Elf stationäre Einrichtungen beteiligen sich an dem Projekt, das die AOK Rheinland/Hamburg leitet. Die erste Bilanz fällt positiv aus.

von Kirsten Simon (Pressesprecherin, AOK Rheinland/Hamburg)

Berichte aus stationären Pflegeeinrichtungen handeln meist von Problemen. Es geht um Belastungen und Zwänge, die in der Pflege allzu häufig an der Tagesordnung sind und um einen Arbeitsalltag, der von vielfältigen Herausforderungen gekennzeichnet ist. Die kostbare Zeit und personelle Engpässe führen zu einem Druck, unter dem sowohl die Mitarbeitenden als auch die Bewohnenden leiden. Bei „SGB Reha“ ist vieles anders.

Was ist bei „SGB Reha“ anders?

Senioren sitzen im Kreis in einem hellen Raum und nehmen an einer Gruppenaktivität mit einem Ball teil.

SGB Reha soll Pflegeheimbewohnenden ein höchstmögliches Maß an Lebensqualität, Teilhabe und Selbstständigkeit ermöglichen – Foto: AOK Rheinland/Hamburg

SGB Reha – diese Abkürzung steht für „Sektorenübergreifende gerontopsychiatrische Behandlung und Rehabilitation in Pflegeheimen“. Das 2022 gestartete Projekt wird über den Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses gefördert. Es läuft vier Jahre lang und wird wissenschaftlich begleitet. Im Kern geht es darum, die Mobilität von Pflegebedürftigen zu stärken, ihre Selbstständigkeit zu fördern und die Lebensqualität zu steigern. Dieses soll über therapeutisch-rehabilitative Impulse gelingen, die sich an den Ressourcen der Pflegebedürftigen orientieren, niedrigschwellig sind und alltägliche Potenziale ausschöpfen. Dabei wird im Pflegealltag viel Wert auf das professionsübergreifende Zusammenspiel gelegt: Therapie, Medizin, Pflege, Betreuung und Pharmazie arbeiten Hand in Hand. So können therapeutische Interventionen und weitere Maßnahmen wie eine Reduktion der Medikamente sinnvoll bestimmt und auf jeden Bewohnenden zugeschnitten werden.

Warum ist das Projekt so erfolgreich?

Insgesamt elf stationäre Pflegeeinrichtungen aus Nordrhein-Westfalen und Hamburg beteiligen sich an SGB Reha. Die AOK Rheinland/Hamburg leitet das Projekt. Die Partner setzen darauf, dass das neue Konzept nicht nur zu positiven Effekten bei Bewohnenden führt, sondern dass diese Erfolge sowie die strukturierte Zusammenarbeit im Team auch die Zufriedenheit der Mitarbeitenden stärken – ein Aspekt, von dem langfristig die ganze Einrichtung profitiert.

„Es geht um ein neues, ganzheitliches Verständnis von Pflege“, sagt Matthias Mohrmann, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der AOK Rheinland/Hamburg. „Unsere Gesellschaft braucht eine Pflege, die sich an den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen orientiert und bessere Rahmenbedingungen für die Pflegekräfte schafft.“ Perspektivisch könne SGB Reha auch die Attraktivität von Pflegeberufen in der öffentlichen Wahrnehmung verbessern.

Pflegealltag „überleben“ oder höhere Ziele anstreben?

Pflegekräfte und Senioren in Gesprächsrunde am großen Tisch in gemütlichem Gemeinschaftsraum.

Multiprofessionelle Fallbesprechung des Teams – Foto: AOK Rheinland/Hamburg

Wie sieht der Pflegealltag aus, wenn therapeutisch-rehabilitative Impulse in die Arbeit einfließen? Ein Beispiel aus einer Einrichtung im Rheinland zeigt dies: Kurt E., ein Mann Anfang 80, hat nach einem Sturz das Vertrauen in die eigenen Beine und seine Beweglichkeit verloren und zieht sich zurück. In den multiprofessionellen Fallbesprechungen nimmt das Team die psychische und körperliche Situation des Mannes genau in den Blick und berät, welche Maßnahmen Herrn E. wirklich helfen. Bei dieser Planung stehen die Wünsche und Bedürfnisse des Bewohners im Mittelpunkt. Die ersten kleinen Erfolge lassen nicht lange auf sich warten: Schritt für Schritt und durch tägliche Übungen während der pflegerischen Versorgung wird Kurt E. sicherer und gewinnt an Selbstvertrauen. Seine Fortschritte machen ihn stolz und glücklich, er nimmt an Gymnastikangeboten und Gesprächsrunden teil. Bald gelingt es ihm, sich innerhalb des Wohnbereichs wieder eigenständig fortzubewegen. Das nächste Ziel rückt näher: Herr E. möchte nach draußen, er möchte ohne fremde Hilfe auf Entdeckungsreise durch den Garten der Einrichtung gehen.

„SGB Reha zielt darauf ab, Pflegeheimbewohnenden ein höchstmögliches Maß an Lebensqualität, Teilhabe und Selbstständigkeit zu ermöglichen“, sagt Matthias Mohrmann. Im Projekt erhalten die Einrichtungen zusätzliche finanzielle Mittel für die Umsetzung des Pflegeansatzes. „Primär“, so Mohrmann, „geht es aber nicht nur darum, das Personal aufzustocken. Im Mittelpunkt steht eine neue Kultur der Zusammenarbeit verschiedener fachlicher Disziplinen, die in die vorhandene Struktur eingebettet wird.“

Fazit

Bislang berichten alle an SGB Reha teilnehmenden Einrichtungen von positiven Erfahrungen hinsichtlich der Pflegebedürftigkeit vieler Bewohnenden. Mit Freude beobachten auch die Pflegebedürftigen selbst, wie sie verloren geglaubte Fähigkeiten reaktivieren. Sie trauen sich mehr zu, werden aktiver und motivierter.

Matthias Mohrmann

Matthias Mohrmann, stell­vertretender Vorstands­vorsitzender der AOK Rheinland/Hamburg – Fotos: AOK Rheinland/Hamburg

Davon berichtet auch Jan Gawol, der das Cellitinnen-Seniorenhaus Maria Einsiedeln in Bonn leitet: „Wo früher oft auf den Rollstuhl zurückgegriffen wurde, nehmen sich unsere Mitarbeitenden heute Zeit, die Menschen entweder mit dem Rollator oder am Arm zu begleiten. Das schafft nicht nur Bewegung, sondern außerdem Selbstvertrauen, Freude und eine höhere Lebensqualität. Nachdem sie intensiv geschult worden sind, fördern unsere Pflegeteams noch engagierter und kreativer die Mobilität und Eigenständigkeit.“ Dazu wurde beispielsweise ein ehemaliger Büroraum in eine kleine Turnhalle umgewandelt. Massageliege, Sprossenwand und andere nützliche Geräte werden seitdem in das Behandlungsprogramm eingebaut. Auch die soziale Betreuung wird aufgewertet. Neben Physio- und Ergotherapie gehören jetzt Tierbesuche und Tanzangebote zum Programm und werden bestens angenommen. Perspektivisch sollen die Möglichkeiten der Musik weiter ausgeschöpft werden. Geplant sind Trommel-Workshops und die Weiterbildung einer Mitarbeiterin zur Musikgeragogin.

Die Projektgelder erlauben es, zusätzliche Therapeuten auf Honorarbasis einzusetzen. „Kunsttherapie, Ergotherapie und Physiotherapie können wir mittlerweile auch unabhängig von ärztlichen Rezepten und ohne den Druck knapper Zeitvorgaben anbieten“, sagt Jan Gawol. Er lobt, dass finanzielle Mittel gezielt in Maßnahmen fließen, die die individuellen Potenziale der älteren Menschen fördern. „Diese Investition ist nicht nur ein Gewinn für die Betroffenen, sondern kann langfristig auch Kosten sparen.“

Matthias Mohrmann von der AOK Rheinland/Hamburg betont, dass SGB Reha die Pflege zwar nicht neu erfinde, aber den strukturierten Rahmen für eine individuelle Versorgungsplanung schaffe. „In unserem gegenwärtigen Pflegesystem verschenken wir Chancen und Potenziale.“ Die Gesellschaft könne sich eine patientenorientiertere Pflege leisten. „Davon profitieren die Pflegebedürftigen, die Pflegekräfte, aber auch die gesamte Volkswirtschaft.“

SGB Reha: Das Wichtigste in Kürze

Projektlaufzeit: 1. Juli 2022 bis 30. Juni 2026

Projektleitung: AOK Rheinland/Hamburg – Die Gesundheitskasse

Partner: Universität Potsdam, Medizinische Hochschule Brandenburg Theodor Fontane Evangelische Altenhilfe Mülheim an der Ruhr gGmbH Deutsche Akademie für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie e. V.

Kooperierende Einrichtungen: Haus St. Raphael, Aachen Cellitinnen-Seniorenhaus Maria Einsiedeln, Bonn Cellitinnen-Seniorenhaus St. Ritastift, Düren Karl-Heinz-Balke-Haus, Essen Albertinen Haus – Zentrum für Geriatrie und Gerontologie, Hamburg Hospital zum Heiligen Geist mit Oberalten-Stift, Hamburg Residenz am Wiesenkamp, Hamburg Cornelius-de-Greiff-Stift, Krefeld Seniorenheim Linn, Krefeld Wöllner-Stift gGmbH, Rösrath Seniorenheim Haus Maria Regina, Wadersloh-Diestedde

Zielgruppe: Versicherte ab 65 Jahren aller gesetzlichen Krankenkassen, die in den teilnehmenden Einrichtungen leben und die Kriterien der Studie erfüllen.

Ziele: Mit Blick auf die Bewohnenden: Erhaltung von Mobilität und Verbesserung der Alltagsfertigkeiten, Aktivierung und Stärkung der Teilhabe, Steigerung der Lebensqualität, Optimierung der Medikation

Mit Blick auf die Mitarbeitenden: Steigerung der Arbeitszufriedenheit im multiprofessionellen Team, Neue Chancen für Entwicklung und Bindung der Mitarbeitenden

Studie Wissenschaftliche Begleitevaluation: randomisierte, kontrollierte Studie im Stepped-Wedge-Design

Das Projekt „SGB Reha“ wird mit Mitteln des Innovationsausschusses beim G-BA unter dem Förderkennzeichen 01NVF21108 gefördert. Nach der Förderlaufzeit wird der Gemeinsame Bundesausschuss das Projekt bewerten. Primäres Ziel ist eine Überführung des therapeutisch-rehabilitativen Ansatzes in die Regelversorgung.

Weitere Informationen unter: https://www.aok.de/pp/rh/zukunft-der-pflege/

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 01/2025 erschienen.

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