von Hilke Groenewold (Dipl.-Ing. Architektin, Referentin für Barrierefreiheit des DBSV)

Das Risiko einer Augenerkrankung, die das Sehen bedroht, steigt mit zunehmendem Alter rapide an. Die Wissenschaft geht mittlerweile von 8,5 bis  9 Millionen Betroffenen in Deutschland aus. Viele Personen, die in einem Seniorenheim wohnen, haben eine mittlere bis starke Sehbehinderung.

Daher sind neben der allgemeinen Barrierefreiheit nach Norm, folgende gestaltungsrelevanten Anforderungen bei der Planung und Einrichtung der direkten Wohnumgebung im Seniorenheim zu beachten:

1. Maßnahmen zur Sturz-, Unfall- und Gefahrenprävention

Im Alter können Stürze, Verletzungen und Operationen gravierende Folgen haben. Motorische Beeinträchtigungen bewirken zudem, dass die Füße schlecht oder kaum mehr angehoben werden können. Dieses führt generell zu einer erhöhten Stolpergefahr. Kommt ein vermindertes Sehvermögen hinzu, erhöht sich das Sturzrisiko nochmals.

Zur sicheren Wahrnehmung von Gefahren in Privat- und Gemeinschaftsräumen ist folgendes notwendig:

Kontrastreiches Geschirr zum Tischtuch - Foto: DBSV/Friese

Kontrastreiches Geschirr zum Tischtuch – Foto: DBSV/Friese

Beleuchtung, Kontraste und Ausstattung

  • ausreichend helle, gleichmäßige, blendfreie und schattenarme Ausleuchtung des Raumes gewährleisten (indirekte Beleuchtung), kein direkter Einblick in das Leuchtmittel
  • Blendung durch Tageslicht verhindern, z. B. durch Verschattungselemente
  • Blendung durch reflektierende Materialien (Bodenbeläge, Möbeloberflächen) verhindern
  • Möbel im Kontrast zur Umgebung und mit abgerundeten Kanten verwenden
  • Keine losen, rutschenden Teppiche verwenden
  • Türen immer ganz öffnen oder schließen

Im Sanitärbereich

  • rutschhemmende Fußbodenbeläge wählen oder rutschhemmende Elemente aufbringen
  • bodengleiche Duschen einbauen
  • Haken statt Handtuchhalter verwenden, die in den Raum ragen

In den Erschließungsflächen

  • Treppen mit Stufenkantenmarkierung und zwei Handläufen versehen
  • Anbringen einer Schranke am Treppenabgang
  • Glasflächen mit Sicherheitsmarkierungen kenntlich machen
  • sämtliche Absturzkanten z. B. durch Geländer absichern

Generell gilt: Stolperfallen, wie lose verlegte Kabel oder vorübergehend abgestellte Gegenstände dort, wo sonst Bewegungsfreiheit herrscht, sind unbedingt zu vermeiden.

2. Hilfreiches und Notwendiges zur besseren Orientierung

Fällt die Orientierung schwer, ist die ganze Aufmerksamkeit darauf gerichtet, zusätzlich auf die eigene Sicherheit zu achten. Deshalb ist es so wichtig, eine gute Orientierung zu unterstützen. Dabei helfen Kontraste. Bei der Wahl farbiger Flächen sollten jedoch keine stark gemusterten Oberflächen gewählt werden, da diese zu Irritationen führen.

Kontrastreich müssen sein:

In den Räumen

  • Möbel zum Bodenbelag und den Wänden
  • Wand zum Boden (z. B. durch eine breite Sockelleiste)
  • Bedienelemente an Türen
  • Taster und Steckdosen zur Wand
  • Geschirr zum Tisch oder dem jeweiligen Tischset

In Sanitärräumen

  • Armatur zum Waschbecken (bei der Dusche zur Wand)
  • Waschbecken zur Wand
  • Griffe zur Wand
  • Handtücher zur Wand oder die Haken zur Wand
  • Sitzgelegenheit, WC-Deckel und Brille

In den Erschließungsflächen

  • Handläufe zur Wand
  • Türen zu den Wänden
  • Bedienelemente und Schalter zum jeweiligen Hintergrund

Darüber hinaus ermöglichen Schränke und Kühlschränke mit Apothekerauszügen einen Einblick in den gesamten Inhalt eines Schrankes und es besteht keine Gefahr, dass beim Suchen etwas runterfällt. Wenn das nicht möglich ist, kann man die Schränke mit einer Innenbeleuchtung ausstatten.

3. Verbindung von Ästhetik mit sehbehinderten- oder blindengerechter Gestaltung

Taktiles und visuell kontrastreiches Leitsystem - Foto: DBSV/Friese

Taktiles und visuell kontrastreiches Leitsystem – Foto: DBSV/Friese

Durchdachte, auf die gesamte Einrichtung bezogene Farbkonzepte, die visuelle Kontraste ausreichend berücksichtigen und Leit- und Orientierungssysteme mit klaren und eindeutigen Piktogrammen einbinden, sind sowohl ästhetisch als auch ein Gewinn für  und Gäste. Auch ein taktiles bodengebundenes und visuell kontrastreiches Leitsystem kann gut integriert werden und die Orientierung zusätzlich erleichtern.

Das Leit- und Orientierungssystem sollte in einem starken visuellen Kontrast, mit ausreichend großer und gut leserlicher Schrift gestaltet sein. Für blinde Bewohner sind tastbare Schilder mit Braille- und erhabener Profilschrift eine Hilfe.

Bodenbeläge, die sich sowohl taktil voneinander unterscheiden als auch visuell kontrastieren, können markante Elemente in der Erschließung hervorheben. So kann z. B. ein Flur mit Linoleum und ein daran anschließender Gemeinschaftsraum mit Teppichboden ausgelegt werden.

Die Beleuchtung birgt ebenfalls viel Potential. Durch Beleuchtungsakzente können z. B. klare Orientierungspunkte in Fluren gesetzt werden. Sie sollte generell in Aufenthaltsbereichen und in den Privaträumen dimmbar sein, was eine jeweilige Anpassung ermöglicht. Auch sollten zusätzlich an Lese- oder Arbeitsplätzen (Handarbeit) dimmbare Leuchten angebracht werden. Licht welches durch Bewegungsmelder angeht, ist z. B. im Sanitärbereich, in Fluren oder nachts sehr hilfreich.

Eine Gestaltung im Zwei-Sinne-Prinzip ist für sehbehinderte Menschen hilfreich bis notwendig, für blinde Menschen unabdingbar. Wichtige Bestandteile sind dann z. B. ein taktiles (kontrastierendes) Bodenleitsystem, welches zum Eingang und vom Eingang zum Empfangsmöbel, zur Treppe, zum Aufzug und zu wichtigen Räumen führt, taktile Stockwerksangaben an den Handläufen der Treppen, Aufzüge mit taktil erfassbaren Tastern und Stockwerksansagen sowie die taktile Kennzeichnung des Wohnbereichs, der wichtigen Räume und mindestens des eigenen Zimmers.

Geschultes Personal ist das A & O

Für neue Bewohner/-innen eines Seniorenheims, die sehbehindert oder blind sind, ist geschultes Personal sehr wichtig. Eine Führung durch alle Räume sollte langsam, mit vielen Erklärungen und Hinweisen sowie mehrmals erfolgen. Besonders wichtig ist natürlich die detaillierte Erläuterung des Individualbereiches.

Dabei sollte der Wegverlauf möglichst genau beschrieben werden. Richtungsänderungen, Absätze oder Treppen sollten stets rechtzeitig angesagt werden, z. B.: „Jetzt gehen wir rechts in das Treppenhaus und gehen dann ein Stockwerk tiefer auf die Ebene des Speisesaals.“. Diese Informationen befähigen die Bewohner/-innen, notwendige Verrichtungen und Wege selbstständig zu bewältigen.

Wichtige Tipps:
https://www.leserlich.info/

Checkliste Sehbehindertengerechte Senioreneinrichtung:
http://www.sehenimalter.org/alterseinrichtungen.html

Fachbroschüren:
https://www.dbsv.org/broschueren.html#alter
https://www.dbsv.org/broschueren.html#barrierefreiheit
https://www.dbsv.org/broschueren.html#augenerkrankungen

Der Artikel ist in der Ausgabe 01/2020 zu finden.

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