von Moritz Hillebrecht, Kristina Greißl, Julia Senneke und Stephanie Stadelbacher

Die Versorgung, Pflege und Betreuung von pflegebedürftigen Menschen im allgemeinen und Senior*innen im Besonderen, ist in unserer Gesellschaft ein Thema, das öffentlich immer wieder kontrovers diskutiert wird. Dabei kommt insbesondere der Frage, wie Selbstbestimmung und Würde innerhalb eines vollstationären Versorgungskontextes her- und sicherzustellen ist, eine besondere Relevanz zu. Denn Pflegeheime erfahren nach wie vor nur wenig positive Resonanz: Ein Einzug gilt in der Regel als möglichst zu vermeidende Notfalloption, dem der Verbleib im eigenen Zuhause in den allermeisten Fällen unter fast allen Umständen vorgezogen wird. Gleichzeitig steigt die Zahl an Pflegeheimbewohner:innen in Deutschland seit mehreren Jahren kontinuierlich an.

Forschungs- und Praxisprojekt SeLeP

Vor diesem Hintergrund stellte das vom Bundesministerium für Gesundheit geförderte Forschungs- und Praxisprojekt „SeLeP: Selbstbestimmtes Leben im Pflegeheim – Die Würde des pflegebedürftigen Menschen in der letzten Lebensphase“ (02/2019 bis 04/2021), das am Zentrum für Interdisziplinäre Gesundheitsforschung an der Universität Augsburg unter Leitung von Prof. Dr. Werner Schneider (Soziologie) und Prof. Dr. Kerstin Schlögl-Flierl (Moraltheologie/Ethik) durchgeführt wurde, die Frage, wie das Heim als Lebensort für ältere, pflegebedürftige Personen so gestaltet werden kann, dass es für die Bewohner:innen, aber auch die dort Arbeitenden ein gutes Leben möglich macht. Dazu zählen zuvorderst ein würdevolles Miteinander und Selbstbestimmung bzw. Mitwirkung im Alltag, wie sie auch die „Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen“ (BMFSFJ/BMG 2018) hervorhebt.

Der Forschungsfokus von SeLeP lag dementsprechend auf dem alltäglichen Miteinander zwischen den verschiedenen Akteur:innen in Pflegeeinrichtungen. Ausgangspunkt war die Annahme, dass Selbstbestimmung und Würde nicht einfach vorhanden sind und nur berücksichtigt werden müssen, sondern immer erst interaktiv, im Handeln als subjektive Erfahrungen hergestellt werden müssen (relationale Autonomie).

Eine besondere Rolle nehmen hierbei die Pflegekräfte ein, die – so ein zentraler Befund des Projekts –, im alltäglichen Miteinander durch spezifische Handlungsstrategien (Rahmen-)Bedingungen schaffen, die es den Bewohner*innen ermöglichen, trotz bestehender kognitiver, psychischer und physischer Einschränkungen Selbstbestimmung und Würde zu erfahren. Diese Handlungsstrategien lassen sich analytisch als Formen der Ermöglichung, der Aktivierung oder des Zulassens voneinander abgrenzen. Formen der Ermöglichung umfassen z. B. individuelle Hilfe bei der Fortbewegung, beim Selbst-Ankleiden oder Essen, denn hier kommt es darauf an, den kommunizierten Willen eines*r Bewohners*in zu erkennen und zur Umsetzung zu verhelfen. Bei den Formen der Aktivierung geht es hingegen stärker darum, Bewohner*innen zur Willensbildung und Wunschäußerung zu animieren. Beispiele für Formen des Zulassens betreffen die Respektierung von Verweigerungen auf Seiten der Bewohnerschaft, etwa wenn jemand nicht regelmäßig duschen möchte oder die Teilnahme am Betreuungsangebot und anderen Veranstaltungen im Heim ablehnt.

Offenheit und Flexibilität bei den organisationalen Abläufen fördern

Alle drei Handlungsstrategien erfordern auf Seiten der Pflegekräfte jeweils eine auf den*die individuelle*n Bewohner*in gerichtete Aufmerksamkeit und Sensibilität sowie eine gewisse Flexibilität. Voraussetzung dafür wiederum bildet eine gewisse Offenheit und Flexibilität bei den organisationalen Abläufen, welche es dem Personal überhaupt erst erlaubt, sich die Zeit sowie den Gestaltungs- und Handlungsspielraum zu nehmen, um die Maxime der Bewohnerorientierung im Heimalltag umsetzen zu können. Nur dann lässt es sich tatsächlich realisieren, auf die vielfältigen Interessen und Wünsche der heterogenen Bewohnerschaft eingehen zu können, um die Begleitung und Versorgung der Bewohner*innen im Allgemeinen sowie die Herstellung und Förderung von Selbstbestimmung und Würde im Besonderen bedürfnisgerecht und am Einzelfall orientiert zu gewährleisten. Dieser Anspruch stellt jedoch sehr hohe Anforderungen an das involvierte Pflege- und Betreuungspersonal im Heim, dessen Bedarfe und Bedürfnisse für einen guten Arbeitsalltag innerhalb der Organisation Pflegeheim ebenfalls Berücksichtigung finden müssen, um einem sog. ‚Cool-Out‘ beim Personal präventiv entgegenzutreten.

Weitere Informationen und Ergebnisse zu SeLeP finden sich unter www.pflegenetzwerk-deutschland.de/selep.

Der Artikel ist in der Ausgabe 02/2021 zu finden.

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