von Sonja Krupp und Jennifer Kasper

Welche Begriffe fallen Passanten bei einem Interview in der Fußgängerzone wohl am ehesten zu dem Wort „bewegungsfreundlich“ ein?
Wäre es nicht schön, wenn auch der Begriff „Pflegeeinrichtung“ darunter wäre?

Das vom Verband der Privaten Krankenversicherung e. V. geförderte Projekt „Pflegeeinrichtungen – Bewegungsfreundliche Organisationen“ (PfleBeO) will engagierte Leitungen und das gesamte Personal von Pflegeeinrichtungen beratend dabei begleiten, Bewegungsförderung unter Einbezug der Bewohnerschaft und interessierter Angehöriger zu fokussieren. Dies lässt sich nicht durch einzelne Aktionen wie z. B. die Einführung von Gruppenaktivitäten oder die Anschaffung eines Ergometers allein erreichen. Vielmehr haben diverse Faktoren in der Lebenswelt Pflegeeinrichtung Einfluss darauf, wie Chancen zu Bewegung und Aktivität genutzt werden – vom Bodenbelag bis zur Zeit, wann das Frühstück angeboten wird. Das ganze Gefüge der Organisation Pflegeeinrichtung muss sich neu ausbalancieren, wenn Bewegungsförderung bei jeder Entscheidung mitbedacht werden soll. Diesen Organisationsentwicklungsprozess will PfleBeO in allen Phasen unterstützen – von der Analyse bis zur Verstetigung. PfleBeO wird bundesweit angeboten – 20 Pflegeeinrichtungen können bereits im Verlauf des Jahres 2021 mit dem Projekt starten.

Das Beratungskonzept in PfleBeO – flexibel nutzbar

Das in PfleBeO genutzte Beratungskonzept wurde von der Forschungsgruppe Geriatrie Lübeck (FGL) entwickelt, die im Rahmen der Entwicklung des Gruppentrainings „Lübecker Modell Bewegungswelten“ sowie im Projekt „POLKA“ bereits umfangreiche Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Pflegeeinrichtungen gesammelt hat. Gemeinsam mit ihrem Projektpartner MA&T Sell & Partner GmbH wird nun eine Beratung mit stark partizipativem Ansatz angeboten.

Daran beteiligt zu sein, die eigene Einrichtung zu analysieren – nicht nur in Bezug auf bestehende Angebote, sondern auch bewegungsfördernde und -hemmende Einflüsse des üblichen Tagesablaufs, pflegerischer Handlungen und der räumlichen Bedingungen – öffnet den Blick für Wirkzusammenhänge und macht kreativ in der Suche nach umsetzbaren Lösungsvorschlägen, die dann auch langfristig gelebt werden.

Daher erscheinen die von der FGL geschulten Bewegungsberater*innen nicht mit einem vorgefertigten Programm, das die Pflegeeinrichtung umsetzen soll, sondern mit offenen Augen und Ohren sowie dem Wissen, wie Hilfe zur Selbsthilfe geleistet werden kann, nach dem Motto: „Jeder ist bereits Expert*in für den eigenen Bereich – deshalb kann auch jeder etwas dazu beitragen, die Einrichtung bewegungsfreundlicher zu gestalten, wenn die Ideen zusammengeführt werden.“

Das Projekt PfleBeO - Mann in Bewegung

Foto: LumiNola

Eine zentrale Rolle in PfleBeO spielt das einrichtungsinterne Projektteam. Fünf bis zehn Personen widmen sich unter Nutzung der Expertise der Bewegungsberater*in zunächst der Analyse, dann gemäß Bedarf der schrittweisen Umgestaltung der Bereiche Angebote, Tagesablauf, Pflege und Umgebung. Zu den dabei eingesetzten Methoden gehören u. a. Befragungen, Begehungen und Workshops. Zur Verteilung der Zeitinvestition bietet sich für die Bearbeitung unterschiedlicher Bereiche die Gründung von Arbeitsgruppen an.

Diesen gehören neben in der Regel zwei Mitwirkenden aus dem Projektteam je nach Fokus weitere Personen an – z. B. ein*e Gärtner*in, wenn es um das Anlegen von Hochbeeten geht oder ein*e Hausmeister*in, wenn ein Austausch der Flurbeleuchtung geplant wird. Transparenz der Zuständigkeiten und Entscheidungswege gehört zu den Erfolgsfaktoren. Der in vielen Projekten in Pflegeeinrichtungen angestrebte, aber nur selten im gewünschten Maße erreichte Einbezug von Bewohner*innen, ihrer An- und Zugehörigen hat in PfleBeO einen hohen Stellenwert. Es ist nur folgerichtig, zu versuchen, einige aus der im Mittelpunkt der Bewegungsförderung stehenden Zielgruppe für die Mitarbeit zu gewinnen, sei es in Form von gemeinsamen Begehungen, Befragungen, Einreichen schriftlicher Vorschläge oder der Teilnahme in einer Arbeitsgruppe oder dem Projektteam.

Geriatrisches Assessment und Formulierung von Bewegungszielen – „Was ist Ihnen wichtig?“

Eine Möglichkeit für Bewohner*innen, zum Erfolg des Projekts beizutragen und selbst davon zu profitieren, ist die Einwilligung zur Teilnahme an der von der FGL durchgeführten Studie zu den Effekten von PfleBeO. In einem abgestuften Assessment werden die Fähigkeiten dieser Bewohner*innen genau untersucht, teilweise ausschließlich von dafür geschulten Mitarbeiter*innen der Pflegeeinrichtung, teilweise zusätzlich mit weiteren Testverfahren durch die Bewegungsberater*in.

In einem intensiven Gespräch zwischen Bewohner*in, ggf. familiärer Bezugsperson, Fachkräften der Pflegeeinrichtung und Bewegungsberater*in werden unter Berücksichtigung der gewonnenen Erkenntnisse zwei bis vier für die Bewohner*in relevante realistische Zielsetzungen auf dem Gebiet der bewegungsassoziierten Aktivitäten formuliert.

Das kann der Wunsch sein, sich allein vom Rollstuhl auf das Bett umsetzen und hinlegen zu können, den Weg vom Zimmer bis zum Esszimmer am Rollator mit Begleitung zu schaffen oder wieder selbst Getränke ins Glas einzugießen. Fingerspitzengefühl ist erforderlich, wenn unrealistisch hohe Erwartungen auf ein erreichbares Niveau „herunterverhandelt“ werden müssen oder eine depressive Verstimmung „wunschlos unglücklich“ macht. Um die wahrscheinlichen Wünsche kognitiv eingeschränkter Personen zu erahnen, sind Informationen der Angehörigen besonders wichtig; es geht bei fortschreitenden Erkrankungen vor allem darum, die subjektiv wichtigsten Fähigkeiten so lange wie möglich zu erhalten.

Das im Rahmen von PfleBeO erlernte, von der FGL entwickelte Assessment können Mitarbeitende der Pflegeeinrichtung in der Folge selbstständig durchführen und auch außerhalb der PfleBeO-Studie anwenden, um die Bewohner*innen noch besser kennenzulernen und individueller zu fördern.

Wie schnell Reserven an Bewegungsfähigkeit, die nicht genutzt werden, verloren gehen, wurde gerade unter den durch die Corona-Pandemie erzwungenen Einschränkungen deutlich. Viele Pflegeeinrichtungen planen jetzt, das Thema Bewegungsförderung verstärkt zu fokussieren – nicht zuletzt im Licht des aktualisierten Expertenstandards nach § 113a SGB XI „Erhaltung und Förderung der Mobilität in der Pflege“.

Der Artikel ist in der Ausgabe 02/2021 zu finden.

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