von Annemarie Fajardo (RN) M. Sc., Altenpflegerin, Diplom-Pflegewirtin (FH), Wirtschaftspsychologin, ehrenamtliche Vize-Präsidentin des Deutschen Pflegerates
Der Bedarf an Pflegepersonal ist in allen Versorgungsbereichen, von der Versorgung der Menschen im Krankenhaus über die stationären Pflegeeinrichtungen bis hin zu den ambulanten Pflegediensten, in den letzten Jahren stark gestiegen. Führungspersonen des Pflegemanagements suchen immer häufiger Pflegepersonal für die freien Stellen in ihren Einrichtungen, da der Bedarf des kranken oder pflegebedürftigen Menschen an pflegefachlicher Versorgung stetig gestiegen ist.
Jedoch verlassen auch immer mehr Pflegekräfte den Beruf, wechseln etwa in andere Versorgungsbereiche oder in eine andere Branche, wie den Einzelhandel oder die Logistik. Hierbei handelt es sich um Arbeitsfelder, die in der Regel bessere Arbeitsbedingungen anbieten, z. B. keine Nachtdienste oder Dienste an Sonn- und Feiertagen. In vielen Umfragen wird zumeist deutlich, dass Pflegekräfte den Beruf wegen der hohen Arbeitsdichte, der hohen psychischen Belastung oder etwa auch wegen des fehlenden Personals in den Betrieben verlassen. Demnach steigt der Druck weiter, Personal zu finden, die freien Stellen zu besetzen und schließlich noch die Arbeitsbedingungen so anzupassen, dass die Beschäftigten auch im Unternehmen bleiben wollen.
Politische Initiativen als Antwort auf den Pflegepersonalbedarf
Selbstverständlich soll die Politik auf diese seit vielen Jahrzehnten anhaltende Personalsituation reagieren. Gesetzesinitiativen wie das Pflegepersonalstärkungsgesetz (PpSG) oder das Gesetz zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung und Pflege (GPVG) sind nur einzelne wenige politische Antworten auf diese anhaltenden Personalprobleme, die sich insbesondere in der stationären Langzeitpflege stark abgezeichnet haben. Der beispielhafte Versuch, 13.000 zusätzliche Stellen für Pflegefachpersonen in der stationären Langzeitpflege zu schaffen, zeigt, dass der Bedarf an pflegefachlichen Leistungen erheblich gestiegen ist. Diese Stellen waren insbesondere für die medizinische Behandlungspflege vorgesehen und sollten durch die Krankenversicherung finanziert werden.
Hochrechnungen für den Personalbedarf in der stationären Langzeitpflege zeigen allerdings, dass diese 13.000 Stellen nur wenig bewirken können im Verhältnis zum tatsächlich benötigten Personal. Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW Köln, 2018) wird der Personalbedarf bis 2035 auf knapp 494.000 in der Langzeitpflege ansteigen. Es fehlen jedoch heute schon ca. 400.000 Pflegekräfte, so dass noch sehr viel tiefgreifendere Reformen auf den Weg gebracht werden müssen. Eine davon ist das Personalbemessungsverfahren für vollstationäre Pflegeeinrichtungen nach § 113c SGB XI, das ab dem 01. Juli 2023 in den Pflegesatzvereinbarungen nach § 84 Absatz 5 Satz 2 Nummer 2 SGB XI für vollstationäre Pflegeeinrichtungen mit den entsprechenden Personalvorgaben angewendet werden kann.
Pflegepersonalausstattung nach vorgegebenen Kategorien
Anhand dieser neuen Pflegepersonalbemessung für vollstationäre Pflegeeinrichtungen werden konkrete Anhaltswerte entlang des Pflegebedürftigkeitsbegriffs erstmals bundesweit vereinheitlicht. Bisher waren Vorgaben zur Personalausstattung nach Länderrecht gem. § 75 SGB XI geregelt. Bei genauerer Betrachtung der rechtlich vorgegebenen Personalausstattung nach § 113c Absatz 1 SGB XI können drei unterschiedliche Kategorien hinsichtlich des zu verhandelnden Personals identifiziert werden: 1. Hilfskraftpersonal ohne Ausbildung, 2. Hilfskraftpersonal mit landesrechtlich geregelter Helfer- oder Assistenzausbildung in der Pflege mit einer Ausbildungsdauer von mindestens einem Jahr und 3. Fachkraftpersonal. Die jeweiligen Anteile der Vollzeitäquivalente (z. B. Fachkraftpersonal: 0,3842 VÄ je Pflegebedürftiger des Pflegegrades 5) beziehen sich auf die unterschiedlichen Pflegegrade 1 bis 5 gem. § 14 SGB XI.
„Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft wird der Personalbedarf bis 2035 auf knapp 494.000 in der Langzeitpflege ansteigen. Doch es fehlen heute schon 400.000.“
Unter Betrachtung des Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) reichen diese drei eher grob beschriebenen Kategorien allerdings nicht aus, denn es können acht unterschiedliche Qualifikationsniveaus (QNs) unterschieden werden, die sich in ihrem Ursprung auf den Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR) und damit auch auf die Berufsanerkennungs-Richtlinie der Europäischen Union (EU-BAR) beziehen. Die generalistische Pflegefachperson (§ 1 PflBG) wird z. B. dem Niveau 4 zugeordnet. Die akademisch ausgebildete Pflegefachperson, die in der Regel über einen Bachelor-Abschluss im Fach Nursing Practice verfügt, wird hingegen dem Niveau 6 zugeordnet. Die neuen Vorbehaltsaufgaben sowie die neuen Ausbildungsziele entsprechend des neuen Pflegeberufegesetzes finden ebenso wenig Berücksichtigung in den neuen Personalvorgaben nach § 113c SGB XI und müssen daher zukünftig in die Pflegesatzverfahren von den verhandelnden Führungspersonen eigeninitiativ einbezogen werden.
Qualitative statt quantitativer Herausforderungen für das Pflegemanagement
Die eingangs beschriebenen Herausforderungen der Personalgewinnung in der stationären Langzeitpflege haben deutlich gemacht, dass es vordergründig immer auf die konkrete Anzahl der zu besetzenden Stellen ankommt. Dies scheint jedoch bei näherer Betrachtung der rechtlichen Vorgaben nicht das einzige Kriterium zu sein. Die bloße Menge an Personal erscheint vor dem Hintergrund des neuen Pflegeberufegesetzes und den Vorgaben der Europäischen Union nicht einzig und allein das finale Kriterium zu sein, um freie Stellen in den Pflegeeinrichtungen zu besetzen, besonders bei massiv steigenden Bedarfen. So mag es vielerorts in die politischen Diskussionen hineinpassen, wenn etwa 13.000 Stellen neu geschaffen werden und weitere Menschen für den Pflegeberuf gewonnen werden sollen, z. B. mithilfe von anhaltenden Rekrutierungsmaßnahmen, etwa durch Auslandsrekrutierung, durch Umschulungsmaßnahmen oder Ausbildungskampagnen.
Jedoch sind genauso die qualitativen Vorgaben hinsichtlich der Qualifizierungsniveaus und der neueren Berufsabschlüsse in die Prozesse der Personalgewinnung einzubeziehen. Diesen Herausforderungen haben sich nicht nur die Leitungspersonen in den Pflegebetrieben zu widmen, sondern vielmehr noch wäre es die Aufgabe der Politik, sich bei der Entwicklung bundesweiter Personalvorgaben in der stationären Langzeitpflege den qualitativen Anforderungen einer ganzen Berufsgruppe zuzuwenden.