von Dr. Birgit Graf (Leiterin der Gruppe Haushalts- und Assistenzrobotik am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA)
Wie können potenziell kontaminierte Oberflächen im Pflegealltag sauber gehalten werden? Eine Option ist, sie regelmäßig mithilfe von Robotern zu desinfizieren. Durch die Corona-Pandemie wurden weltweit viele neue Modelle auf den Markt gebracht, die eine automatisierte UV- oder Sprühdesinfektion anbieten. In Deutschland setzt das Fraunhofer IPA mit seiner Entwicklung „DeKonBot“ auf einen mechanisch reinigenden und desinfizierenden Roboter. Dieser kann neben möglichen Krankheitserregern auch Verschmutzungen beseitigen, die Erreger verdecken könnten. Dabei ist er sicher auch in Anwesenheit von Menschen einsetzbar.
Seit vergangenem März spielt das Thema Desinfektion von Oberflächen, die von vielen Menschen berührt werden, eine wichtige Rolle. Im Pflegeumfeld bedeutet das: noch mehr (Zeit-)Aufwand und noch mehr Arbeit mit teuren und gegebenenfalls das Material schädigenden Reinigungsmitteln. Nur selten ist die wünschenswerte regelmäßige Desinfektion – idealerweise mehrfach am Tag – durchführbar. Meist gibt es zu viele potenziell verunreinigte Oberflächen. Zudem bewegt sich das Reinigungspersonal bei der manuellen Desinfektion im ganzen Haus und kann dabei selbst die Keimverschleppung begünstigen.
In dieser Situation hilft maschinelle Unterstützung. Durch Desinfektionsroboter wie den am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA entwickelten „DeKonBot“ kann eine häufige, automatisierte Desinfektion ausgewählter Oberflächen erfolgen, bei Bedarf auch rund um die Uhr. So kommen Arbeitskräfte nicht mit kontaminierten Bereichen in Kontakt und der Desinfektionsmitteleinsatz kann ideal dosiert sowie gleichzeitig auch automatisch dokumentiert werden. Die Fraunhofer-Gesellschaft fördert das Projekt im Rahmen ihres Aktionsprogramms „Fraunhofer vs. Corona“.
Bereits am Markt verfügbare Desinfektionsroboter nutzen verschiedene Methoden. Beispielsweise desinfizieren sie mit hochfrequentem, ultraviolettem Licht, versprühen Desinfektionsmittel wie Wasserstoffperoxid oder filtern die Luft. Durch die überraschend gestiegene Anfrage in Corona-Zeiten bauten viele Hersteller auch bereits existierende Robotersysteme zu Desinfektionsrobotern um. Für die genannten Verfahren ist vor der Desinfektion jedoch immer eine manuelle Reinigung der betroffenen Oberflächen notwendig. Zudem können viele dieser Roboter nicht in der Gegenwart von Menschen eingesetzt werden.
Autonome Desinfektion durch DeKonBot
Das Fraunhofer IPA arbeitet schon lange an Technologien für die gewerbliche Reinigung, bisher vornehmlich für das Säubern von Böden. Schnell wurde im vergangenen Jahr klar, dass das Institut sein Wissen auch nutzen kann, um die Herausforderungen der Pandemie anzugehen. Eine Automatisierung der Oberflächendesinfektion durch mobile Roboter mit dem Ziel, einen der möglichen Übertragungswege des Virus einzudämmen, war der logische nächste Schritt. Um möglichst schnell erste Ergebnisse zu erzielen, entwickelten die IPA-Mitarbeitenden die vorhandene Roboter-Plattform Care-O-Bot® zu einem neuen Desinfektionsroboter weiter.
Der „DeKonBot“ führt auf potenziell kontaminierten Oberflächen automatisch eine Wischdesinfektion durch. Um den Roboter zu bedienen, ist keine Robotik-Expertise nötig. Der Nutzer lernt ihn mithilfe eines Tablets und einer einfachen Benutzeroberfläche in seiner neuen Einsatzumgebung einmalig ein. In einem ersten Schritt fährt der Nutzer den Roboter mithilfe des Tablets einmal durch die Umgebung. Währenddessen erstellt der Roboter eigenständig eine Karte des Bereichs. Anschließend werden ihm die zu reinigenden Objekte ‚gezeigt‘. Dafür wird der Roboter vor diese Objekte wie Türgriffe, Lichtschalter oder Aufzugknöpfe gefahren. Mithilfe einer Bildverarbeitungssoftware und eines neuen Sensors erkennt er selbstständig die zu reinigenden Objekte. Für jeden Objekttyp ist eine geeignete Reinigungsbewegung hinterlegt, die der Roboter dann an der entsprechenden Stelle automatisch ausführt.
Fortan fährt der Roboter nach seinem gelernten Schema selbstständig durch das Gebäude und desinfiziert nach Plan. Dabei reinigt er, ohne überschüssige Mengen an Desinfektionsmittel zu hinterlassen, die ein Sicherheitsrisiko darstellen können. Nicht nur deshalb ist er im Alltag einsetzbar: Nähern sich Personen, stoppt er eigenständig und wartet, bis sein Weg wieder frei ist.
Im vergangenen Jahr desinfizierte der „DeKonBot“ die Türklinken des Fraunhofer IPA in einem Dauertest. Dabei erprobten auch Mitarbeitende eines Reinigungsunternehmens den Roboter und gaben Rückmeldung, wie der Roboter noch verbessert werden könnte. Bis zum Projektende im Februar 2021 wurde der Roboter basierend auf diesen Tests weiter verbessert, um ihn zu einem produktnahen Prototyp weiterzuentwickeln.
Weitere Ausbaustufen für bedarfsgerechte Desinfektion
Mit „DeKonBot“ trägt das Fraunhofer IPA auch zum Großprojekt „Mobile Desinfektion“ (MobDi) der Fraunhofer-Gesellschaft bei, das im Oktober vergangenen Jahres gestartet ist und ebenfalls vom Programm „Fraunhofer vs. Corona“ gefördert wird. In MobDi entwickeln zwölf Fraunhofer-Einrichtungen u. a. Technologien für mobile Desinfektionsroboter. Dabei entstehen nicht nur neue Roboter, es werden auch neue Methoden für das zuverlässige Erkennen und die bedarfsgerechte und schonende Reinigung und Desinfektion von Oberflächen und das Prüfen der Ergebnisse entworfen.
Das Projekt fokussiert sich mit den Desinfektionsrobotern auf zwei Einsatzumgebungen: öffentliche Gebäude und öffentliche Verkehrsmittel. Während das System für die Desinfektion in Gebäuden auf dem vom Fraunhofer IPA entwickelten „DeKonBot“ aufbaut und Hardware- wie Software-seitig um neue Technologien erweitert wird, entwickelt ein anderer Projektpartner einen neuen Roboter für den Einsatz in öffentlichen Verkehrsmitteln. Mithilfe von Objekterkennungsverfahren ermitteln die Desinfektionsroboter das Material und den Verschmutzungsgrad der zu reinigenden Oberfläche und wählen basierend darauf den geeigneten Reinigungsprozess und das Reinigungsmittel. Dabei nutzt der Roboter selbstständig entsprechende Werkzeuge für die Desinfektion durch Wischen, Sprühen, UV oder Plasma, die ebenfalls passgenau im Projekt entwickelt werden. Im Vorfeld untersuchen die Institute daher, wie die unterschiedlichen Desinfektionsmethoden auf typischen Oberflächen wirken.
Alle Entwicklungen in MobDi erfolgen basierend auf umfassenden Anforderungs-, Nutzen- und Wirtschaftlichkeitsanalysen, um die Roboter bestmöglich an den Praxisbedarf anzupassen. Hierfür tauschen sich die Projektpartner stetig mit Endanwendern aus und stehen für alle Fragen und Anregungen zum Projekt jederzeit zur Verfügung.
Der Artikel ist in der Ausgabe 01/2021 zu finden.