von Ass.-Prof. Dr. Irmela Gnass (Pflegewissenschaftlerin, Paracelsus Medizinische Privatuniversität Salzburg, Schwerpunkte Akutpflege und pflegerisches Schmerzmanagement)
Schmerzen sind für ältere Menschen und deren Angehörige ein bekanntes und manchmal ein allgegenwärtiges Thema. Der Wunsch und Wille aller Beteiligten liegt darin, die Auswirkungen des Schmerzes auf den Alltag für die Bewohner so gering wie möglich bzw. die bestmögliche Funktionalität und Lebensqualität zu erhalten bzw. zu erreichen. Und wenn von Beteiligen gesprochen wird, so sind neben den Bewohnenden selbst, die Angehörigen, die pflegerischen und ärztlichen Behandelnden als auch das Personal aus Hauswirtschaft und Sozialdienst in der Versorgung von Bewohnern zu betrachten.
Wie stellt sich Schmerzerleben dar?
Der Einfluss von Schmerz zeigt sich auf verschiedenen Ebenen bei schmerzbetroffenen Bewohnerinnen und Bewohnern. Hier zunächst einige grundlegende Ausführungen zum Schmerz, dessen Erleben und Verarbeitung. Das Schmerzerleben wurde und wird geprägt von sozialen und kulturellen Einflüssen sowie von persönlichen Erfahrungen, die ein Mensch mit Schmerz im Laufe des Lebens erfahren hat. Dies sollte verdeutlichen wie komplex der erlebte Schmerz sein kann, dass das Schmerzerleben rein subjektiv ist und von jedem Menschen individuell erlebt wird. Dieser von den Bewohnern erlebte Schmerz hat ferner Einfluss bzw. Auswirkungen auf weitere Ebene. Schmerz wird als „bio-psycho-soziales Phänomen” betrachtet und somit ist die Auswirkung dessen nicht nur im Einfluss auf den Körper (bio) zu erheben, wie z. B. in der Schmerzintensität oder einer eingeschränkten Gehstrecke. Der Einfluss zeigt sich ggf. auch auf die Psyche (psycho). Hier kann sich z. B. eine veränderte bis hin zur depressiven Stimmung entwickeln. Und zu guter Letzt kann sich der Einfluss auf das Sozialverhalten (soziales) beobachten lassen, z. B. durch Rückzug von gemeinschaftlichen Aktivitäten.
Die partizipative Schmerzeinschätzung und deren Ziel
Vor diesem Hintergrund stellt sich nun die Frage, wie kann gemeinsam (partizipativ) mit Bewohnenden und Angehörigen der Schmerz eingeschätzt werden? Ein umfängliches Gespräch mit Bewohnern und deren Angehörigen über den Schmerz bzw. dessen Auswirkungen ist Grundvoraussetzung, um eine gemeinsame Basis zu erhalten und daraus resultierend eine angemessene Behandlungen einzuleiten.
Dieses Gespräch kann entlang der Ausführungen der Patientenversion der S3-Leitlinie „Schmerzassessment bei älteren Menschen in der vollstationären Altenhilfe“ geführt werden:
- Individuelle Prägungen und Überzeugungen beachten
- Aktueller Schmerz steht im Mittelpunkt
- Notwendige Hilfsmittel anwenden
- Strategien im Umgang mit Schmerz fördern
- Angehörige einbeziehen
- Schmerzeinschätzung systematisch umsetzen
- Schmerzeinschätzung betrachtet mehrere Dimensionen
- Verlauf der kontrollierten Schmerzbehandlung beobachten
- Verlaufserfassung individuell festlegen
Die ausführliche Version der zugrundeliegenden Leitlinie sowie auch die Patientenversion, die von der Arbeitsgruppe „Schmerz und Alter“ der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. entwickelt wurde, kann unter: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/145-001 heruntergeladen werden. Die Patientenversion enthält detaillierte Erläuterungen für die einzelnen Ebenen der Schmerzeinschätzung, die sowohl für die Bewohnenden, Angehörigen sowie alle an der Versorgung beteiligten Menschen hilfreich sind.
Das vorrangige Ziel besteht darin, ein gemeinsames Verständnis von Schmerz und dessen Erleben, zu erreichen. Dies ist wesentliche Grundvoraussetzung, um eine gemeinsame Einschätzung des Schmerzerlebens und der vorhandenen Ressourcen bis hin zu notwendigen Unterstützungsmaßnahmen vorzunehmen.
Transparentes Schmerzerleben schafft Perspektive
Die Akzeptanz des Schmerzerlebens wird von Bewohnern sehr unterschiedlich beschrieben, so auch, ob und in welchen Situationen sie das Schmerzerleben als erträglich erachten. Zum Teil wird der Schmerz vor dem Hintergrund fehlender Informationen einfach ausgehalten. Hierbei ist jedoch bekannt, dass im differenzierten, informierten und gemeinsamen Austausch zwischen Bewohnern, Angehörigen und Behandelnden die Einschätzung zum Schmerzerleben und dessen Auswirkung eine andere Perspektive erhält und damit neu betrachtet werden kann. Danach erfolgen nicht selten Anpassungen und ggf. neue Zielsetzungen für die Behandlung, sodass entsprechende Maßnahmen in den Alltag der Bewohner integriert werden können, z. B. Anpassung von Aktivitäten im Tag-Nacht-Rhythmus oder Hilfsmittel.
Nun ist der Schmerz ein komplexes Phänomen und nicht allen Beteiligten sind diese Grundlagen bekannt. Regelmäßige Information, gemeinsamer Austausch und gezielte Schulungen zum Schmerz und dessen Auswirkungen auf den älteren Mensch, haben das Verständnis als auch die Sensibilisierung für Veränderung bei Bewohnern, Angehörigen und allen an der Versorgung beteiligten Menschen gefördert. Insbesondere sind Kenntnisse zu jenen Bewohnern, die ihren Schmerz nicht mehr ausreichend verbal, sondern non-verbal mit Verhaltensveränderungen mitteilen, zu vermitteln. Hier wird die Erfassung von „schmerzbedingten“ Verhaltensmerkmalen bzw. -veränderungen empfohlen, die systematisch mit entsprechenden Beobachtungsinstrumenten erfolgen kann. Entscheidend für alle Schmerzeinschätzungen ist es, im Falle von eingeleiteten Maßnahmen deren Wirkung in angemessenem Zeitraum zu bewerten, um frühstmöglich (sofern notwendig) weitere Anpassungen gemeinsam abzustimmen und umzusetzen.
Der partizipative Ansatz im Sinne eines gemeinsamen transparenten und kontinuierlichen Austausches aller Beteiligten wird somit einen Beitrag zur Erhaltung oder Erreichung der bestmöglichen Lebensqualität von Bewohnern und Bewohnerinnen leisten.
Der Artikel ist in der Ausgabe 02/2023 zu finden.