von Prof. Dr. Axel Buether

Die geheimnisvolle Macht der Farben – Unsere gesamte Welt ist voller Farben. Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum das so ist? Jeder Mensch lebt in seiner eigenen Farbheimat, die von natürlichen wie kulturellen Umweltfaktoren geprägt ist. Das Erscheinungsbild vertrauter Menschen, Landschaften und Bauten bewahren wir lebenslang im Gedächtnis. Die gewohnten Farben der Natur sind dafür ebenso bedeutsam wie die regionale Architekturfarbigkeit. Wir alle bilden von Kindheit an individuelle Farbpräferenzen, die sich in der Gestaltung von Seniorenheimen widerspiegeln sollten, da sie das Vertrauen älterer Menschen in die Einrichtung stärken, ihre Ängste und Vorurteile abbauen, zugleich auch ihr Wohlbefinden und ihre Gesundheit fördern können. Farbe ist der Stoff unserer inneren und äußeren Bilder, das Sinnesmaterial unserer gesamten Lebenswirklichkeit. Unser Gehirn verwendet mehr als 60 % seiner neuronalen Kapazität auf die Verarbeitung von Farbinformationen, was wir im Alltag jedoch kaum bemerken, denn von den Wirkungen der Farben auf unser Erleben und Verhalten wird uns nicht einmal 1 % bewusst.

Der Erfolg jeder gelungenen Farbgestaltung zeigt sich an ihren Wirkungen auf die betroffenen Menschen, die sich an psychologischen wie medizinischen Faktoren evaluieren lassen. So konnten wir im Anschluss an die farbliche Umgestaltung von insgesamt 4 Intensivstationen im Universitätsklinikum Wuppertal zeigen, dass sich das Wohlbefinden der Patienten durch die neue Farbgestaltung um ca. 50 % verbessert hat. Die Patienten gaben an, sich deutlich privater, geborgener und behüteter zu fühlen. Sie hatten sofort mehr Vertrauen in die Einrichtung und waren deutlich zufriedener mit der Pflege. Der Verbrauch von Neuroleptika, Medikamente, die Angstgefühle und unkontrollierte Erregungszustände unterdrücken, ging im Vergleichszeitraum um etwa 30 % zurück. Beim Personal zeigten sich vergleichbare Effekte. Die Zufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen und die Identifikation mit dem Arbeitsplatz stieg deutlich an, während sich der Krankheitsstand beim Personal um 35 % reduziert hat. Warum besitzen Farben so eine enorme Macht über unser Erleben und Verhalten? [1]

Die biologischen Funktionen der Farben

Gute Gestaltung ist kein Glücksfall. Denn die unendliche Mannigfaltigkeit der Farben ist auch kein Zufall, sondern ein Ergebnis der Evolution. Farbstoffe prägen das Erscheinungsbild von Pflanzen, Tieren und Menschen und haben die Entwicklung der Farbwahrnehmung und damit auch die Bildung komplexer Nervensysteme wie unseren Gehirnen angeregt. Wer die biologischen Funktionen der Farbe kennt und ihre Wirkungen beachtet, kann Seniorenheime daher so gestalten, dass sich Bewohner und Personal gleichermaßen darin wohlfühlen. Die sieben biologischen Grundfunktionen der Farben sind: Orientierung, Gesundheit, Warnung, Tarnung, Werbung, Status und Verständigung. Farben bilden Identität und schaffen Orientierung, was selbst große Gebäude erheblich übersichtlicher und kleinteiliger erscheinen lässt. Farben können den Tatendrang der Heimbewohner anregen oder sie zur Ruhe bringen. Sie können erheblich dazu beitragen, dass sich das Heimpersonal mit seinem Arbeitsplatz identifiziert, denn eine schlechte Atmosphäre wird intuitiv als mangelnde Fürsorge des Arbeitgebers interpretiert. Doch wie kommt es zu all diesen Wirkungen, denen sich niemand entziehen kann?

Farben sind Erscheinungsformen des Lichts. Sie beeinflussen lebenswichtige Körperfunktionen wie unsere Atmung, Aufmerksamkeit und Motivation. Farben regulieren unseren Wach- und Schlafrhythmus, den Stoffwechsel oder auch den Appetit. Farben beeinflussen unseren Hormonhaushalt und haben damit Auswirkungen auf unsere körperliche und geistige Leistungsfähigkeit. Farben wecken machtvolle Assoziationen und beeinflussen hierdurch unser Denken und Tun wie unseren emotionalen Gefühlszustand.

Wege zur richtigen Farbgestaltung

Intensivstation Helios Universitätsklinikum Wuppertal: Vorher und Nachher Abb. 1: Dienstplatz vor der Farbgestaltung – Der gleichförmige Farbverlauf erschwert die Orientierung auf der gesamten Station.

Intensivstation Helios Universitätsklinikum Wuppertal: Vorher und Nachher – Dienstplatz vor der Farbgestaltung – Der gleichförmige Farbverlauf erschwert die Orientierung
auf der gesamten Station. – Fotos: Axel Buether

Dienstplatz nach der Farbgestaltung - Durch die gelbe Markierung wird der Dienstplatz zum Zentrum der Station. Das sorgt für klare Orientierung und spart im Notfall Zeit. Zur einen Seite entwickelt sich ein Farbverlauf von Gelb zu Orange, zur anderen von Gelb zu Grün. Der extrem lange Flur zerfällt hierdurch in einen linken und rechten Flügel, was für eine optische Verkürzung sorgt. - Fotos: Axel Buether

Dienstplatz nach der Farbgestaltung – Durch die gelbe Markierung wird der Dienstplatz zum Zentrum der Station. Das sorgt für klare Orientierung und spart im Notfall Zeit. Zur einen Seite entwickelt sich ein Farbverlauf von Gelb zu Orange, zur anderen von Gelb zu Grün. Der extrem lange Flur zerfällt hierdurch in einen linken und rechten Flügel, was für eine optische Verkürzung sorgt. – Fotos: Axel Buether

Schauen wir uns ein Beispiel an. Häufige Albträume und Vorstellungen, die von Dunkelheit, Krankheiten und Tod handeln, sind Kennzeichen schizophrener Psychosen. Menschen, die plötzlich dunklere, grauere und bläulichere Bilder in den sozialen Medien posten, senden ihrer Umwelt damit häufig Anzeichen nahender Depressionen. Je öfter eine Person diese düsteren Bilder postet, umso wahrscheinlicher wird die Erkrankung. Ältere Menschen bringen gedrückte Stimmungen wie Traurigkeit, Schwermut und Depressionen hingegen oft über düstere Kleidungsfarben zum Ausdruck. Doch die Sprache der Farben funktioniert auch andersherum. Sobald sich Menschen nach einem Trauerfall wieder dem Leben zuwenden, signalisieren sie ihrer Umgebung diesen Stimmungswechsel meist zuerst durch einen Wechsel der Kleidungsfarben, weg vom toten Schwarz und tristen Grau hin zu vitalen Buntfarben. Düstere Farben sind für die Farbgestaltung von Seniorenheimen denkbar ungeeignet, ebenso wie dunkle Gänge und Zimmer, die keinen freien Ausblick auf den Himmel und einen Grünraum haben. Die Atmosphäre von Seniorenheimen sollte von Licht, Luft und Sonne geprägt sein, sandig abgetönten Weiß wie natürlichen heiteren Bunttönen, die der Farbheimat der Bewohner entlehnt sind.

Doch Achtung! Reine Bunttöne sollten sie hingegen ausschließlich als Akzentfarben verwenden, da sich die Wirkung jeder Farbe mit ihrer Ausdehnung im Raum verstärkt. Ein natürlicher Buntton enthält immer einen Anteil der Komplementärfarbe und erscheint hierdurch vergraut. Auf Warnfarben, wie Kombinationen von Gelb mit Schwarz, auf Blutrot, Giftgrün oder Glutorange sollten sie in diesem Kontext besser ganz verzichten. Andere Farbtöne, wie das sogenannte „Rentnerbeige“, den viele ältere Menschen bei Kleidungs- wie Raumfarben schätzen, müssen heute neu bewertet werden. Im Kontext des Alters können omnipräsente Brauntöne Resignation, abnehmende Lebensfreude und Vitalität signalisieren. Senioren, die bis ins hohe Alter vital und gesund bleiben wollen, meiden aus diesem Grund häufig das „Rentnerbeige“ und bevorzugen stattdessen vitale Farben wie Rot, Rosa, Gelb, Grün, Blau, Türkis und Orange. Die Wirtschaft hat diesen Trend längst erkannt. Der gesellschaftliche Wandel zu einem gesünderen und aktiveren Lebensabend zeigt sich nirgendwo so deutlich, wie am Erscheinungsbild der Produkte, die für die wichtige Zielgruppe der Senioren angeboten werden. Ich kann ich sie daher nur ermuntern, Umweltfaktoren wie Licht und Farbe stets so einzusetzen, dass sie ihre Wirkungen zum Wohl der Menschen entfalten.

Quelle:

[1] Buether, Axel; Die geheimnisvolle Macht der Farben. Wie sie unser Verhalten und Empfinden beeinflussen. Droemer 2020

Kurzinfo

Prof. Dr. Axel Buether ist Professor für Didaktik der visuellen Kommunikation an der Bergischen Universität Wuppertal und Vorsitzender des „Deutschen Farbenzentrums – Zentralinstitut für Farbe in Wissenschaft und Gestaltung“. Er realisierte zahlreiche Projekte in Architektur, Design und Medienkunst. Axel Buether ist Autor zahlreicher Fachpublikationen und gefragter Experte in Forschung, Medien und Praxis.

Homepage: www.axelbuether.de

Der Artikel ist in der Ausgabe 01/2021 zu finden.

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