Im Fokus: der Aspekt der Patienten-/ Bewohnersicherheit durch die Integration des Werdenfelser Weges

von Martina Röder (Geschäftsführerin der Neanderklinik Harzwald GmbH) und Silvia Böhme (Akademie der Neanderklinik Harzwald GmbH)

Heute möchten wir Sie über das immerwährende und spannende Thema der unterbringungsähnlichen Maßnahmen und deren Alternativen in Verbindung des Werdenfelser Weges und dem Einsatz der Mobility Monitoren aus Sicht unserer Einrichtung, der Seniorenpflege Neanderklinik Harzwald GmbH, informieren.

Unsere Mitarbeiter werden zeitnah mittels Wissenstransfer über alle wichtigen Aspekte der Neuregelungen im Rahmen der unterbringungsähnlichen Maßnahmen weitergebildet. Handlungsorientiert werden kurze Wege über unsere Netzwerkstrukturen aktiviert, um zeitnah aktuelle Regelungen unter Berücksichtigung der Menschlichkeit und Ethik umzusetzen.

Der Einsatz von Mobility Monitoren ermöglicht die Messung des Aufstehverhaltens in Echtzeit und leitet es direkt an das Pflegepersonal weiter. - System

Foto: compliant concept AG

Durch den Einsatz von Mobility Monitoren im Bereich der Bewohnersicherheit nach Inhalten der Zertifizierung durch die DEKRA-Certification bei uns in der Neanderklinik Harzwald GmbH, werden stets weiter unterbringungsähnliche Maßnahmen reduziert und zum Wohle unserer Heimbewohner angewandt. Wir beginnen mit einem kleinen Einblick in den Bereich der freiheitsentziehenden bzw. der unterbringungsähnlichen Maßnahmen, um Ihnen dann Praxisbeispiele in unserem Haus vorzustellen.

Freiheitsentziehende Maßnahmen sind nur nach gewissenhafter Abwägung der Freiheitsrechte mit den Fürsorgepflichten unter bedingungsloser Beachtung der Würde des Menschen und seiner Selbstbestimmung anzuwenden. Sie sind immer das letzte Mittel der Wahl; es muss die schonendste und am wenigsten in die Freiheit des Betroffenen eingreifende Maßnahme zum Tragen kommen, ihre Dauer muss begrenzt sein und ihre Notwendigkeit immer wieder reflektiert werden.

Der Mensch steht als Person mit seinen Wünschen, Bedürfnissen und seiner individuellen Lebensgeschichte stets im Mittelpunkt.

Nur dann, wenn alle am Versorgungsprozess Beteiligten in der Pflege, der Medizin, die Angehörigen und Betreuer

  • gemeinsam ihre Verantwortung wahrnehmen,
  • in der Ursachenforschung, im Versorgungs- und Betreuungsprozess zusammenwirken und
  • persönliche Ängste, Sicherheitsdenken und Schutzbedürfnisse in den Hintergrund stellen,

werden individuelle Lösungen möglich und die Würde des Pflegebedürftigen gewahrt.

Was gehört alles zu freiheitsentziehenden Maßnahmen?

  • Das Anbringen von Bettgittern oder Bettseitenstützen, um das Verlassen des Bettes zu verhindern.
  • Die Unterbringung in abgeschlossenen Zimmern oder in Zimmern, an deren Türen Trickschlösser angebracht sind.
  • Der Einsatz von Zwangsjacken.
  • Das Anlegen von Sitzgurten, Leibgurten oder Bauchgurten im Bett oder (Roll-) Stuhl.
  • Das Befestigen von Therapie- oder Stecktischchen am (Roll-) Stuhl.
  • Hochangebrachte Türgriffe oder Drehknaufe an Zimmertüren.
  • Die Gabe von Schlafmittel, Neuroleptika oder andere Psychopharmaka oder aber auch die Wegnahme von Fortbewegungsmöglichkeiten (z. B. Rollator, Gehhilfen).

Aber nicht immer liegt eine freiheitsentziehende Maßnahme im Sinne einer unterbringungsähnlichen Maßnahme vor, welche gerichtlich genehmigungspflichtig ist.

Der Einsatz von Mobility Monitoren ermöglicht die Messung des Aufstehverhaltens in Echtzeit und leitet es direkt an das Pflegepersonal weiter. AuflageDies ist dann der Fall, wenn der Bewohner wirksam in die Maßnahme einwilligen kann. Voraussetzung: es besteht Einwilligungsfähigkeit, oder wenn der Bewohner in keiner Weise zu einer Fortbewegung in der Lage ist und nicht zu erkennen gibt, dass er mit der freiheitsentziehenden Maßnahme nicht einverstanden ist oder bei Komapatienten – diese besitzen keine Bewegungsfreiheit mehr, welche ihnen entzogen werden kann.

Einwilligungsfähigkeit ist ein rechtlicher Begriff, der die Fähigkeit eines Menschen bezeichnet, in die Verletzung eines ihm zuzurechnenden Rechtsguts einzuwilligen bzw. diese abzulehnen. Sie ist eine Voraussetzung einer wirksamen Einwilligung.

Einwilligungsfähig ist, wer Art, Bedeutung und Tragweite, also auch die Risiken, der ärztlichen Maßnahme altersentsprechend erfassen kann. Dabei kommt es nicht im eigentlichen Sinne auf die Geschäftsfähigkeit des Patienten an, auch ist der Beginn der Einwilligungsfähigkeit nicht grundsätzlich an ein Mindestalter gebunden.

Eine gute und offene Kommunikation mit allen Betroffenen hilft, den aktuellen Willen des Patienten/Heimbewohners zu ermitteln, um Komplikationen bzw. Probleme mit Angehörigen zu vermeiden.

Die Freiheitsentziehung bedarf einer gesetzlichen Grundlage – Artikel 104 Grundgesetz

Die Freiheit der Person kann nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich misshandelt werden.

Genehmigung des Betreuungsgerichts – § 1906 Abs. 4 BGB

Über die Zulässigkeit und die Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat ein Richter auf Antrag zu entscheiden, wenn dem

Betreuten, der sich in einem Krankenhaus, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung aufhält, durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig die Freiheit entzogen werden soll.

Grundsätzlich entscheiden die Betroffenen selbst über die Anwendung der freiheitsentziehenden Maßnahmen.

Noch einmal ganz klar hier die Feststellung:

Solange ein Patient oder Heimbewohner, egal wie alt er auch sein mag, die Art, die Bedeutung und die Tragweite einer Maßnahme – auch deren Risiken, erfassen kann, ist seine Entscheidung zu eben dieser bevorstehenden Maßnahme zu respektieren und umzusetzen.

Alle freiheitsentziehenden und unterbringungsähnlichen Maßnahmen sind ein erheblicher Eingriff in die Grundrechte eines jeden Menschen. Nach Artikel 1 GG ist die Würde des Menschen und nach Artikel 2 GG dessen allgemeines Freiheitsrecht unantastbar. Wird dieses Grundrecht eingeschränkt, bedarf es besonderer Vorschriften und Maßnahmen, welche letztendlich immer durch den zuständigen Betreuungsrichter genehmigt werden müssen.

Der Werdenfelser Weg wird in der Seniorenpflege Neanderklinik Harzwald GmbH seit vielen Jahren praktiziert, um so freiheitsentziehende bzw. unterbringungsähnliche Maßnahmen zu verhindern.

Was verbirgt sich hinter dem Werdenfelser Weg?

Zum einen werden pflegerisch erfahrene Verfahrenspfleger im gerichtlichem Genehmigungsverfahren für freiheitsentziehende Maßnahmen eingesetzt. Zum anderen arbeitet der Weg auf eine bewusste verantwortungsvolle Veränderung der Pflegekultur in der jeweiligen Region hin, wobei Gerichte und Behörden aktiv auf die Pflege zugehen. Der Werdenfelser Weg ist eine Verfahrensweise, die sich das Ziel setzt, die Entscheidungsprozesse über die Notwendigkeit freiheitsentziehender Maßnahmen zu verbessern und Fixierungen in stationären Einrichtungen der Pflege und für Menschen mit Behinderung auf ein unumgängliches Minimum zu reduzieren.

Der Einsatz von Mobility Monitoren ermöglicht die Messung des Aufstehverhaltens in Echtzeit und leitet es direkt an das Pflegepersonal weiter. - Bett

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Eine wesentliche Besonderheit des Werdenfelser Weges ist die Person des Verfahrenspflegers. Aufgaben der Verfahrenspfleger ist es, zu einer gemeinsam getragenen Abschätzung zu kommen, z. B. wie das Verletzungsrisiko bei einem Sturz einerseits, die anderweitigen Folgen einer angewendeten Fixierung andererseits einzuschätzen sind. So werden auch die sonstigen Konsequenzen einbezogen, also der häufig verbundene Verlust an Lebensqualität und aus Fixierungen resultierende physische und psychische Verschlechterungen – etwa Rückzugsverhalten, Gelenkversteifung, Kontrakturen, Thrombosen, Pneumonie, depressive Verstimmung, Dekubitus oder Unruhezustände.

Im Vordergrund steht die Optimierung des Kommunikationsprozesses und das Bewusstwerden von Ängsten, die pflegefachlich fundierte und juristisch sowie menschlich vertretbare Lösungen überlagern. Der Verfahrenspfleger gibt abschließend eine, in der Regel mit den Pflegeverantwortlichen und Angehörigen gemeinsam erarbeitete, pflegefachliche Empfehlung an das zuständige Betreuungsgericht ab.

Als Auswirkungen des Werdenfelser Weges für den zukünftigen Pflegealltag hat sich in der Folgezeit herausgestellt, dass nicht nur konsequent weniger fixiert wird, sondern auch bedeutend weniger Anträge auf Fixierungsmaßnahmen bei Gericht gestellt wurden.

Leitfragen für den Umgang mit freiheitsentziehenden Maßnahmen

In unserer Einrichtung, der Seniorenpflege Neanderklinik Harzwald GmbH, stellen wir uns als gesamtes Pflegefachpersonal bereits vor der Beantragung einer freiheitsentziehenden Maßnahme in unseren Teambesprechungen nachfolgende Fragen:

  1. Die Ursachenforschung? – z. B. Straucheln beim nächtlichen Toilettengang, da es zu dunkel ist oder Straucheln wegen vorhandener Hindernisse oder aber auch nächtliches Aufstehen wegen einer bestehenden Blasenschwäche?
  2. Wie kann die Ursache beseitigt werden? – z. B. Behebung des Problems durch Nachtlicht, oder Veränderung der Bodenbeschaffenheit, oder aber auch die Behandlung der Blasenschwäche.
  3. Können die Risiken ausreichend vermindert werden? – Sturzverhinderung durch Niederflurbetten oder nächtliches Umherirren verhindern durch Schaffung eines nächtlichen Treff- und Ruhepunktes?
  4. Falls die Gefahr nur durch eine Fixierung zu verhindern ist? – Abwägungsprozess: Ist der Nutzen der freiheitsentziehenden Maßnahme evtl. größer als der Schaden?

Gute Erfolge sind zu verzeichnen. Der Werdenfelser Weg ist somit geprägt durch ein gemeinsames Bekenntnis zur Fixierungsvermeidung aller professionell Eingebundenen in einer Region. Das Wissen, dass sich die örtliche Richterschaft und die örtlichen Behörden jeweils zu dem gemeinsamen Ziel der weitgehenden Vermeidung von Fixierungen gemeinsamen mit den Pflegenden ausdrücklich bekennen, führt zu einer Öffnung aller Professionen, zu einem lokalen Wissensaustausch und auch zu den von Einrichtungen finanzierten Alternativen, wie z. B. den Niedrigflurbetten. Auf diese Weise macht der Werdenfelser Weg im eigentlichen Wortsinn „mobil“.

Nicht nur durch das Beschreiten des Werdenfelser Weges in unserer Einrichtung werden freiheitsentziehende Maßnahmen reduziert. Als großer Vorteil zeigt sich das Einsetzen von Mobility Monitoren, in deren Verbindung die Messung des Aufstehverhaltens in Echtzeit direkt an das Pflegepersonal weitergeleitet wird.

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Der Mobilitiy Monitor

  • ist ein Analyse- und Informationsinstrument, mit dem die Bewegungsfähigkeit eines Patienten/Bewohners im Bett ermittelt werden kann,
  • enthält eine Sensoreinheit unter der Matratze, welche ohne jeglichen Körperkontakt feinste Bewegungen des Patienten/Bewohners registriert und diese Informationen am zugehörigen Bediengerät in Form einer einfachen und intuitiven Ampelstellung anzeigt,
  • ist eine wertvolle Unterstützung für die Dekubitusprophylaxe – ist der Patient über längere Zeit immobil, kann der Mobility Monitor nach einer durch die Pflege einstellbaren Zeit einen Schwesternruf auslösen,
  • bietet eine effizientere Sturzprophylaxe – Auslösen eines Schwesternrufs beim Sitzen am Bettrand oder Verlassen des Bettes,
  • lässt Pflegehandlungen am Bediengerät quittieren und erfasst bzw. dokumentiert diese automatisch,
  • zeigt eine Darstellung des Schlafprofils, des Aufstehverhaltens, der Mobilitätsdaten sowie der quittierten Pflegehandlungen und stellt diese am Computer mittels „Mobility & Care Manager“ Software dar.

Zusammenfassend können wir sagen, dass das durch den Träger erstellte Schutzkonzept zur Bewohnersicherheit Bestandteil des Managementsystems für die Seniorenpflege Neanderklinik Harzwald GmbH ist und durch die DEKRA Certification entsprechend der DIN ISO 9001:2015 geprüft wird.

Zukünftig wird ein Prüfsiegel für die Patienten- und Bewohnersicherheit durch die DEKRA Ceritification vergeben. Der Umgang mit freiheitsentziehenden Maßnahmen ist ein Prüfstein des Managementsystems bezüglich der Anforderungen an die pflegerische Versorgung.

Kurzinfo

Martina Röder

Geschäftsführerin der Seniorenpflege Neanderklinik Harzwald GmbH
Vorsitzende des Geschäftsführenden Vorstandes des Deutschen Pflegeverband e. V. Vorsitzende des Deutschen Pflegerates Thüringen
Vorsitzende des Deutsch Ukrainischen Pflegeverband e. V.

Silvia Böhme

Akademie für Gesundheits- und Pflegeberufe
Stellvertretende Vorsitzende des Geschäftsführenden Vorstandes des Deutschen Pflegeverband e. V.
Stellvertretende Vorsitzende des Deutsch Ukrainischen Pflegeverband e. V.

Der Artikel ist in der Ausgabe 02/2021 zu finden.

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