von Wolfgang Joa

Der zuletzt veröffentlichte (3/2018) Expertenstandard, „Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz“, unterscheidet sich grundlegend von den anderen, bisher erarbeiteten, Expertenstandards. Es geht nicht um pflegefachliche Inhalte (z. B. Dekubitusprophylaxe in der Pflege, Sturzprophylaxe in der Pflege), sondern um die zwischenmenschliche Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz.

Zielsetzung des Expertenstandards ist, dass

„jeder pflegebedürftige Mensch mit Demenz, Angebote zur Beziehungsgestaltung erhält, die das Gefühl, gehört, verstanden und angenommen zu werden sowie mit anderen Personen verbunden zu sein, erhalten oder fördern“. (DNQP, 2018)

In diesem Expertenstandard wird stets betont, dass es nicht um das „Was“, sondern um das „Wie“ einer verstehenden und zugewandten Pflege geht. Gerade aus Sicht des Menschen mit Demenz stellen Beziehungen wesentliche Faktoren dar, die Lebensqualität begründen und beeinflussen. Die Beziehung zu Anderen fördert das Person-Sein von Menschen mit Demenz und stärkt es, durch Normalität, Identität und Selbstbestimmung im Lebensumfeld. Der Mensch mit der Erkrankung Demenz soll trotz seiner kognitiven und körperlichen Einschränkungen als Person wahrgenommen und anerkannt werden.

Es sind die Beziehungen, die in der Praxis am meisten unter den vorhandenen Strukturen leiden. Menschen mit Demenz sind hier benachteiligt, weil sie diese Beziehungen krankheitsbedingt durch eine erschwerte Kommunikation nicht selbst gestalten können.

Was sind Expertenstandards?

Foto: TeroVesalainen – pixabay.com

Foto: TeroVesalainen – pixabay.com

Expertenstandards sind Instrumente, die die Qualität der Pflege gewährleisten und weiterentwickeln sollen. Sie definieren Ziele und Maßnahmen, verbinden aktuelle pflegewissenschaftliche sowie pflegepraktische Erkenntnisse und geben messbare Kriterien zur Erfolgsbewertung für die ambulante und stationäre pflegerische Versorgung vor. Expertenstandards sollen dabei unterstützen, den Alltag so zu gestalten, dass eine möglichst vergleichbare Qualität der Pflege erreicht wird. Die Inhalte der Expertenstandards gründen auf nationalen und internationalen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Seit 1999 ist in Deutschland das „Deutsche Netzwerk zur Qualitätsentwicklung in der Pflege“ (DNQP) für die Erarbeitung der Expertenstandards zuständig. Die Expertenstandards sind für alle stationären Pflegeheime und ambulanten Pflegedienste in Deutschland unmittelbar verbindlich.

 

Experten stützen sich auf die Annahme, dass die an der Pflege beteiligten Personen durch eine gelingende Beziehungsarbeit und -gestaltung die Lebensqualität der Betroffenen positiv beeinflussen können. Die Angebote zur Unterstützung im Alltag können eine gute Ergänzung zur vorhandenen Angebotsstruktur sein. Durch die Vielfalt der Möglichkeiten gelingt es besser, auf die individuellen Bedürfnisse der Betroffenen einzugehen. Manche fühlen sich in Betreuungsgruppen wohler, in denen mehrere Personen gemeinsam zusammenkommen (z. B. Bewegungsgruppe). Dort können vorhandene Fähigkeiten durch zwischenmenschliche Beziehungen gefördert werden und solange wie möglich erhalten bleiben. Andere bevorzugen Einzelangebote, wie den ehrenamtlichen Helferkreis, in dem der Betroffene von einem einzelnen Ehrenamtlichen betreut wird. Die Besuche können – nach Zeitpunkt und Ablauf – den individuellen Bedürfnissen der Familie und des Betroffenen angepasst werden. Sie können auch bei immobilen Menschen stattfinden. Persönliche Bindungen und die dadurch einhergehende Steigerung der Lebensqualität stellen einen zentralen Baustein der Angebote zur Unterstützung im Alltag dar.

Kern des Expertenstandards: Die person-zentrierte Pflege nach Tom Kitwood

Im Zentrum des Expertenstandards steht der von Tom Kitwood (britischer Sozialpsychologe und Psychogerontologe) entwickelte Ansatz der person-zentrierten Pflege. Eine person-zentrierte Haltung stellt die Einzigartigkeit der Person und nicht seine Erkrankung in den Mittelpunkt (PERSON mit Demenz, nicht Person mit DEMENZ). Die Erkrankung Demenz zeigt sich symptomatisch v. a. im Kontakt durch eine Veränderung der Kommunikation und Beziehungsgestaltung. Weil Menschen mit Demenz oft in Unsicherheit und Angst leben, ist die Bindung zu anderen Menschen – ob zu Familienangehörigen oder Pflegekräften – jedoch existentiell. Sie sind deshalb darauf angewiesen, dass ihr Umfeld, den Erhalt des Personseins stärkt. Nach Tom Kitwood können Menschen mit Demenz, aufgrund ihrer Erkrankung, nur in der Begegnung mit anderen Menschen ein wenig Klarheit über sich selbst und ihre Person erlangen.

Kitwood setzte den Erhalt des Personseins mit Wohlbefinden gleich. Seiner Meinung nach gab es vier globale Empfindungszustände, die mit Wohlbefinden und somit mit einem gut erhaltenem Personsein einhergehen:

  • Das Gefühl, etwas wert zu sein
  • Das Gefühl, etwas tun / bewirken zu können
  • Das Gefühl, Kontakt zu anderen Menschen zu haben / dazu zu gehören
  • Das Gefühl von Urvertrauen, Sicherheit und Hoffnung

Kurzinfo

Foto: Fachstelle für Demenz und Pflege Bayern

Foto: Fachstelle für Demenz und Pflege Bayern

Der Expertenstandard „Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz“ stellt sehr hohe Anforderungen an alle an der Pflege beteiligten Personen und Berufsgruppen. Der Zeitaufwand, der für die Umsetzung benötigt wird, ist nicht genau absehbar und individuell verschieden. Dennoch sind die Anforderungen keine Unbekannten für professionell Pflegende, sind sie doch originär genau dafür angetreten – für die Beziehungsarbeit.

Der Artikel ist in der Ausgabe 02/2019 zu finden.

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