von Nina Lauterbach-Dannenberg

Nina Lauterbach-Dannenberg - Foto: KDA

Nina Lauterbach-Dannenberg – Foto: KDA

Wenn Sie jemand fragt, ob es in Ihrer Einrichtung kulturelle Beteiligungsmöglichkeiten gibt, werden Sie dies sicher bejahen. Schließlich gibt es den Sozialen Dienst, der kreative Angebote als Qualitätsmerkmal Ihrer Einrichtung umsetzt. So werden „Ihre“ Senioren jahreszeitliche Feste kreativ gestalten, gemeinsam altes Liedgut singen und in Malgruppen ihre Fähigkeiten erhalten. Doch sprechen wir bei diesen Aktivitäten bereits von kultureller Teilhabe? Kim de Groote zeigte 2013 in ihrer Studie zu den Bedürfnissen von Älteren in kulturellen Bildungsangeboten, dass ältere Menschen ein ebenso großes Bedürfnis haben wie Jüngere, sich kulturell zu beteiligen und sich im Bereich ihrer kreativen Bedürfnisse weiterentwickeln möchten. Um dieses Bedürfnis zu befriedigen, greifen Angebote, die nur auf Geselligkeit und Beschäftigung ausgerichtet sind, zu kurz. Ältere wünschen sich qualitätsvolle Angebote, die nicht allein gesundheitsfördernde oder zeitvertreibende Ziele verfolgen, sondern ihre kulturelle Aktivität und Kreativität fordern und fördern – sie also nicht nur beschäftigen! Sie möchten bei der Entstehung einer Idee einbezogen werden und ihr Potenzial entfalten. Und wie viel dieses Potenziales steckt in einem langen Leben? Eine ganze Menge. Wir müssen es nur sichtbar machen! Das gilt im Übrigen nicht nur für die „fitten Alten“: Sogar Menschen mit kognitiven Veränderungen, z. B. einer Demenz, können aktiv und partizipativ Kunst gestalten und erleben und so Genuss, Freude und neue Erfahrungen miteinander teilen.

Wie das gelingen kann, zeigt Theaterpädagogin Jessica Höhn mit ihrem Theater Demenzionen: Höhn hat Theaterproduktionen für Hochaltrige und Menschen mit Demenz in den Alltag von Pflegeeinrichtungen hineingetragen und dabei mit einem interaktiven Theateransatz gearbeitet. Dieser ermöglicht jedem Zuschauer ein lebendiges und greifbares Theatererlebnis, in dem schöne Momente, Freude und Lebendigkeit mit Theaterspiel initiiert und der Rahmen für kulturelle Teilhabe ermöglicht wird. Dabei sind die vorhandenen Fähigkeiten und Kompetenzen jedes Spielers der Ausgangspunkt des Stückes. Menschen mit Demenz besäßen, so die „Haltung“ der Theaterpädagogin, aus sich selbst heraus ein großes Talent zum Theaterspielen. Sie lebten im Moment, gäben ihren Bedürfnissen und Gefühlen leichter nach und ließen sich von der Freude am Theaterspielen regelrecht mitreißen. Eine Ressource, die vielen „gesunden“ Menschen fehle. Die Regisseurin und die Senioren treffen sich „auf Augenhöhe“ und sind gemeinsame und aktive Gestalter ihrer eigenen Stücke. Höhn stellt fest: „Im Theater ist alles möglich – aus dem allerkleinsten Impuls kann etwas entstehen und auf der Bühne ganz groß werden!“ Die Demenzionen sind natürlich nicht das einzige Projekt, das ältere Menschen zu Eigenengagement und Mitgestaltung in Kunst und Kultur ermutigen soll: Der Altenpfleger Andreas Vincke gestaltet seit 2009 als Hobbyfotograf jedes Jahr unter dem Motto „Schönheit im Alter“ einen Foto-Kalender mit Seniorinnen und Senioren einer Einrichtung und wurde so überregional bekannt. Das Projekt Lebensbilder der Fotokünstler Jörg Meier und Iris Wolf, inszeniert Biografien von Besucherinnen und Besucher einer Tagespflege fotografisch und zeigt diese dann in einer öffentlichen Ausstellung. Ein weiteres Beispiel ist der „Drum-Circle“ von Ricarda Raabe, die Bewohnerinnen, Tagespflegegäste und Mitarbeitende, Angehörige und Freunde, und engagierte Nachbarinnen „zusammentrommelt“, um sich gemeinsam einem Rhythmus hinzugeben – bei dem es egal ist, wer Demenz hat und wer nicht.

Wie, werden Sie sich fragen, kann ich diese besondere Form der kulturellen Teilhabe auch in meiner Einrichtung ermöglichen? Ein paar „goldene Regeln“ sind folgende: Lassen Sie ihre Gäste mitentscheiden? Sollten die Älteren Schwierigkeiten haben, ihre kreativen Wünsche zu formulieren, schaffen Sie einen Rahmen, in dem sie ihren künstlerisch-kulturellen Bedürfnissen näher kommen können. Kulturgeragoginnen und -geragogen wissen, wie man das Potenzial der Älteren sichtbar macht. Sie sind methodisch und didaktisch für die künstlerisch-kreative Arbeit mit Älteren qualifiziert, um qualitativ hochwertige künstlerische Angebote zu schaffen, dadurch ihre Lebensqualität und Lebenszufriedenheit zu steigern und Teilhabe zu schaffen. Informieren Sie sich über Möglichkeiten der Weiterbildung auch für Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter! Zum Beispiel die Impuls-Weiterbildungen Kulturkompetenz+ zu Themen der Kulturellen Bildung für Ältere vom Kompetenzzentrum für Kulturelle Bildung im Alter und Inklusion – kubia in Köln. Oder der Weiterbildungsstudiengang Kulturgeragogik an der FH in Münster. Vernetzen Sie sich innerhalb Ihres Quartiers! Ganz bestimmt gibt es freischaffende Künstlerinnen und Künstler, die für Projekte mit Älteren offen sind. Kultureinrichtungen, wie Museen oder Theater, öffnen sich bereits an vielen Orten für ein älteres Publikum und bieten z. B. Führungen für Menschen mit Demenz an.

Machen Sie die Kreativität ihrer Gäste sichtbar! Beispielsweise in Form einer Ausstellung. Seien Sie inklusiv und intergenerationell – lassen Sie Kooperationen zwischen Jung und Alt, Menschen mit und ohne Handicap und verschiedenen Kulturen zu. Generell steckt in allen Empfehlungen aber ein „Haltungswechsel“, der in der Mitarbeiterschaft verinnerlicht werden muss: Die Besonderheiten des Alterns und die Einschränkungen der Menschen sind als Potenzial zu begreifen. Egal, wie alt und dement Ihre Gäste sind: Sie sollten Ihnen Selbstwirksamkeitserfahrungen ermöglichen und neue Erlebensräume öffnen. Das ist ein erster Schritt hin zu kultureller Teilhabe in Ihrer Einrichtung und zu einem kreativen, differenzierten und potenzialorientierten Altersbild. Dafür braucht es jedoch entsprechende Impulse und einen „ermöglichenden Rahmen“. Seien Sie als Einrichtung doch innovativ und trauen Sie sich zu, neue kreative Wege zu gehen!

Kurzinfo

Nina Lauterbach-Dannenberg ist Gerontologin, M.A. und arbeitet als Wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Kuratorium Deutsche Altershilfe – KDA im Projekt der Regionalbüros Alter, Pflege und Demenz – einer gemeinsamen Initiative zur Strukturentwicklung der Landesregierung und der Träger der Pflegeversicherung. Ihre Schwerpunkte sind Teilhabe im Alter. Sie begleitet unter anderem das Netzwerk „Demenz und Kulturelle Teilhabe“.

Kontakt: nina.lauterbach-dannenberg@kda.de https://alter-pflege-demenz-nrw.de/

Der Artikel ist in der Ausgabe 01/2020 zu finden.

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