von Ina Wasilkowski (Greizer Senioren- und Pflegeheim gGmbH)

Logo: Dänisch-Deutsche-Pflegeallianz

Logo: Dänisch-Deutsche-Pflegeallianz

Die Dänische Botschaft hatte mit der Krankenhausallianz bereits ein Kooperationsbündnis gegründet und dieses nun seit März 2022 auf die Pflegeallianz ausgeweitet.

Ziel ist es, in Zeiten stetig wachsender Herausforderungen in der Pflege einen länderübergreifenden Dialog entstehen zu lassen, von den jeweiligen Erfahrungen zu profitieren und gemeinsam Lösungen für die anstehenden Aufgaben zu finden.

Geplant sind, neben einem regelmäßigen Austausch über die jeweiligen Erfahrungen, gegenseitige Besuche, insbesondere Besuche deutscher Einrichtungen von dänischen Akteuren und eine Stärkung der wirtschaftlichen Beziehungen, da die technologische Unterstützung eine wichtige und viel größere Rolle in der dänischen Pflege spielt.

Besonderheiten der Pflege in Dänemark

Weshalb sind Begriffe wie Pflegenotstand und Fachkräftemangel keine solchen Brennpunktthemen wie hierzulande? Nach meinem Eindruck ist das Verständnis von Pflege bereits vom Ansatz her ein anderes. Es setzt bei vergleichbarer demografischer Entwicklung wesentlich früher und präventiver an, noch bevor Pflegebedürftigkeit im eigentlichen Sinne entsteht, stellt die Wahrung der Lebensqualität und Eigenständigkeit durch weniger Formalisierung noch mehr in den Mittelpunkt, lässt Pflege für die Betroffenen bezahlbar bleiben und lebt den Grundsatz „Menschlichkeit vor Bürokratie“.

Die dänische Pflege basiert auf 5 Grundwerten, die auch im Rahmen des Forums der Dänisch-Deutschen Pflegeallianz vermittelt wurden und die natürlich auch bei uns keine Fremdwörter sind:

  • Einflussnahme auf das eigene Leben
  • Respekt vor der Vielfalt
  • Fokus auf die Menschlichkeit
  • Täglich gute Erfahrungen
  • Würdiges Ende des Lebens

Aber während bei uns erst aufwändige Antragsverfahren erforderlich sind und ein Pflegegrad vom Medizinischen Dienst festgestellt sein muss, der den Pflegebedürftigen ein Stück weit zum Hilfeempfänger degradiert, hat in Dänemark grundsätzlich jeder betagte Mensch Anspruch auf Unterstützung. Der Bedarf wird individuell festgelegt und kann vielfältig gestaltet sein, egal ob es sich um Haus- und Gartenarbeit, Einkäufe oder Begleitung zu Behörden oder Ärzten handelt.

Wie sieht die stationäre Pflege aus?

Natürlich bin ich als Vertreterin eines kommunalen Trägers, dessen Schwerpunkt im Bereich der stationären Langzeitpflege liegt, auch mit den Vorzügen von Pflegeeinrichtungen bestens vertraut und weiß, dass diese Vollversorgung für viele Menschen besser geeignet ist und einen absolut berechtigten Platz in der Pflegelandschaft hat. Manche körperlichen oder psychischen Einschränkungen überschreiten einfach die Grenzen einer ambulanten Unterstützung oder lassen diese gar verantwortungslos erscheinen, weil eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung erforderlich ist.

Schwerpunkt ist ebenso im stationären Bereich die Förderung von Lebensqualität und allgemeinem Wohlbefinden, hinter welcher sich die medizinische Pflege und Betreuung sekundär anschließt oder bei Notwendigkeit parallel stattfindet. Insoweit haben Pflegeeinrichtungen weniger Klinikcharakter, als dies häufig noch in Deutschland der Fall ist, wo selbst verbal oft noch von Stationen gesprochen wird und nicht von Wohnbereichen und sie sind scheinbar weniger institutionalisiert.

Die Einführung von sogenannten Wohlfahrtstechnologien und künstlicher Intelligenz zur Unterstützung von Bewohnern und Pflegekräften erfährt eine hohe Nachfrage und spielt eine zentrale Rolle, weshalb auch die Zusammenarbeit mit technologischen Unternehmen und Dienstleistern stark gefördert wird und einen wichtigen Beitrag zur Qualität in der Pflege leistet. Ich habe mir mit Interesse die Vorstellung eines digitalisierten Lagerungssystems angesehen, das die Pflegekräfte entlasten und einem Dekubitus vorbeugen soll, Pflegeroboter mit vielfältigen Funktionalitäten, voll automatisierte Schaukelstühle zur Beruhigung demenziell Erkrankter, etc.

Finanzierung ist für jeden möglich – wie?

Wie schaffen es die Dänen, das alles auch noch mit weniger finanzieller Belastung für die Pflegebedürftigen bezahlbar umzusetzen? Weil Pflege überwiegend über Steuergelder finanziert wird und im Wesentlichen Aufgabe der Kommunen ist. Das gilt, wie gesagt, auch für die Seniorenheime, die fast ausschließlich kommunal betrieben und staatlich finanziert werden. Während die ambulante Pflege kostenfrei ist, kommt die stationäre Pflege mit einem geringen Eigenanteil aus. Die meisten Dänen können mit ihrer Grundrente einen Platz im Pflegeheim bezahlen und bei wem diese nicht ausreicht, zahlt der Staat den fehlenden Betrag.

Was muss sich ändern?

Natürlich möchte ich nicht als Fazit stehenlassen, das deutsche Pflegesystem sei hinterwäldlerisch oder uns seien eine personenzentrierte Pflege oder der Grundsatz ambulant vor stationär fremd. Keineswegs.

Unsere Pflegekräfte leisten eine bewundernswerte Arbeit, aber gerade sie sind es, die zu einer selbstbestimmteren und vor allem unbürokratischeren Pflege zurückkehren möchten. Gerade die Mitarbeiter unserer Einrichtungen schildern mir häufig, dass sie ihren Beruf immer wieder ergreifen würden und mit Herzblut pflegen, wenn man sie denn ihre eigentliche Arbeit machen lassen würde. „Wir dokumentieren, planen und verwalten uns noch zu Tode und für die Pflege am Bewohner bleibt immer weniger Zeit“, so erst neulich die Aussage einer Mitarbeiterin.

  • Haben Gesetzgeber und Politik so wenig Vertrauen in die Fachlichkeit unserer Pflegekräfte?
  • Wird Qualität wirklich messbarer und vor allem besser, wenn wir möglichst viel aufschreiben, melden, prüfen und Indikatoren erheben?
  • Warum kommt die viel zitierte Entbürokratisierung bei den pflegenden Menschen so nicht an?
  • Würde es nicht die angespannte Personalsituation erheblich entlasten, wenn Pflegekräfte nicht erschöpft und ausgebrannt aus der Pflege getrieben würden, sondern wieder gern auf Arbeit kämen, weil mehr Zeit für Pflege bleibt?
  • Weil man sich weniger mit Anträgen auf Höherstufung, MD-Prüfungen, dem Dschungel an Corona-Regelungen und Formalismus auseinandersetzen muss?

Fakt ist, dass Struktur und Finanzierung des deutschen Pflegesystems dringend einer Reform bedürfen.

Wir brauchen mehr Angebote zur Vermeidung oder Verzögerung von Pflegebedürftigkeit und ein Pflegebedürftiger sollte nicht mit aufwändigen Verfahren um dringend benötigte Hilfsmittel kämpfen müssen, die manchmal erst genehmigt werden, wenn es zu spät ist.

Fazit: Krisen als Chancen sehen!

Es gibt auf jeden Fall viel zu tun und auch wenn in Dänemark gleichermaßen nicht alles Gold ist, was glänzt und nicht alle Fragen allgemeingültig beantwortet werden, so können wir doch voneinander lernen und sollten immer offen dafür sein, über den Tellerrand zu schauen und Erfahrungen miteinander zu teilen. Innovative und nachhaltige Lösungen für die demografischen Herausforderungen der Zukunft finden wir nicht allein, denn sie erfordern gemeinsame Strategien.

Unseren Pflegekräften das gleiche hohe Ansehen und eine attraktive Vergütung wie in Dänemark zukommen zu lassen, ist sicher schon mal ein erster Schritt in die richtige Richtung, auch wenn das allein die Krise nicht bewältigt, in der die Pflege unbestritten steckt.

Aber sehen wir es mal positiv: Dass aus Krisen Chancen erwachsen, ist eine Weisheit, die sich auf jedem Kalenderblatt findet. Und tatsächlich haben wir meist erst die Kraft für echte Veränderungen und Umbrüche, wenn wir mit dem Rücken zur Wand stehen und gezwungen werden, zu handeln.

Insoweit sind die herausfordernden Zeiten günstig, Pflege neu und zukunftsfähig zu denken und auf diesem Weg geht es nach meinem Dafürhalten nicht darum, andere Modelle zu kopieren, da Lösungen immer individuell sind. Aber wir sollten offen sein für die Sichtweisen und Strategien anderer Länder und da ist die Dänisch-Deutsche Pflegeallianz ganz sicher eine begrüßenswerte Kooperation.

Der Artikel ist in der Ausgabe 01/2023 zu finden.

Halten Sie sich auf dem Laufenden!

Unser Newsletter ist exklusiv für Einkauf und Management von Senioreneinrichtungen und Trägergesellschaften gedacht und erscheint quartalsweise. Melden Sie sich jetzt an!

Seniorenheim-Magazine 02/2023 und 01/2024