Im Januar 2024 hat die Diakonie Stiftung Salem die erste Langzeitstudie zum Einsatz von Exoskeletten in der Pflege gestartet. Die Untersuchung soll zeigen, ob körpernahe mechanische Stützsysteme die Gesundheitsprävention in der Pflege nachhaltig verbessern können.

von Christian Niemann (Diakonie Stiftung Salem gGmbH)

Muskel-Skelett-Erkrankungen zählen zu den häufigsten Beschwerden von Beschäftigten im Bereich der Pflege. Kein Wunder: Im Schnitt hebt jede Pflegekraft pro Tag das Gewicht eines Autos. Fehl- und Überbelastungen können daher schnell zu langfristigen Erkrankungen führen.

Diese Erfahrung musste auch Marion Ossenfort machen. Die Pflegefachassistentin arbeitet im Altenpflegeheim Hille der Diakonie Stiftung Salem und litt schon länger an starken Rückenbeschwerden. Von ihrem Arbeitgeber erhielt sie das Angebot, an einer besonderen Pilotstudie teilzunehmen: Als eine von insgesamt 14 Teilnehmenden testet sie, ob der Einsatz eines passiven Exoskeletts die Arbeit von Pflegekräften erleichtern kann und dazu beiträgt, Muskeln und Gelenke zu schonen. Es ist die erste Langzeitstudie zum Einsatz von Exoskeletten in der Pflege.

Die Projektpartner

Die Pilotstudie ist ein Gemeinschaftsprojekt der Diakonie Stiftung Salem, der bkk melitta hmr und des Vereins WohnXperium e. V. Die Mindener Diakonie setzt sich für gesundheitsfördernde Arbeitsbedingungen in der Pflege ein. Als einer von wenigen Anbietern beschäftigt die Diakonie Stiftung Salem z. B. eine eigene Kinästhetik-Trainerin, die Pflegekräfte für ein körperschonendes Arbeiten schult und sensibilisiert. Mit dem Exoskelett könnte nun ein weiterer Baustein zur Gesundheitsprävention hinzukommen.

Wie wirksam dieser Baustein ist, soll die wissenschaftliche Auswertung des WohnXperium e. V. zeigen. Der Verein, der aus einem Projekt der Technischen Universität Chemnitz hervorgegangen ist, hat sich auf die Erforschung von Produkten und Lösungen für das Wohnen und die Pflege im Alter spezialisiert.

Die bkk melitta hmr finanziert die groß angelegte Untersuchung. Als Krankenkasse mit klarer regionaler Ausrichtung arbeitet die bkk melitta hmr im Bereich des betrieblichen Gesundheitsmanagements schon lange mit der Diakonie Stiftung Salem zusammen.

In der Pilotstudie kommt das BionicBack, ein passives Exoskelett der Help Tech GmbH, zum Einsatz. Bis zu 86  % weniger Belastung der Rückenmuskulatur bei statischen Tätigkeiten verspricht das Unternehmen. Dabei sei das Exoskelett leichter als eine Wasserflasche und könne in weniger als einer Minute angelegt werden. Einmal angelegt soll das Exoskelett den Rücken stabilisieren und dafür sorgen, dass Belastungen gezielt abgeleitet werden.

Hohe Belastung, hoher Krankenstand

Dass es gute Gründe gibt, bei der Prävention von Muskel-Skelett-Erkrankungen neue Wege zu gehen, macht Simone Lawrenz deutlich. Sie ist zuständig für das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) bei der Diakonie Stiftung Salem und erlebt in ihrer Arbeit immer wieder, dass Rückenbeschwerden zu hohen Ausfallzeiten und Langzeiterkrankungen führen. „Manche Kolleginnen und Kollegen denken deshalb sogar über einen Ausstieg aus der Pflege nach“, sagt die BEM-Koordinatorin. Ein Szenario, das sie und Carsten Wöhler, Leiter des Geschäftsbereichs Pflege & Leben bei der Diakonie Stiftung Salem, auf jeden Fall verhindern wollen. „Wir hoffen, dass wir dank der Exoskelette auch Mitarbeitende in der Pflege halten können, die den Beruf sonst aufgeben müssten“, so Carsten Wöhler. Konkrete Zahlen hat die bkk melitta hmr in ihrem Gesundheitsreport vorgelegt: Demnach lassen sich 34 % aller von der Krankenkasse erfassten Krankheitstage auf eine falsche Belastung des Bewegungsapparats zurückführen.

Aufbau und Design der Pilotstudie

Eine Gruppe von sechs Personen posiert im Freien. Eine der Personen trägt ein Exoskelett und hält einen Blumenstrauß.

Marion Ossenfort (3. v. l.) erhält als
erste Pflegekraft der Diakonie Stiftung
Salem ein eigenes Exoskelett. – Foto: Diakonie Stiftung Salem

An der Studie nehmen 14 Mitarbeitende aus der stationären Pflege der Diakonie Stiftung Salem teil. Einige haben bisher keine Rückenbeschwerden, andere hatten bereits mit Muskel-Skelett-Erkrankungen zu kämpfen. Während des 75-tägigen Untersuchungszeitraums protokollieren die Teilnehmenden täglich ihre Erfahrungen und füllen zusätzlich wöchentlich standardisierte Fragebögen aus. So werden umfangreiche Daten zur subjektiven Wahrnehmung und Wirksamkeit des Exoskeletts erhoben.

Nach einer grundlegenden Anamnese und Einweisung arbeiten die Teilnehmenden zunächst eine Woche lang ohne Exoskelett. Darauf folgt die 50-tägige Interventionsphase mit Exoskelett, in der die Teilnehmenden angehalten sind, das Stützsystem möglichst dauerhaft im Arbeitsalltag zu tragen. Um mögliche Effekte quantifizieren zu können, schließt sich eine 20-tägige Untersuchung ohne Nutzung des Exoskeletts an, die ebenfalls von den Teilnehmenden protokolliert wird. Neben den Belastungen und körperlichen Beschwerden am Arbeitsplatz sollen auch Akzeptanz, Gebrauchstauglichkeit und Handhabung des Exoskeletts untersucht werden.

Ausblick

Konkrete Ergebnisse aus der langfristig angelegten Studie erwartet die Diakonie Stiftung Salem bis Ende des Jahres. Die Auswertung des WohnXperium e. V. wird dann detailliert aufzeigen, ob und in welchen Situationen das Exoskelett entlastend wirkt. Erste Erkenntnisse lassen sich derzeit nur vorläufig und episodenhaft aus den leitfadengestützten Interviews ableiten.

Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase nehmen die Teilnehmenden laut Rückmeldung vom Forschungspartner WohnXperium e. V. das Exoskelett fast immer als Unterstützung wahr. Wichtigster Faktor: eine verbesserte Körperhaltung. Ob der Einsatz des Exoskeletts jedoch einen nachhaltigen Trainingseffekt bietet, konnte anhand bisheriger Erfahrungen nicht verifiziert werden. Einem dauerhaften Einsatz im Pflegealltag steht ein Großteil der Teilnehmenden positiv gegenüber. „Wir können festhalten, dass viele Teilnehmende gute Erfahrungen mit dem Exoskelett gemacht haben“, sagt Simone Lawrenz.

So wie Marion Ossenfort: Wenn sie in ihr Exoskelett schlüpft, gelingt das schmerzfreie Arbeiten – dank einer spürbaren Entlastung der Wirbelsäule. Die Verbesserung war so deutlich, dass selbst der Rehabilitationsträger überzeugt war: Als erste Pflegekraft erhielt sie dauerhaft ein eigenes Exoskelett. Simone Lawrenz ist darum zuversichtlich, dass sich die positiven Erfahrungen übertragen lassen und die Studienergebnisse in vergleichbaren Fällen eine wichtige Entscheidungsgrundlage bieten. Marion Ossenfort ermöglicht ihr Exoskelett schließlich genau das, was sich viele belastete Pflegekräfte wünschen: weniger Schmerzen, mehr Beweglichkeit und endlich wieder eine langfristige berufliche Perspektive.

Über die Diakonie Stiftung Salem:

Die Diakonie Stiftung Salem ist einer der größten sozialen Komplexträger im Großraum Minden. Zu den Angeboten gehören die ambulante und stationäre Pflege und Betreuung von Seniorinnen und Senioren, vielfältige Arbeits- und Qualifizierungsangebote für Menschen mit Behinderung, z. B.  in den Diakonischen Werkstätten, Wohn- und Betreuungsangebote für Menschen mit Behinderung, Kindertagesstätten, stationäre und ambulante Kinder-, Jugend- und Familienhilfe sowie zahlreiche Beratungsstellen. Ein Frauenschutzzentrum, Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfe und ein eigener Biohof gehören ebenso zum Angebotsportfolio wie die Evangelische Pflegeakademie, einer der größten Bildungsträger der Region. In gut 100 Einrichtungen in Minden, Hille, Petershagen und Porta Westfalica arbeiten rund 3.000 Menschen mit und ohne Behinderungen.

Weitere Informationen unter: www.diakonie-stiftung-salem.de

Der Artikel ist in der Ausgabe 02/2024 zu finden.

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