Raumausstattung für den Menschen gemacht: Ein multisensorischer Ansatz für mehr Lebensqualität
von Brigitte Mäder (Geschäftsleitung Air Creative)
Für Menschen mit eingeschränkter Mobilität oder schweren neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer/Demenz bedeutet es Abschied nehmen von einem selbstbestimmten Leben. Innenräume gewinnen an Bedeutung und werden zum zentralen Lebensraum, oft aber auch zum emotionalen Gefängnis. Eine erhebliche Belastung für die Betroffenen, die Pflegekräfte und die Angehörigen.
Seit mehr als 25 Jahren widmet sich Air Creative der Erforschung von Raumluft, Raumumgebungen und deren Einfluss auf die emotionale Gesundheit, das Wohlbefinden und Verhalten. Aus dieser Arbeit ist ein umfassendes Multisensorikkonzept für den Pflegebereich entstanden, das einem Leben in Innenräumen gerecht wird.
Basalstimulierende Raumausstattung durch Sinneskongruenz
Sinnesimpulse wirken sich direkt auf unser emotionales Verhalten und Wohlfühlen aus. Werden Düfte, Licht usw. nicht gekonnt abgestimmt, können diese sehr schnell zu Gegenspielern werden.
Die von Air Creative CDA entwickelte „basalorientierte Raumausstattung“ basiert auf der möglichst frequenzgleichen Abstimmung aller Sinneseindrücke. Licht-, Klang-, Duft-, Bildwelten und haptische Elemente werden kombiniert, um eine dezente, beruhigende und doch abwechslungsreiche Umgebung zu schaffen. Die Räume wirken als emotionale Taktgeber und mildern Eskalationen, Unruhe und Stress.
Räume als tägliche Begleiter und Pflegehilfsmittel
Pflegekräfte, insbesondere die in der Palliativ- und Demenzpflege, sind oft überlastet und psychisch stark belastet. Studien zeigen, dass diese Überlastung Passivität und Unzufriedenheit bei Patienten und Bewohnern verstärkt. Basalstimulierende Raumausstattung kann Abhilfe schaffen, indem sie eine ruhige und unterstützende Umgebung bietet. Individuell abrufbare Sinnesszenen ermöglichen gezielte Interventionen, wenn Worte und Berührungen nicht mehr ausreichen. Der Raum wird zum Pflegehilfsmittel.
Gestörter Biorhythmus hat viele Ursachen
Eine gestörte circadiane Rhythmik einhergehend mit Schlafstörungen kann neben einer Krankheit durch Angst, Medikamente oder Beschäftigungsmangel hervorgerufen werden. Ein Teufelskreis für die Langzeitpflege. Oft fehlen Umweltzeitgeber wie bekannte Geräusche, Tageslicht, Rituale wie der Gang zum Briefkasten, die den Tag strukturieren. Dynamische Umgebungen, die sich automatisch im Tagesverlauf verändern, ersetzen statisch gleichbleibende Raumumgebungen. Dies ermöglicht eine vielseitige Sinnesansprache über den Tag hinweg – ähnlich wie ein gesunder, mobiler Mensch seinen Alltag erlebt, kann der Körper der Betroffenen so die Veränderungen im Innenraum spüren und sich danach ausrichten.
Praxisbeispiel: Münchenstift St. Maria Ramersdorf
Im April 2024 konnte im Münchenstift St. Maria Ramersdorf mit Unterstützung der Stiftung „SZ Gute Werke“ eine Pflegeoase für den Demenzbereich konzipiert und im laufenden Betrieb mit Modulelementen und Plug-and-Play-Steuerung ausgestattet werden. Ein Aufenthaltsraum und eine Flurnische wurden speziell auf die Bedürfnisse von Menschen mit schwerer Demenz, Schreidemenz und gestörtem Biorhythmus ausgerichtet. Der basalorientierte Tagesablauf begleitet die Menschen seither von morgens früh, über den Tag hinweg, bereitet sie auf die Bettruhe vor und steht auch nachts bei Bedarf zur Verfügung. Der Erfolg spricht für sich, wie die Aufzeichnungen nach den ersten Monaten zeigen:
- Klare Reduzierung von Medikamenten: Bei Nachtaktivität wurden keine Sedativa mehr benötigt. Bewohnende fühlen sich in Oasen geborgen und schlafen oft ein.
- Beschäftigung: Bewohnende suchen intuitiv die Oasen auf, erkunden oder ruhen.
- Positive Effekte auf Schreidemenz: „Schreidemente“ regenerieren und kommen zur Ruhe, Gesichtszüge entspannen sich.
- Ruhe und verbesserte Tagesrhythmen: „Läufer“ halten inne und ruhen. Neue Rhythmen sind erkennbar. Die Gruppe strahlt mehr Ruhe aus.
- Erhöhte Aktivität: Bewohnende sind tagsüber weniger in ihren Zimmern.
Auch Pflegekräfte profitieren:
- Nutzung als Pflegehilfsmittel: Die Oasen werden im Tagesablauf und in Akutsituationen als Intervention eingesetzt.
- Wohlgefühl und Motivation: Pflegekräfte bringen neue Ideen ein und erleben weniger Stress.
- Mehr Qualitätszeit: Weniger Eskalationsmomente bedeuten eine bessere Nutzung des Zeitmanagements.
Besuche von Angehörigen werden durch die Möglichkeit, auf Knopfdruck spezifische Szenen auszuwählen, abwechslungsreicher und mindern das Gefühl der Hilflosigkeit im Umgang mit schwerer Demenz. Es versteht sich von selbst, dass diese positiven Effekte auch die Wahrnehmung des Unternehmens positiv begleiten.
Fazit
Insbesondere in Pflegeeinrichtungen können solche Konzepte das Wohlbefinden und die Lebensqualität erheblich steigern, die Medikamentenvergabe reduzieren und gleichzeitig Pflegekräfte sowie Angehörige entlasten. Basalorientierte Raumausstattung ist mehr als nur eine ästhetische oder funktionale Verbesserung. Es bedarf dringend mehr Institutionen wie SZ Gute Werke, die solche Konzepte unterstützen. So schaffen wir Arbeits- und Lebensräume, die durch Tiefe, Wertschätzung, Wohlbefinden und Ruhe geprägt sind.
Der Artikel ist in der Ausgabe 02/2024 zu finden.