Reinhard Strüven, Experte im Bereich Fundraising, erklärt, wie durch gezielte Spendenkampagnen und das Erschließen neuer Finanzierungsquellen Pflegeeinrichtungen nachhaltig unterstützt werden können.

Immer noch schütteln manche den Kopf, gefragt, ob sie wüssten, was denn „Fundraising“ sei. Andere haben davon gehört und einige wenige sehen es als Chance und einen möglichen Ausweg aus dem steigendem Kostendruck im Gesundheitswesen. Dabei handelt es sich um einen Markt von beachtlicher Größe: Vorsichtigen Schätzungen zufolge spenden Stiftungen und Privatpersonen jährlich 1,5 bis bis 2 Milliarden Euro für Einrichtungen des Gesundheitswesens[1].

Zum Thema „Fundraising und Altenhilfe“ unterhielten wir uns mit Reinhard Strüven, 57. Er war 30 Jahre in der stationären Altenhilfe tätig, baute dort für einen örtlich tätigen Sozialverband das Fundraising mit auf und arbeitet heute als selbstständiger Fundraising-Berater.

Herr Strüven, wie schätzen Sie die Möglichkeiten von Fundraising in der Altenhilfe ein?

Reinhard Strüven

Unser Experte
Reinhard Strüven – Foto: Caroline Seidel

Nach meiner Einschätzung gibt es in diesem Bereich noch viel Potenzial. Fundraising hat in den letzten 20 Jahren in die Einrichtungen des Gesundheitswesens Einzug gehalten, aber es wird noch in vielen von diesen nicht systematisch, sondern eher sporadisch betrieben.

Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Vor allem am Fehlen personeller und finanzieller Ressourcen. Zuerst muss ja in die Strukturen einer Einrichtung oder eines Verbandes investiert werden. Es kann dauern, bis Investitionen sich rentieren und Spenden in nennenswerter Größe fließen. Und nicht jede einzelne Fundraising-Maßnahme oder Strategie muss am Ende erfolgreich sein.

Warum sollte dennoch in Fundraising investiert werden?

Weil Fundraising den Einrichtungen der stationären, teilstationären und ambulanten Altenhilfe viele Möglichkeiten bietet. Neben den finanziellen sind dies auch öffentlichkeitswirksame und einrichtungsinterne Aspekte. Ein ehrgeiziges Fundraising-Projekt ist keine Zauberei und kann, neben der finanziellen Zuwendung, zu einem besseren Miteinander und zu einer Stärkung des Wir-Gefühls in einer Einrichtung beitragen. Auch die Darstellung des Projekts nach außen kann positive Wirkungen entfalten.

Wie definiert sich „Fundraising“ eigentlich genau?

Fundraising hat auch, aber nicht nur mit Geld zu tun. Vielmehr fällt jede Mittelbeschaffung für den guten Zweck unter diese Definition[2]. Und das können neben Geld-, auch Sach- und Zeitspenden sein.

Doch natürlich geht es, wie sollte es anders sein, vor allem um Geld. Geld für teure Pflegehilfsmittel, welche die Krankenkassen nicht zahlen wollen und für deren Beschaffung Sie nach Alternativen zu einem langwierigen (Rechts-)Streit suchen. Geld für die Neugestaltung Ihres großen Gartens – und dann jemanden, der diesen ehrenamtlich pflegt. Geld für eine neue SAT-Anlage auf dem Dach. Geld für die mobile Kegelbahn, eigens von einer örtlichen Schreinerei angefertigt. Geld für die Klimatisierung Ihrer Zimmer, in denen es im Sommer unerträglich heiß wird. Geld für den mehrtätigen Bewohnerausflug, um die Taschengeldkonten Ihrer Bewohnerinnen und Bewohner zu schonen. Geld für die Umgestaltung eines karg wirkenden Wohnbereichs, in welchem sich überwiegend an Demenz Erkrankte aufhalten. Geld für einen Snoezelenraum, dessen Kosten das Budget für die Altenbetreuung sprengt. Geld für die Neugestaltung Ihres Kurzzeitpflegebereichs, damit Ihre Gäste dorthin gerne wiederkommen.

Wie sind Sie als gelernter Diplom-Sozialarbeiter zum Fundraising gekommen?

Ein kleiner Blick zurück: Vor zwanzig Jahren hatte das Altenheim, in dem ich arbeitete, nur einen älteren, klapprigen VW-Bus für die wöchentlichen Bewohnerinnen- und Bewohnerausflüge. Der Bus war alles andere als behindertengerecht und die Zahl der Bewohner, die noch an den Ausflügen in die Umgebung teilnehmen konnten, nahm zusehends ab. Ich fragte mich, wie sich daran etwas ändern ließe.

Was unternahmen Sie?

„Fundraising“ war damals noch ein exotisch klingender Begriff. Es gab noch keine Vielzahl an Agenturen, die beratend hätten zur Seite stehen können und Fachbücher waren dünn gesät. Eines davon kaufte ich, las es durch und erstellte ein Konzept, wie meine Einrichtung zu einem neuen behindertengerechten Bus kommen könnte[3]. Ich plante verschiedene Maßnahmen: Mit einem Flyer „Projekt Neuanschaffung eines behindertengerechten Busses“ wandte ich mich an die Lieferanten, Freunde und Förderer des Hauses mit der Bitte um Spenden. Im Eingangsbereich des Hauses stellte ich eine Spendenbox auf, daneben ein Spendenbarometer, das über den aktuellen Stand an Zuwendungen informierte. Auf Festen und Feiern, zu denen auch Angehörige und Freunde des Hauses eingeladen waren, wurde für das Projekt geworben.

Hatten Sie damit Erfolg?

Nein, es gelang letztlich auf anderem Weg: durch die Ansprache von Stiftungen, die, neben anderen Zwecken, als Stiftungszweck auch die „Altenhilfe“ angegeben hatten. Auf die Recherche aller infrage kommenden Stiftungen – vor allem lokal agierender – erfolgte eine Vorauswahl, an wen wir uns wenden wollten. Das Ergebnis war verblüffend: Es öffneten sich Türen, von denen wir zuvor nicht wussten, dass es sie gab. Nicht lange und unser Spendenziel war nicht nur erreicht, sondern übertroffen und der behindertengerechte Bus bekam noch manche Sonderausstattung. Als großer Sozialverband bekamen wir außerdem einen satten Rabatt auf das Fahrzeug.

Hat Ihnen das Mut für Ihr weiteres Fundraising gemacht?

Ja, von den so entstandenen Kontakten profitierten wir in den nächsten Jahren ein ums andere Mal. Mit einigen Stiftungen, Unternehmen und Großspendern entwickelte sich eine Zusammenarbeit, die uns zu vielen weiteren Spenden verhalf.

Wer ist es, der spendet? Eine bestimmte Spezies, die sich von uns „normalen Menschen“ unterscheidet?

Kaum. Hinter beiden, Spendenempfängern und -gebern, stehen Menschen und ihre Biografien: Ich erinnere mich an einen erfolgreichen Bauunternehmer und seine Frau, die einen privaten Schicksalsschlag erlitten hatten und nun neuen Lebenssinn darin fanden, anderen zu helfen. Schnell und unbürokratisch.

Ich denke an eine finanzkräftige, eher im Verborgenen agierende Stiftung, bei der wir Wünsche von beachtlicher Größe äußern konnten, die meist positiv beschieden wurden. Hier aber galt es, die halbjährlichen Beschlusstreffen abzuwarten. Die Stifterin, eine mittlerweile hochbetagte Dame, habe ich nie kennengelernt, sie direkt anzusprechen war tabu.

Ich denke an weitere Beispiele, bei denen es nicht immer so glatt lief, insbesondere, wenn die Verantwortlichen wechselten und Kontakte neu aufgebaut werden mussten.

Sie waren für einen großen Sozialverband aktiv. War das für Sie von Vorteil?

Ja, denn das Unternehmen ist bereits eine „Marke“, ist bekannt. Jeder verbindet damit etwas und zu allermeist nichts Schlechtes. Wenn Sie einen Spender dann noch von einer Einrichtung der Altenhilfe aus anrufen, genießen Sie einen weiteren Vorteil: Jeder da draußen weiß, dass die Arbeitsbelastung der Pflegerinnen und Pfleger hoch und dass es überdies sinnvoll ist, sich für Menschen in ihrer letzten Lebensphase zu engagieren.

Wie sind Sie vorgegangen, wenn Sie einen Spendenantrag stellten?

Ich kann nicht sagen, ob es zeitgemäß ist, wie ich bei meinen Aktivitäten vorging und vorgehe, oder eher „oldschool“. Doch viele der Stifterinnen und Stifter sind ebenfalls „oldschool“, sind Menschen in den besten Jahren und älter, sind analog statt digital sozialisiert worden, Papier statt WhatsApp und ebenso, so mein Eindruck, „dockt“ man auch am besten bei ihnen an.

Ich bemühe mich stets, meine gewichtigen Anliegen auch gewichtig daherkommen zu lassen, lege also neben Anschreiben, Projektbeschreibung, Finanzierungsplan auch eine Hausbroschüre und eine aktuelle Hauszeitung bei, je nachdem, was vorhanden ist. Alles zusammen stecke ich in Klemmhefter, wie man sie auch für Bewerbungen verwendet.

Ist der Adressat gut erreichbar, nehme ich mir die Zeit, den Spendenantrag persönlich vorbeizubringen oder einzuwerfen – gewinne ich doch auf diesem Weg einen Eindruck von der Stiftung und den Menschen, die dort arbeiten.

Was machen Sie, wenn ein Antrag erfolgreich war?

„Dank“ ist ein Schlüsselbegriff im Fundraising, wenn Spenden weiterhin fließen sollen: sei es mit dem obligatorischen Dankesbrief mit Zuwendungsnachweis, dem Artikel in der Haus- oder Verbandszeitung, der Videobotschaft, der Pressenachricht und dem Pressetermin, wenn gewünscht, der Einladung ins Haus mit Führung und kleinem Imbiss – eigentlich sind der Fantasie beim Thema „Dank“ keine Grenzen gesetzt.

Wie lässt sich Fundraising in ein Unternehmen einbinden?

Erwiesenermaßen ist Fundraising umso erfolgreicher, je klarer Strategie und Ziele definiert sind. Erfolgreicher auch dann, wenn Vorstand und Geschäftsführung mit in die Vorhaben einbezogen sind. Fundraising muss nicht Chefsache sein, doch ohne die Chefin oder den Chef geht es nicht.

Gibt es Hindernisse, die sich als kontraproduktiv erweisen können?

Manche Einrichtungsleitung hat ein Problem damit, dass nicht sie selbst, sondern jemand anderes in der Belegschaft die guten Ideen produziert. Manchem mag die zeitnahe Übersendung von Dank und Spendenbescheinigung als nicht so wichtig erscheinen. Andere nutzen die Spenderinnen- und Spenderadressen, um ihr eigenes Fundraising zu betreiben. Wieder andere leiten eine Spende für einen nicht vereinbarten Zweck um. Dies alles kann Spenderinnen und Spender vertreiben und es wird schwer sein, sie zurückzugewinnen.

Was motiviert Sie, bei Rückschlägen weiterzumachen?

Ich bin immer motiviert, wenn es darum geht, die Lebensqualität von Seniorinnen und Senioren außerhalb und innerhalb von Einrichtungen zu verbessern. Und manches Mal sind es die kleinen Gesten, die Bestätigung bringen. Es sind Gesten wie die Dankeskarte, die mich vor einigen Jahren zusammen mit einer guten Flasche Wein erreichte, als ich die Anschaffung eines Hilfsmittels für einen Wohnbereich eines Altenheims ermöglicht hatte: „Ein Dankeschön für die Spende, die Sie für uns organisiert haben. Dank Ihrer Hilfe können wir gesund in Rente gehen!“

Vielen Dank für das Gespräch!

Quelle:
[1]Birgit Stumpf: Fundraising im Gesundheitswesen, SAZ Services AG, St. Gallen 2015 (online)
[2]Wiebke Doktor (Hrsg.): Das Einmaleins des Fundraisings, Einführung in Theorie und Praxis. Apollon University Press, Bremen 2021
[3]Nicole Fabisch: Fundraising. Spenden, Sponsoring und mehr. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2013

Kurzinfo

Reinhard Strüven
Goethestraße 79
47799 Krefeld
Tel. 01734473837
www.fundraising-ziele.de
info@fundraising-ziele.de

Der Artikel ist in der Ausgabe 01/2024 zu finden.

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