit entlang des § 5 Abs. 3 Nr. 2 PflBG mit der Vorgabe, dass „ärztlich angeordnete Maßnahmen eigenständig durchzuführen [sind], insbesondere Maßnahmen der medizinischen Diagnostik, Therapie oder Rehabilitation“. Für die Durchfüh-rung der Vorbehaltsaufgaben durch Pflegefachpersonen ist es daher sinnvoll, dass in regel-mäßigen Abständen die Abgrenzung von den ärztlich angeordneten Maßnahmen überprüft wird, wenn sie z. B. von den eigentlichen pflegefachlichen Tätigkeiten gem. § 5 Abs. 2 PflBG vollständig wegführen.

Einführung der Personalbemessung nach § 113 c SGB XI

Vor dem Hintergrund der Einführung der Personalbemessung nach § 113 c SGB XI zum 1.7.2023 erhalten die Vorbehaltsaufgaben eine zusätzliche Relevanz. In erster Linie stellt die Personalbemessung für vollstationäre Pflegeeinrichtungen eine rechtliche Argumentations-grundlage dar, um Stellenanteile für Hilfskraftpersonal ohne Ausbildung, für Hilfskraftperso-nal mit landesrechtlich geregelter Helfer- oder Assistenzausbildung in der Pflege mit einer Ausbildungsdauer von mindestens einem Jahr und für Fachkraftpersonal im Zuge der Pflege-satzvereinbarungen angemessen zu verhandeln. Relevant werden die Vorbehaltsaufgaben insbesondere bei der Verhandlung von Stellenanteilen für das Fachkraftpersonal.

Ausgehend von den Personalanhaltswerten gem. § 113 c Abs. 1 Nr. 3 SGB XI müssen die Vorbehaltsauf-gaben zusätzlich in Betracht gezogen werden, da die vorgegebenen Vollzeitäquivalenten keine Standardisierung der Vorbehaltsaufgaben beinhalten. Der Abschlussbericht des SOCIUM For-schungszentrums Ungleichheit und Sozialpolitik zur Personalbemessung (Rothgang et al., 2020) gibt Hinweise dazu, dass die vorbehaltenen Tätigkeiten der Pflegefachpersonen keine Tätigkeiten sind, die vom Büro aus gesteuert werden, sondern an den Tätigkeiten der Durch-führung der Pflege beim zu pflegenden Menschen unmittelbar angeknüpft werden.

Offen geblieben ist in dieser Studie, welche Bedeutung in Bezug auf konkrete Interventions-erbringungen den Pflegenden mit höheren Qualifikationsabschlüssen zugeordnet und auch vorbehalten werden können. Daraus lässt sich folgern, dass die Pflegefachpersonen mit ei-nem Bachelorabschluss Interventionen leisten, die in den Personalanhaltswerten nach § 113 c SGB XI nicht berücksichtigt sind. Vollstationäre Pflegeeinrichtungen müssten demnach prü-fen, inwieweit diese Pflegeinterventionen definiert und in den Pflegesatzverhandlungen be-rücksichtigt werden können.

Neue Vorbehaltsaufgaben mit Pflegestudium

Das Pflegeberufegesetz regelt neben den Vorbehaltsaufgaben auch die neuen generalisti-schen Berufsabschlüsse. In Teil 2 des Pflegeberufegesetzes ist zum einen die berufliche Aus-bildung in der Pflege geregelt und in Teil 3 ist zum anderen die hochschulische Pflegeausbil-dung geregelt. Die Vorbehaltsaufgaben, die im Zusammenhang mit dem Pflegestudium ste-hen, verdeutlichen eine Fokussierung auf wissenschaftliche Grundlagen und Methoden.

Der Wissenserwerb zielt grundsätzlich darauf ab, hochkomplexe Pflegeprozesse auf der Grundla-ge wissenschaftsbasierter oder wissenschaftsorientierter Entscheidungen zu steuern und zu gestalten. Damit unterscheidet sich das Pflegestudium deutlich vom Wissenserwerb durch die berufliche Ausbildung in Teil 2 des Pflegeberufegesetzes.

Weiterhin wird gem. § 37 Abs. 3 PflBG deutlich, dass die hochschulische Ausbildung dazu befähigt, vertieftes Wissen über Grundlagen der Pflegewissenschaft, des gesellschaftlich-institutionellen Rahmens des pflege-rischen Handelns sowie des normativ-institutionellen Systems der Versorgung anzuwenden und die Weiterentwicklung der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung dadurch maß-geblich mitzugestalten.

Hinzu kommen noch Tätigkeiten im Bereich der Forschung oder auch neuerer Technologien sowie die Entwicklung von Qualitätsmanagementkonzepten, Leitlinien und Expertenstandards. Pflegefachpersonen mit einem Bachelorabschluss werden mit diesen Lerninhalten für die unmittelbare Tätigkeit an zu pflegenden Menschen aller Altersstufen befähigt und sind damit für die Versorgung in hochkomplexen Pflegesituationen prädesti-niert.

Anpassung der Arbeitsprozesse der Pflegefachpersonen

Unter Betrachtung dieser Aufgaben im Zusammenhang mit den neuen Berufsabschlüssen sind Leitungspersonen in der stationären Altenhilfe gefragt, gemeinsam mit den Pflegefach-personen die Arbeitsprozesse zu analysieren und im Hinblick auf die Vorbehaltsaufgaben zu konkretisieren. Die Pflegefachpersonen können sich z. B. pro Wohnbereich bzw. pro Bewoh-nergruppe dergestalt organisieren, dass sie sowohl bei der Neuaufnahme eines Bewohners/ einer Bewohnerin oder etwa auch bei der Beantragung einer Höherstufung zunächst den Pflegebedarf erheben, so dass anschließend der Pflegeprozess von der zuständigen Pflege-fachperson organisiert und gesteuert werden kann. Die Zuständigkeiten der Pflegefachperso-nen sollten pro Wohnbereich definiert werden. Zu klären ist dabei, in welchen zeitlichen Ab-ständen die Bedarfserhebung erfolgen sollte, z. B. bei Bewohnenden, die bereits seit vielen Jahren in der Pflegeeinrichtung leben, potentielle Veränderungen beim Pflegebedarf jedoch nicht sichtbar geworden sind.

Diese Tätigkeiten sollten anschließend mit Minutenwerten pro Bewohner/Bewohnerin hinterlegt werden, um den zusätzlichen Stellenbedarf beim Fach-kraftpersonal zu ermitteln und in die nächsten Pflegesatzverhandlungen einzubringen. Für die hochkomplexen Pflegesituationen sollten ebenfalls Minutenwerte ermittelt werden, um die konkrete Ermittlung der Stellenanteile von Pflegefachpersonen mit Bachelorabschluss sicher-zustellen.

Erweiterung der Kompetenzen des Pflegeberufes

Interessant erscheint in diesem Zusammenhang die Ankündigung zum Pflegekompetenzge-setz durch das Bundesgesundheitsministerium am 19.12.2023 (BMG, 2023). In einem Eck-punktepapier zum geplanten Pflegekompetenzgesetz werden sowohl die Vorbehaltsaufgaben wie auch die Kompetenzen durch das Pflegestudium hervorgehoben. So soll z. B. ein pflege-gradunabhängiger Anspruch auf Pflegeprozesssteuerung durch Pflegefachpersonen ein-schließlich eines pflegerischen Erstgesprächs geschaffen werden.

Weiterhin ist ein Modell-projekt geplant, um zu prüfen, inwieweit die Feststellung der Pflegebedürftigkeit durch Pfle-gefachpersonen im Rahmen der pflegerischen Versorgung möglich wäre. Für Pflegefachper-sonen mit APN-Master-Abschluss soll außerdem geprüft werden, inwieweit diese u. a. Hilfs-mittel oder Arzneimittel verordnen dürfen.

Sollten diese Überlegungen tatsächlich in das neue Gesetz einfließen, könnten die Pflegefachpersonen in der Ausübung ihrer Vorbehalts-aufgaben einen größeren Gestaltungs- und Durchführungsrahmen erhalten, als dies bisher über das Personalbemessungsinstrument skizziert wird.

Vorbehaltsaufgaben in der Pflege:
Die Vorteile auf einen Blick

Symbol für die Unternehmensführung

  1. Definition und Bedeutung:
    Vorbehaltsaufgaben sind Tätigkeiten in der Pflege, die ausschließlich von qualifizierten Pflegefachkräften ausgeführt werden dürfen, um eine hohe Qualität der Patientenversorgung sicherzustellen.
  2. Sicherheit für Patienten:
    Durch die Festlegung von Vorbehaltsaufgaben wird die Patientensicherheit erhöht, da nur entsprechend ausgebildete Fachkräfte komplexe pflegerische Maßnahmen durchführen.
  3. Professionalisierung des Pflegeberufs:
    Vorbehaltsaufgaben tragen zur Professionalisierung und Anerkennung des Pflegeberufs bei, indem sie die spezifischen Kompetenzen und Verantwortungsbereiche von Pflegefachkräften hervorheben.
  4. Rechtliche Rahmenbedingungen:
    Die Festlegung von Vorbehaltsaufgaben ist gesetzlich geregelt und trägt dazu bei, die Aufgabenbereiche innerhalb des Gesundheitswesens klar zu definieren.
  5. Weiterbildung und Kompetenzentwicklung:
    Pflegefachkräfte müssen sich kontinuierlich weiterbilden, um die Berechtigung zur Ausführung von Vorbehaltsaufgaben zu erhalten und auf dem neuesten Stand der Pflegewissenschaft zu bleiben.

Der Artikel ist in der Ausgabe 01/2024 zu finden.

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