von Armando Sommer, Wir Sind Altenpflege e. V.

Vier, fünf oder sechs Stunden täglicher TV-Konsum sind eher die Regel als eine Ausnahme und oft läuft irgendwo ein Radio. Bei zu Pflegenden mit fortschreitender Demenz treten jedoch nach und nach immer größere Verständnis- und Konzentrationsprobleme auf.

Webradio Aushang mit Kurzerklärung

Webradio Aushang mit Kurzerklärung – Foto: Wir Sind Altenpflege

Das Fernsehprogramm ist für viele Senioren wichtig, um den Tag und die Woche zu strukturieren. So ist die Tagesschau um 20:00 Uhr ein wichtiger Orientierungspunkt bei der Gestaltung des Abends. Das „Wort zum Sonntag“ wiederum läutet das Wochenende ein. Diese Struktur geht durch eine demenzielle Erkrankung mehr und mehr verloren. Außerdem werden zu Pflegende anfälliger für eine Reizüberflutung. In diesem Zustand nehmen zu Pflegende mehr Reize auf, als sie verarbeiten können. Diese Überforderung äußert sich bei Demenzkranken häufig in körperlichen und mentalen Unruhezuständen.

Das gleiche Prinzip trifft bei der heutigen Gestaltung der Radiosender zu. Verantwortlich dafür ist die beschleunigte Erzählweise moderner Rundfunkproduktionen. Die schnelle Schnittfolge sowie die Nutzung neuer Technologien für Gesprächsmitschnitte, Telefonkonferenzen oder Chats überfordern häufig die zu Pflegenden. Sie sind an ruhige Programmabläufe, behutsame Moderation und längere Dialoge gewöhnt. Vor allem aber auch an Sendungen mit weniger oder keiner Werbung. Eher waren es Verbrauchertipps, journalistische Arbeit, redaktionelle Beiträge und Sendungen mit Unterhaltungswert, die früher den Rundfunk prägten.

Verwirrung durch ungeeignete Radiosender

BroadcastMySelf - App für Android

BroadcastMySelf – App für Android – Foto: Wir Sind Altenpflege

iziCast - App für IOS

iziCast – App für IOS – Foto: Wir Sind Altenpflege

Mehr oder weniger über alle Verbreitungsebenen hinweg kennen die Programmstrukturen des kommerziellen Hörfunks hauptsächlich ein Vorbild: das formatierte Musikradio US-amerikanischer Herkunft. Frühere deutsche Vorbilder haben an Bedeutung verloren und sich selbst in Richtung Formatradio entwickelt. Diese Radioformate sind durchweg Produkte einer Konkurrenzsituation. Sie zielen konsequent darauf ab, Marktsegmente zu erobern. Im wichtigsten Sektor, dem der Musikradios, ist der Musikgeschmack bestimmter Altersgruppen der Dreh- und Angelpunkt für die Konzeption eines Programmes. Das erfolgreichste Format richtet sich an die Altersgruppe der 25- bis 49-jährigen. Es sind also Programme für die kaufkräftigste und konsumfreudigste Gruppe der Erwachsenen. Hinzu kommt, dass Playlists manchmal nicht länger als 40 Titel sind und bis zu 8 mal am Tag wiederholt werden.

Die Sender entwickeln eine „channel identity“ und legen die dazugehörigen Elemente und Regeln bis ins Einzelne fest. Jenseits der Musik werden Vorgaben für Moderation, Nachrichten, weitere Wortelemente, die Werbung und nicht zuletzt die Eigenwerbung des Senders konzipiert. Aus diesen Elementen entstehen „Sendeuhren“, in denen genauestens geregelt ist, was zu welcher Zeit (wieder-)kommt, etwa die Nachrichten zur vollen Stunde, der Wetterbericht davor oder danach, die Werbung um Viertel vor und Viertel nach usw. Die Musikauswahl spielt dabei eine große Rolle. So sind beispielsweise am Morgen „Wachmacher“ gefragt. Ebenso ist auch die Moderation der Tageszeit entsprechend angelegt. Allerdings immer und stets mit dem Blick auf die kaufkräftige Zielgruppe der 25- bis 49-jährigen.

Dieses Konzept setzt primär auf populäre internationale Unterhaltungsmusik, Service vor allem für Autofahrer und Nachrichten stündlich, am Morgen oft sogar halbstündlich. Weitere Kennzeichen sind die durchgehende Moderation, die Reduktion aller Wortbeiträge auf eine programmverträgliche Kürze, die Durchlässigkeit des Programmschemas für aktuelle Meldungen und die vielfältigen Versuche, die Hörer über Wunschsendungen, Spiele, Hotlines etc. zu beteiligen und an sich zu binden.

Der passende Sender für Ihr Haus

In die von älteren Menschen oft als hektisch wahrgenommenen Sendungen mischen sich in der Regel zusätzlich die Umgebungsgeräusche der Einrichtung. Der Radiosender geht jedoch von einem vergleichsweise kleinen und geschlossenen Raum aus, wie dem Büro, der Küche oder dem Auto aus und passt auch deswegen nicht zum Alltag und der Umgebung eines Altenheimes. Hinzu kommt, dass die meisten Radios eher ein Medium zur Alleinunterhaltung sind. Darum haben Ladengeschäfte, Supermärkte, Einkaufszentren, Hotels oder Wellnesseinrichtungen in der Regel an Stimmung, Saison und Klientel orientierte Playlists und ggf. eine eigene „Moderation“, die relevante Mitteilungen oder Informationen vermittelt.

Mit Webradio gibt es also die Möglichkeit, eigene Sendeformate für ganz spezifische Zwecke oder Zielgruppen zu schaffen. So bietet „Wir Sind Altenpflege“ kostenfrei und ohne Werbung einen Sender, auf dem zu vier definierten Sendezeiten passende Musik aus einem Fundus von mehr als 1.000 Titeln gespielt wird. Einrichtungen können auch eigene Sender einrichten, Sendezeiten definieren und den Situationen entsprechend passende Playlists abspielen. Es kann in der Einzelbetreuung oder auf einem Wohnbereich individuell zwischen Geburtstagsliedern oder beruhigender Musik in der Nacht gewählt werden.

So lassen sich, statt konsumorientierten, erinnerungsorientierte Sendeformate gestalten. Für Träger, einzelne Häuser, Wohnbereiche oder Betreuungsangebote können Inhalte arrangiert werden. Wichtige Nachrichten können als Rubrik in „Aktuelles“ aufgelistet und zu bestimmten Sendezeiten oder auf Abruf abgespielt werden.

Ein Sender für das ganze Umfeld

Tablet iPad mit App iOS und verbundenem Webradio

IPad verbunden mit dem Webradio – Foto: Wir Sind Altenpflege

Für Angehörige oder Mitarbeiter lassen sich beispielsweise eigene Videobotschaften oder Beiträge einbinden, ohne das Programm für die zu Pflegenden zu stören.

Angehörige oder interessierte Bürger der Region können auf den Radiosender des Hauses einfach über das Internet zugreifen. Heimleitungen, Pflegedienstleitungen oder Leitungen des Sozialen Dienstes haben damit ein „Sprachrohr“. Sie können einen täglichen Lagebericht gestalten oder das Stimmungsbild auf den Wohnbereichen spiegeln und von alltäglichen Dingen berichten. Es lassen sich Hilfegesuche, Aufrufe oder essentielle Informationen herausgeben. Sender können als Haus, im regionalen Verbund oder als Träger agieren. Auch Ehrenamt, Gemeinde oder der Förderverein kann Moderationen übernehmen – ohne sich in einer Einrichtung aufzuhalten.

Für die Moderation stehen frei verkäufliche Apps für einmalig rund 5€ zur Verfügung. Mit einer solchen App wird ein Smartphone oder Tablet zum Studio. So können auch mehrere Moderatoren ortsunabhängig agieren. Per Knopfdruck kann im laufenden Programm moderiert werden und alle Zuhörer empfangen die Nachrichten oder Beiträge. Wählen Sie selbst aus, zu welchen Sendezeiten und welchen Themen wer, was, wann und wie oft übertragen wird.

Mit Webradio lassen sich also Radiosender für die Altenpflege einfach und klientelgerecht für alle Beteiligten umsetzen.

Praxistipps

  • Gestalten Sie einen Wetterbericht bei dem Sie, statt auf Tief- oder Hochdruckgebiet Ina, darauf hinweisen: „Wenn Sie heute den strahlenden Sonnenschein genießen wollen, sind warme Socken angebracht. Der Spaziergang findet vor dem Mittagessen statt, weil wir am Nachmittag mit Regenschauern rechnen.“
  • Mit eigenen Tagesnachrichten können Sie sich, statt auf einen Konflikt im Nahen Osten, auf die Geschehnisse im Ort konzentrieren. Mit einer angepassten Geschwindigkeit in der Moderation werden Sie sicher interessierte Zuhörer haben, wenn Sie darüber berichten, wie z. B. die örtlichen Sportvereine abgeschnitten haben.
  • Vielleicht reanimieren Sie aus früheren Zeiten die Sendung „Erkennen Sie die Melodie?“. Orientieren Sie sich ggf. an erfolgreichen Sendungen, wie dem „Sonntagsrätsel“ oder „Reisen damals“ und gestalten Sie erinnerungsorientierte Sendungen für Menschen mit Demenz.

Kurzinfo

Armando Sommer
1. Vorsitzender
Wir Sind Altenpflege e.V.
www.wir-sind-altenpflege.de
mail@wir-sind-altenpflege.de
Tel: 02737-2269854

Der Artikel ist in der Ausgabe 02/2020 zu finden.

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