von Monika Hammerla
In den vergangenen Jahrzehnten ist die Förderung und Aktivierung der vorhandenen kognitiven und körperlichen Fähigkeiten alter Menschen immer mehr in den Fokus der Altenpflege gerückt. Die Herausforderung für Pflegeeinrichtungen besteht darin, für die unterschiedlichsten Bewohner das jeweils passende Betreuungsangebot zu entwickeln und sicherzustellen. Die Qualität der Aktivierung ist jedoch nicht nur für Qualitätsprüfungen wichtig, sondern hat unmittelbare Auswirkungen auf die Bewohner, die Betreuungs- und Pflegekräfte.
Aktivierungen – von einfach bis anspruchsvoll
Die einzelnen Vorschläge, von uns „Stundenbilder“ genannt, bieten die Möglichkeit, Menschen in Pflegeeinrichtungen strukturiert zu beschäftigen. Damit tragen Stundenbilder maßgeblich zur Qualitätssicherung bei. Alle Aktivierungen können auch bei knappen Ressourcen von (fast) jedem Betreuer durchgeführt werden. Welchen Vorteil bieten die „Stundenbilder“ und worin zeigt sich der Erfolg?
Nachfolgend sind einige Aspekte aufgeführt:
- Zufriedene Bewohner durch mehr Sicherheit und mehr Kompetenzgefühl
- Entspannte Mitarbeiter durch mehr Handlungssicherheit und damit verringertes Burnout-Risiko
- Entlastete Mitarbeiter, deshalb geringere Personalfluktuation und weniger Krankheitsausfälle
- Beruhigte Angehörige durch ein transparentes Angebot
- Gute Werbung für die Einrichtung durch eine gute Stimmung, die Besucher und potenzielle Kunden wahrnehmen können
- Sicherung des Arbeitsergebnisses (der Ergebnisqualität)
- Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen, z. B. SGB XI
- Kostenersparnis durch weniger Mitarbeiterausfälle und stabile Personalstruktur
- Stärkung des Wir-Gefühls innerhalb des Teams
Qualität – unverzichtbar in der Altenhilfe
Das Wort „Qualität“ hat viele unterschiedliche Bedeutungen. Die DIN EN ISO 8402 definiert es als „die Gesamtheit von Merkmalen einer Einheit bezüglich ihrer Eignung, um festgelegte und vorausgesetzte Erfordernisse zu erfüllen.“ Qualität entsteht und erhält sich nicht von selbst, sie muss geplant (plan), als Handlung umgesetzt (do) gesichert, überprüft (check), immer wieder verbessert (act) und erneut geplant werden.
Gelebte Qualität stellt sich somit als fortlaufender Kreis dar. Die Erzielung einer zufriedenstellenden Qualität bezieht alle Stadien des PDCA-Zyklus (plan – do – check – act) mit ein. Lebendige Qualität muss ständig überprüft und bei Abweichungen von den Vorgaben verbessert werden. Ein aktives Qualitätsmanagement erhöht die Zufriedenheit und damit die Lebensqualität der Bewohner. Es dient darüber hinaus der Wirtschaftlichkeit, schafft Pflege- und Betreuungsqualität und Vertrauen bei allen an der Versorgung Beteiligten.
Gesetzlich gefordert: Die Qualitätssicherung
Das SGB XI fordert in § 112, dass „die Träger der Pflegeeinrichtungen für die Qualität der Leistungen ihrer Einrichtungen einschließlich der Sicherstellung und Weiterentwicklung der Pflegequalität verantwortlich sind. Die zugelassenen Pflegeeinrichtungen sind verpflichtet, Maßnahmen der Qualitätssicherung sowie ein Qualitätsmanagement nach Maßgabe der Vereinbarungen nach § 113 durchzuführen, Expertenstandards nach § 113a anzuwenden sowie bei Qualitätsprüfungen nach § 114 mitzuwirken. Bei stationärer Pflege erstreckt sich die Qualitätssicherung neben den allgemeinen Pflegeleistungen auch auf die medizinische Behandlungspflege, die soziale Betreuung, die Leistungen bei Unterkunft und Verpflegung (§ 53c) sowie auf die Zusatzleistungen (§ 88).“
In der MDK-Vorgabe zur Prüfung der Qualität nach den §§ 114 ff. SGB XI in der stationären Pflege vom 27. August 2009 wird unter Punkt 10 auch die „Soziale Betreuung (Beschäftigung)“ geprüft. Dabei werden u. a. folgende Fragen gestellt:
- Werden Leistungen der sozialen Betreuung angeboten?
- Werden im Rahmen der sozialen Betreuung Gruppenangebote gemacht?
- Werden im Rahmen der sozialen Betreuung Einzelangebote gemacht?
- Veranstaltet das Pflegeheim jahreszeitliche Feste?
- Sind die Angebote der sozialen Betreuung auf die Struktur und Bedürfnisse der Bewohner ausgerichtet?
- Wird die soziale Betreuung durch festangestellte Mitarbeiter koordiniert?
- Besitzt der für die Betreuung der gerontopsychiatrisch beeinträchtigten Bewohner zuständige Mitarbeiter spezielle Kenntnisse (Fort- und/oder Weiterbildung)?
- Ist das Angebot an sozialer Betreuung ausreichend?
- Gibt es Angebote zu unterschiedlichen Tageszeiten? (z. B. Montagvormittag, Dienstagnachmittag)
- Gibt es für Bewohner mit vollständiger Immobilität ein nahezu tägliches Angebot zur Tagesstrukturierung?
- Gibt es für Bewohner mit gerontopsychiatrischen Beeinträchtigungen (z. B. Demenz, Depression) ein nahezu tägliches Angebot zur Tagesstrukturierung?
- Werden diese Angebote den Bewohnern in geeigneter Weise zur Kenntnis gebracht?
- Wird Beratung angeboten?
Warum spezielle Gruppenangebote?
Die ersten Defizite der Alzheimer-Krankheit sind mangelnde Konzentration und das Schwinden des Kurzzeitgedächtnisses. Nach und nach treten mehr Einschränkungen zutage. Wann jedoch mit welchen Maßnahmen aktiviert und Bewegung trainiert werden kann, muss genau überlegt sein.
Bei bereits größeren Einschränkungen sind etwa komplexe Bewegungsübungen, Gehirntraining und Gedächtnistraining entgegen der landläufigen Meinung gerade nicht sinnvoll, weil sie den Betroffenen nur vor Augen führen, was sie alles nicht mehr leisten können. Frustration motiviert nicht, ganz im Gegenteil. Motivationsfördernd ist dagegen, mit den Ressourcen des Patienten zu arbeiten, z. B. mit, im Langzeitgedächtnis gespeicherten, vertrauten Bewegungsmustern, die auch am längsten zur Verfügung stehen werden.
Wichtig ist, im Fokus zu behalten: Die Demenz und den Demenzerkrankten gibt es nicht.
Die verschiedenen Phasen der Demenz erfordern ein völlig unterschiedliches Vorgehen. Die Reisberg-Skala ist eine grobe Richtschnur, sie kann aber bei der individuellen Einschätzung und Behandlung eines Betroffenen extrem hilfreich sein.
In der Frühphase einer Demenz ist es z. B. in einer Wohngruppe sinnvoll, alle Alltagsaktivitäten nicht auf Leistung, sondern auf Erleben auszurichten – das funktioniert in Kleingruppen unter geschulter fachlicher Leitung. Da die Krankheit aber fortschreitet, wird der Nutzeffekt, etwa die Erledigung von Hausarbeitstätigkeiten wie Wäsche legen, zunehmend nicht erreicht. Die gemeinsame Betreuung von Demenzkranken und nicht betroffenen Bewohnern wird dann tendenziell immer schwieriger. Deshalb wurden seit den 1990er-Jahren segregative Konzepte für die Betreuung von demenzkranken Bewohnern entwickelt – nicht um diese auszugrenzen, sondern um sie adäquat fördern zu können. Das Ideal ist gezielte individuelle Förderung mit ebenso gezielter gelegentlicher Inklusion.
Integrative Konzepte – Segregative Konzepte
„Bei integrativen Konzepten wird keine räumliche Trennung der dementen und der nichtdementen Heimbewohnerinnen und Heimbewohner vorgenommen, in der Regel allerdings aber eine gesonderte Tagesbetreuung. Die segregativen Konzepte gehen dagegen von speziellen Wohn- und Lebensbereichen nur für Demenzkranke aus, die sowohl die Gestaltung der eigenen Zimmer als auch der Räumlichkeiten der näheren Umgebung betreffen.“ (Quelle: BMFSFJ 2006)
Bewegungsförderung ist eben nicht nur eine Stunde Aktivierung, Tanz und Spielen, sondern auch der ganz normale Alltag; jede Bewegung kann und sollte mit einbezogen werden. Je alltagsbezogener und gewohnter ein Bewegungsablauf ist, desto eher wird ihn ein Demenzerkrankter akzeptieren und umsetzen können. Solange Gruppenfähigkeit besteht, kann man den Gruppeneffekt zur Motivation nutzen, denn den Nachahmungseffekt sollte man nicht unterschätzen!
Worauf muss ich achten?
- Homogene Gruppen
- Positive Verstärkung
- Gymnastische Elemente einsetzen
- Alle Sinne anregen
- Bezugsperson selbst motiviert
Geht jedoch die Gruppenfähigkeit verloren, folgt der Mensch nur noch seinen eigenen Impulsen. Dann heißt es, Impulse zu setzen oder Reaktionen zu stimulieren: Spaziergänge, Lieder singen, Tanzcafé, einen Ball sanft zum Bewohner kicken, Greifzopf in die Hand geben etc.
Integration versus Segregation
Im Lauf meiner langen Erfahrung habe ich beobachtet, dass Menschen mit Demenz ihre eigenen Bewegungsimpulse gespeichert haben – diese gilt es abzurufen. Die Biografie des Betroffenen ist dazu der Schlüssel, denn was in den motorischen Erinnerungsfeldern des Großhirns gespeichert ist, lässt sich lange gut umsetzen. Mit der Reisberg-Skala oder den 3 Phasen der Demenz als Anhaltspunkt, kann die jeweilige Phase der Fähigkeit oder des Unvermögens gut eingeschätzt werden. Es gibt viele Möglichkeiten, Menschen mit Demenz physische und emotionale Reaktionen zu entlocken und ein gutes Körpergefühl und ein Angenommensein zu vermitteln.
Ein weiterer Schwerpunkt ist die Betreuung derjenigen Bewohner, die mit den klassischen Angeboten der Betreuungsarbeit nicht mehr angemessen aktiviert werden können. Etwa 50 % unserer Bewohner zeigen in unterschiedlichem Maß Verhaltensstörungen, was sich in Störungen des abstrakten Denkens, des Urteilsvermögens, der Erinnerungsfähigkeit und in der Kommunikation äußert. Auch die Desorientierung in Bezug auf Ort, Zeit und Person sowie Konzentrationsstörungen gehören zu den typischen demenziellen Symptomen. Meist ist dadurch nicht nur die Fähigkeit zur angemessenen Sorge für sich selbst und zur verständlichen Kommunikation betroffen, sondern das gesamte Erleben und Fühlen. Das Gesamtverhalten kann dadurch schwerwiegend gestört sein und wird oft von Außenstehenden als abweichend und abstoßend empfunden – eine Bewegungsförderung in Gruppensettings wird somit meist schwierig bis undurchführbar.
Die Orientierung an den Impulsen und den Bedürfnissen des dementen Menschen sollten wir anders einstufen. Alle Normen und Regeln, die ein gesunder Mensch täglich lebt und umsetzt, hat ein Mensch mit Demenz irgendwann vergessen (Mittlere Phase). Therapeuten, Pflegekräfte, Angehörige und Helfer werden daher grundlegend scheitern, wenn sie den dementen Patienten zwingen oder in ein gängiges Ablaufschema hineinpressen wollen. Die Pflege und Betreuung eskaliert.
Hier wird eine spezielle, defizitangemessene und bedürfnisorientierte Betreuung notwendig. Der engmaschige Kontakt zu Betreuern und Angehörigen ist zu pflegen. Viele Länder (Schweiz, Kanada, Schweden, Großbritannien, Schottland) haben schon lange gute und neue Konzepte entwickelt, in denen die institutionelle Versorgung bei der Pflege und Betreuung von dementen Menschen darauf zugeschnitten ist. Die Einrichtungen gewinnen durch andere Strukturen Zeit und haben den Lebensraum den Bedürfnissen der Menschen mit Demenz angepasst.
Quellen:
Seniorenaktivierung kompakt von M. Hammerla, C. Keller
Qualtätsmerkmal Beziehung von M. Hammerla, R. Klein
Vielfältige Möglichkeiten zur Aktivierung
Angebote für fitte Bewohner, die selbst entscheiden:
- Regelmäßig Gruppe (Morgenrunde)
- Karten spielen
- Kreativgruppe
- Projektarbeit Stricken
- Gottesdienst
- Feste feiern
- Singnachmittage
- Literaturkreis
- Männergruppe
- Plauderei um drei
- Lebensthemen
- Projekt: „Wir schreiben Rezepte auf“
- Galileotraining
- Spaziergang mit Ehrenamt
Angebote für Bewohner mit leichten kognitiven Einschränkungen:
- Regelmäßig Gruppe
- Kreativgruppe
- Projektarbeit Stricken
- Gottesdienst
- Feste feiern
- Singnachmittage
- Männergruppe
- Plauderei um drei
- Spaziergang mit Ehrenamt
Angebote für Bewohner mit stärkeren Defiziten:
- Regelmäßig Gruppe
- Gottesdienst
- Feste feiern
- Singstunde
- Männergruppe
- Hundebesuch
- Besuche von Hospizbegleitungen
Angebote für Bewohner mit stärkeren Defiziten, nicht mehr gruppenfähig:
- Feste feiern (kürzer, geschützter Rahmen)
- Singnachmittage
- Spaziergang mit Ehrenamt
- Hundebesuch
- Elemente der basalen Stimulation
- Greifzopf oder bekannte Gegenstände reichen
- Hospizbegleitung
Zusammenfassung:
Ganzheitliche Aktivierung bewirkt bei den Bewohnern
- Orientierung
- Mobilisation
- Wohlfühlen
- Geborgenheit
- Sicherheit
- Ressourcen werden aktiviert
Ganzheitliche Aktivierung ist Bestandteil eines Konzeptes
- Alt- und Neugedächtnis stabilisiert, durchblutungsfördernd
- Körperliches Wohlbefinden gesteigert
- Soziale Kontakte gefördert
- Isolation vermieden
- Kommunikation gefördert
- Subjektives Wohlbefinden gesteigert
Die Angebote sind im Konzept vermerkt und können im Tagesgeschehen erkannt werden. Erleichtern sind zu den Gruppen die jeweiligen Standards, die als Hilfe bei Mitarbeiten dienen, einheitliche Vorgehensweisen zu vermitteln.
Kurzinfo
Monika Hammerla ist eine Fachpflegekraft für Gerontopsychiatrie und geriatrische Rehabilitation, Fachbuchautorin, Gedächtnistrainerin nach Dr. F. Stengel und Fachkraft für Palliativ Care, Auditorin FQA a.D. /9-22.
https://monika-hammerla.de
monikahammerla@googlemail.com
Der Artikel ist in der Ausgabe 01/2024 zu finden.