Lesen sie hier den ersten Teil der Serie: Kommunikation bei Menschen mit Demenz – Teil 1
von Monika Hammerla
Im ersten Teil dieses Artikels (Seniorenheim-Magazin Ausgabe 2/2024) wurde erläutert, warum gute Kenntnisse über die Kommunikation mit dementen Bewohnern so wichtig ist und wie ein sprachlicher sowie nichtsprachlicher Umgang erfolgen kann.
In dieser Ausgabe erfahren Sie, wie Sie im Detail Ihre Kommunikation verbessern können, um ein würdevolles Miteinander zu gestalten.
Die Bezugspflege und Bezugsbetreuung, wenn die Worte weniger werden
Beispiel: Pflegende im Heim sind für Menschen mit Demenz jetzt auch Bezugspersonen. Die Betroffenen laufen den Pflegenden nach, wollen immer dabei sein. Wann immer es die Arbeit zulässt, können Bewohner bei den Pflegenden verweilen. Sie können dabeisitzen, etwas ausschneiden, sie können z. B eine Tasse Kaffee trinken, wenn die Pflegekraft die Dokumentation schreibt. Solange Betroffene nicht alleine sind und die Nähe und Geborgenheit spüren sind sie ohne Angst. Im Stationsablauf ist es nur phasenweise möglich, die Betroffenen mitzunehmen.
Endet die Arbeitszeit, kann der Betroffene persönlich an die Pflegekraft für den Abenddienst übergeben werden, z. B. mit den Worten: „Schauen Sie, hier ist meine Freundin, sie ist auch lieb, sie ist jetzt bei Ihnen.“ Beim Verabschieden verbal und nonverbal in den Arm nehmen, wenn dies gewünscht wird. Der Abschied ist für den Betroffenen immer schwer. Zeitgefühl gibt es nicht. Jeden Tag entstehen Freude bei der Begrüßung und jeden Abend Trauer beim Abschied.
Vielen Pflegekräften ist die Nähe unangenehm, hier greifen Fortbildungen, weil Pflegende sich auf Demenzkranke einstellen müssen, Betroffene können es nicht mehr. Nur das Jetzt und Hier kann vom Betroffenen erlebt werden, dessen müssen sich alle bewusst sein. Dabeisein und dazugehören sind Grundbedürfnisse eines jeden Menschen. Wenn Zeit und Orientierung verschwimmen, sind Menschen, die liebevoll mit dem Betroffenen reden, sie in den Arm nehmen, wenn dieser Wunsch signalisiert wird, seine Heimat.
Vermeiden Sie Fragen
Achtung: Fragen können Menschen mit Demenz schnell überfordern! – In der mittleren Phase einer Alzheimerdemenz werden Wortfindungsstörungen stärker, das Kurzzeitgedächtnis ist merklich reduziert. So können simple Fragen nach dem Mittagessen schon Hilflosigkeit auslösen. Schwieriger wird es wenn, Angehörige diese Tatsache nicht akzeptieren und immer weiter bohren.
Nicht selten kommt es zu einem Konflikt und Mutter oder Vater schickt das „Kind“ nach Hause. Zu einer entspannten Kommunikation kommt es, wenn ich auf Fragen verzichte und grundsätzlich auf die Biographie eingehe.
In allen Situationen kann ich so agieren. Beim Frühstück weiß ich als Fachkraft, was Herr Müller immer gefrühstückt hat. Ich komme also mit dem Käse und Marmeladenbrötchen und stelle es freundlich ab, mit den Worten: „Bitte Herr Müller, Ihr Frühstück.“ Ich umgehe die Frage: „Möchten Sie ein Wurst-, Käse- oder Marmeladenbrötchen?“ Das wäre sehr verwirrend.
Nutzen Sie alternative Formulierungen
Bei einem gestörten Sprachverständnis sollten andere Formulierungen verwendet werden. Wenn zu Hause Umgangssprache gesprochen wurde, ist diese gut einsetzbar.
Hier einige Beispiele:
Thema Schlafen: Schäfchen zählen, Schlafen gehen, in die Federn legen, das Bett ruft, Matratzen horchen, ein Nickerchen machen
Thema Essen: es gibt Hausmannskost, wie bei Muttern, Essen hält Leib und Seele zusammen, das Essen ist fertig, was Gutes zum Mampfen, Torte geht immer
Thema Toilette: hier ist das Klo, der Abort, das Häusle, der Nachttopf, hier geht ´s zum pinkeln, auch derbe Ausdrücke sind oft bekannt
Thema Waschen: schnelle Katzenwäsche, Rückenschrubben, eine kühle Brause, Morgentoilette
Thema Medikamente: Tablette, Arznei, Hausmittel, Herztropfen, Magenmittel, Schlaftablette, Verdauungsschnaps, Melissengeist, Magenbitter,
Thema Gehen, bewegen: Gehen, daherstolzieren, kraxeln, im Stechschritt, tippeln, humpeln, trippeln
Wie auf Fragen antworten?
Grundsätzlich gibt es viele Möglichkeiten auf eine Frage zu antworten. Nachfolgend ein Beispiel von Antworten verschiedener Pflegekräfte auf die Frage von Frau XX, die nach ihrer Mutter fragt:
- A sagt: Frau XX Sie sind 87 Jahre, ihre Mutter müsste jetzt über 100 sein, das gibt es nicht.
- B sagt: Frau XX es ist gut, kommen Sie, wir suchen die Mutter.
- C sagt: Frau XX können sie uns bitte beim Wäsche legen helfen?
- D sagt: Frau XX hören sie doch mit dem Quatsch auf!
- E sagt : Frau XX Sie sind traurig, sie hatten eine gute Mutter.
- F sagt: Frau XX Sie hatten die beste Mutter.
- G sagt: Frau XX kommen Sie, es gibt gleich Essen.
- H sagt: Frau XX was machen Sie sich denn für Sorgen, es ist alles okay.
- I sagt: Frau XX wollen wir spazieren gehen?
Kann der Betroffene noch schreiben, lesen und verstehen, ist ein von ihm geschriebener Tagesablauf für eine gewisse Zeit sehr sinnvoll und hilfreich. Eine pflegende Angehörige berichtete, dass sich ihre Mutter mit dem „selbstgeschriebenen Stundenplan“ monatelang beruhigen lies. Die Mutter hatte noch die Fähigkeiten, zu lesen und die Uhr zu erkennen. Nach 8 Monaten war diese Ressource erloschen.
Grundsätzlich sollte eine Kommunikationstechnik von allen Beschäftigten eines Heimes bekannt und benutzt werden, um zusätzliche Verwirrung zu vermeiden. Der Betroffene sollte in seiner Not ernst genommen werden. Es sollte kein übertriebenes Theater gespielt werden, nicht gelogen, heruntergespielt oder ausgelacht werden.

Bei fortgeschrittener Demenz können Puppen
oder Plüschtiere angeboten werden. Werden diese
angenommen und geherzt, sind Beruhigung und
Entspannung die Folge. – Foto: Hammerla
Fachkräfte, die über eine Zusatzausbildung Gerontopsychiatrie verfügen, können ein Pflegeteam immer wieder unterstützen. Bei vielen Pflegenden spielt unbewusst die Angst eine Rolle, sich lächerlich zu machen oder selbst verrückt zu werden.
Um eine möglichst einheitliche Antwort zu geben, sind Fortbildungen nach einer Methode in regelmäßigen Abständen sinnvoll, z. B. Personenzentrierte Pflege nach Tom Kidwood, Mäeutik von Cora van der Kooij, Validation nach Naomi Feil, SET = Selbsterhaltungstheorie von Barbara Romero, Dementia Care Mapping (DCM) von Kidwood, Integrative Validation nach Nicole Richard.
Immer wieder gleiche Sätze oder Fragen von den Betroffenen verlangen von den Pflegenden Höchstleistungen ab. Immer wieder werden Sätze gesprochen wie: „Weißt du, ich bin so traurig.“
Pflegende werden mit Namen angesprochen, die verkehrt sind, hier z. B. “Mädele, Süße, Schwesterlein“, dies sollte nicht korrigiert werden.
Wichtig ist hier zu wissen, Gefühle bleiben erhalten, die Realität verschwimmt.
Hilfreich sind verbale Ablenkungen, wenn Verunsicherung und Anspannung bemerkt werden, wie z. B.:
- Was für ein herrliches Wetter.
- Schau, heute kam liebe Post.
- Wie wäre es mit einem Tee?
- Magst du einen Saft?
- Hilf bitte mit, das Bett zu überziehen.
- Wir müssen noch nach der Post schauen.
- Wir müssen Blumen gießen.
Nonverbale Kommunikation wird hier immer wichtiger
Nonverbale Kommunikation kann sein:
- Hände reichen
- die Schultern streicheln
- Kopf schräg halten, Augenbrauen heben
- bei Fragen Schultern hochziehen
- eine Melodie summen
- lächeln, dies entspannt – eine angespannte Mimik wirkt bedrohlich auf den Betroffenen
- wenn der Betroffene möchte, ist ein „In den Arm nehmen“ hilfreich, aber nur mit biographischen Kenntnissen
Die Anrede „Sie“ oder „Du“
Im stationären Bereich werden Pflegende oft für Freunde gehalten. Die Anrede sollte vorher mit den Angehörigen und den Betreuern abgeklärt werden. Wenn es dem Betroffenen gut tut, sollte dieser mit dem Vornamen angesprochen werden und dies unbedingt in der Dokumention erwähnt und vermerkt werden.
Menschen mit Demenz unterhalten sich anders
Mit dem Ausbruch der Demenz wird die früh erlernte Muttersprache wieder gesprochen. Im Heim ist es von großem Nutzen, Pflegekräfte einzusetzen, die diese Muttersprache beherrschen (aus Rumänien, aus der ehemaligen UdSSR, Polen usw.). Ist dieser Umstand nicht gegeben, sollten Pflegekräfte in der Lautschrift die wichtigsten Wörtern der Begrüßung, Fragen nach Essen, Bewegen, Toilettengang usw. griffbereit bei dem Bewohner haben, um eine Kontaktanbahnung zu schaffen.
Spätphase der Demenz
Viele Patienten verstummen in der letzten Phase, manche haben noch wenig Wörter, die scheinbar über die Lippen kommen. Manche Kranke wiederholen unentwegt Wörter oder Laute bzw. bilden neue z. B. “bangs, bangs, bangs“. Das Sprachvermögen kann völlig verstummen oder auf Schreie oder Laute reduziert sein. Wichtig ist daher, immer wertschätzend zu sprechen, auch wenn keine Antwort mehr kommt, denn der Demente hört die Sprachmelodie.
Begrüßen und verabschieden, wenn man das Zimmer des Betroffenen betritt, mit Worten und Gesten:
- Gute Mutter
- Lieber Vater
- Liebe Lotte
- Mit dem Kosenamen benennen
- Initialberührungen zum Begrüßen und Verabschieden können sinnvoll sein
- Nach dem Anklopfen am Bett Hand auf die Schulter: „Ich bin da.“
- Zum Verabschieden, Hand auf Hand legen, heißt: „Ich gehe.“
Am Lebensende
Menschen in der Sterbephase sind fühlende Personen, die Begleitung erfordert viel Einfühlungsvermögen und fachliche Kenntnisse. Am Bett eines Menschen zu sitzen ist eine kräftezehrende Tätigkeit. Die Begrüßung sollte immer stattfinden. Nonverbal können Sie die Hand reichen, wird diese ergriffen lassen Sie die Hände ineinander liegen. Es fördert Vertrauen. Sie können je nach Wachheit ein Gebet sprechen (immer mit biographischen Kenntnissen). Schwer für viele Begleiter am Lebensende ist es, die Stille auszuhalten. Sterbende spüren die Nähe einer Person. 20 bis 30 Minuten zu sitzen ist sehr lange, aber es vermittelt Sicherheit. Es ist ratsam mit Schulungen zum Sterbenden zu gehen. Früher wurde von alten, erfahrenen Schwestern (BRK, Diakonie etc.) Rüstzeug zur Begleitung mitgegeben. Hospizhelfer sind geschulte Begleiter in der letzten Lebensphase.
Die Kommunikation mit erkrankten Menschen setzt neben Empathie und Liebe zum Beruf auch Fachlichkeit voraus. Angehörige und alle Mitarbeiter in Senioreneinrichtungen, vom Chef bis zur Putzfrau, sollten im Umgang in der Kommunikation geschult sein. Im Zuge des Personalnotstandes werden viele Pflegehelfer eingestellt, die vielleicht mit frohem Herzen arbeiten und sich redlich bemühen, aber keine Basics kennen. Ich wünsche mir hier mehr Schulungen. Diese können Wunder bewirken – sofern das Wissen danach auch von allen Beschäftigten mitgetragen wird.
Nur die Leitung lenkt die Geschicke einer Einrichtung. Daher sollten alle Mitarbeiter zum Wohl der Bewohner mit ins Boot geholt werden. Nur so kann sich die Kommunikation zu Menschen mit Demenz verbessern. Viele Häuser haben sich auf den Weg gemacht und schulen alle Mitarbeiter, es lohnt sich.
Literatur: „Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz“ und „Der Alltag mit demenzerkrankten Menschen“
Kurzinfo
Monika Hammerla ist eine Fachpflegekraft für Gerontopsychiatrie und geriatrische Rehabilitation, Fachbuchautorin, Gedächtnistrainerin nach Dr. F. Stengel und Fachkraft für Palliativ Care, Auditorin FQA a.D. /9-22.
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 01/2025 erschienen.