von Birgit Jussen
Wer mit offenen Augen durch die Textilabteilungen in den Warenhäusern geht, wird sicher schon festgestellt haben: Die textile Faser Lyocell, auch unter dem Markennamen TENCEL® bekannt, erobert immer mehr den Markt.
Man findet modische Bekleidung, wie z. B. Blusen, Kleider und Hosen aus Lyocell ebenso wie Sport- und Berufsbekleidung. Aber auch im Bereich der Objekttextilien, Bett- und Frottierwaren wird die Faser mehr und mehr eingesetzt – als Alternative zu Baumwolle und häufig in einer Mischung mit Polyester.
Aber was für eine Faser ist Lyocell genau, welche Eigenschaften weist sie auf, was macht sie für diese Einsatzgebiete so besonders?
Lyocells Herstellung
Lyocell gehört in die Gattung der Chemiefasern aus natürlichen Polymeren. Das Ausgangsmaterial für die Herstellung ist Zellstoff. Als Zellstoff wird die vorwiegend aus Zellulose bestehende faserige Masse verstanden, die beim chemischen Aufschluss von Pflanzenfasern, wie Holz entsteht. Die Grundmaterialien sind somit nachwachsende Rohstoffe.
Der Zellstoff wird in einem organischen Lösemittel zu einer zähflüssigen Spinnmasse verflüssigt. Daher rührt auch der Name: Lyo ist aus dem griechischen „lyein“ abgeleitet, was lösen bedeutet und „cell“ kommt von Cellulose. Die dazu verwendeten Chemikalien, werden anschließend wieder ausgewaschen und sind fast vollständig zurückgewonnen wiederverwertbar. Die Lösemittel sind ungiftig und biologisch abbaubar. Lyocell ist daher eine durchaus umweltfreundliche Faser.
Die Spinnmasse wird filtriert und durch feine Spinndüsen in ein wässriges Spinnbad gepresst. Dann fällt die Zellulose wieder in Faserform aus und gewinnt ihre ursprünglichen Eigenschaften zurück. Der Zellstoff bzw. die Zellulose wird also nur zum Zweck der Fadenbildung durch Chemikalieneinwirkung in ihrem Zustand verändert und dann wieder zurückgebildet. Dadurch ist Lyocell in seiner chemischen Zusammensetzung Baumwolle, der wichtigsten zellulosischen Naturfaser, sehr ähnlich, hat aber eine verbesserte Performance.
Lyocells besondere Eigenschaften
Lyocell ist eine Faser mit einer außergewöhnlich glatten Oberfläche mit seidigem Griff und besten Festigkeiten. Die Trockenfestigkeit liegt über der einer durchschnittlichen Baumwollqualität und kann nahezu an die von Polyester reichen. Die Nassfestigkeit ist allerdings etwas geringer als die Trockenfestigkeit, was bei Baumwolle nicht so ist: Baumwolle weist nass eine höhere Festigkeit auf als trocken. Dennoch erreicht Lyocell aufgrund der hohen Trockenfestigkeit im nassen Zustand effektiv einen höheren Wert als Baumwolle. Durch dieses Festigkeitsprofil lässt sich die Faser folglich wunderbar für Anwendungen einsetzen, die eine hohe Strapazierfähigkeit erfordern.
Auch um Industrie-Wäschebedingungen standzuhalten, stellen hohe Festigkeiten einen wesentlichen Vorteil dar. „Lyocell kann je nach Ausführung bis zu 100 Waschzyklen bei einer Waschtemperatur von 75°C aushalten“, wird aus dem Hause des TENCEL®-Herstellers Lenzing erklärt.
Lyocell hat des Weiteren eine doppelt so hohe Dehnung wie Baumwolle. Und auch in Bezug auf die Maßstabilität liegt Lyocell gegenüber Baumwolle vorne: die typische Eigenschaft von Baumwolle bei der Wäsche zu schrumpfen, weist Lyocell nicht auf: Lyocell läuft nur in geringem Maße ein, hat also eine wesentlich höhere Maßstabilität als die Naturfaser.
Darüber hinaus ist die Feuchtigkeitsaufnahme von Lyocell bis zu 50 % höher als die von Baumwolle und natürlich auch wesentlich höher als von synthetischen Fasern, wie Polyester, Polyamid und Polyacryl, die kaum bis gar keine Feuchtigkeit aufnehmen. Auch hat Lyocell die Fähigkeit, Feuchtigkeit je nach Umgebungsbedingungen schnell wieder abzugeben, während Baumwolle die Feuchtigkeit speichert. Diese Performance, die Baumwolle also nicht besitzt, macht Lyocell für viele Einsatzbereiche besonders attraktiv. Denn dadurch trocknet die Textilie auch schneller, was nicht zuletzt Vorteile bei der Pflege bietet.
Im Zusammenhang damit stehen auch das Bakterienwachstum und die Geruchsbildung. Je besser das Feuchtigkeitsmanagement, desto mehr kann das Bakterienwachstum bzw. der Milbenbefall eingedämmt sowie die Geruchsbildung gehemmt werden: bei Lyocell somit ganz ohne Verwendungen chemischer Zusatzstoffe, was eine Laborstudie der Medizinuniversität Innsbruck, Österreich zeigte.
Und noch eine weitere Eigenschaft macht die Lyocell-Faser besonders: sie kann kontrolliert fibrillieren. Durch das gezielte Abspalten kleinster faseriger Elemente ist es möglich nicht nur glatte Stoffe, sondern auch Textilien mit einer pfirsichartigen Oberfläche herzustellen. Somit können vielfältige Griff- und Optikvarianten erzielt werden: im Bereich der modischen Artikel ein Vorteil, aber auch im Einsatz für Textilien für sensible Haut und hohem Tragekomfort.
Wie Lyocell noch eingesetzt wird
Lyocell kann folglich als eine sehr vielfältige Faser beschrieben werden. Aufgrund ihrer Eigenschaften und Gestaltungsmöglichkeiten kann sie viele Gesichter haben. Wie wird daher zum Beispiel im modischen Bereich rein, also als 100 % Lyocell, sowohl für robuste Stoffe wie Denim, aber auch für weiche, fließende Strickwaren und elegante Abendgarderobe eingesetzt.
Ebenso wird Lyocell mit anderen Fasern gemischt, wodurch sich die jeweiligen positiven Eigenschaften der einzelnen Fasern ergänzen und die negativen nahezu ausgeschaltet werden. Wird Lyocell mit Baumwolle gemischt, so verleiht die regenerierte Zellulosefaser dem Stoff insbesondere eine Verbesserung des Tragekomforts in Bezug auf die Feuchtigkeitsaufnahme und Festigkeit. Bei einer Mischung mit Polyester, werden ebenfalls die Eigenschaften in Bezug auf das Feuchtigkeitsmanagement deutlich verbessert. Mehr und mehr werden nun klassische Polyester-Baumwoll-Mischungen durch Polyester-Lyocell-Mischungen ersetzt. Dadurch können nicht nur der Tragekomfort, sondern auch die Pflegeeigenschaften und die Strapazierfähigkeit optimiert werden. Dies erklärt u.a. auch die eingangs beschriebene deutliche Zunahme an Artikeln aus bzw. mit Lyocell in den Bereichen Objekttextilien, Bett – und Frottierwaren.
Lyocell ist somit eine vielseitige Faser mit hohem Potential, die sicher in der nächsten Zeit weiter von sich reden lässt. Eine natürliche Klimaregulierung durch gutes Feuchtigkeitsmanagement, reduziertes Bakterienwachstum, hohe Festigkeiten, positives Hautgefühl und eine Herstellung im nahezu geschlossenen Kreislauf und mit geringer Belastung für die Umwelt bilden zusammenfassend die westlichen Vorteile dieser Faser.
Kurzinfo
Die Autorin des Artikels ist öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für die Bewertung von Erzeugnissen aus der Textil- und Bekleidungsindustrie und der Kopf von „Quality Matters – Beratung für Nähtechnik & Qualität“. Das Unternehmen bietet der textilen Kette praxisorientierte Unterstützung durch Beratung, Gutachten sowie Schulungen an. Des Weiteren unterstützt Birgit Jussen das Marketing in fachgerechter Darstellung textiler Produkte und schreibt für verschiedene Fachmagazine.
Im Laufe der Jahre hat sie sich u.a. auf die Belange der Branche für Werbe-, Dienst- und Berufsbekleidung inklusive der professionellen Pflege derartiger Produkte spezialisiert. Sie ist seit 2011 auch freie Mitarbeiterin der Europäischen Forschungsvereinigung Innovative Textilpflege e. V. (EFIT). Die EFIT ist eine Interessenvertretung für Textilpflegebetriebe mit einem hohen Anspruch an Qualität und Kundenorientierung. Dort leitet sie u.a. Forschungsprojekte zu aktuellen Branchenthemen.
Der Artikel ist in der Ausgabe 01/2019 zu finden.