Von Michael Sudahl
Gelebte (Unternehmens-)Werte und eine empathische Führung machen Pflegeeinrichtungen attraktiver. Für Bewohner und Personal. Das gelingt, indem Führungskräfte ihre Teams hören und stärken und indem jeder Einzelne seine Eigen- und Fremdwahrnehmung in Einklang bringt. Es braucht außerdem Platz für Trauerarbeit. Nördlich von Hamburg schließt ein Pflegeheim eine ganze Station. 50 der bislang 230 Bewohner müssen eine neue Bleibe finden. Der Grund: Es fehlen die Fachkräfte. Die Konsequenz ist bitter, für das Haus und seine Bewohner.
In Halle an der Saale macht ein Altenheim in der Südstadt dicht. Auch hier mangelt es an Pflegern. Die Pflegebranche hat es schwer, Personal zu finden und zu halten. Schlagzeilen wie oben tauchen immer wieder auf, weil Mitarbeiter die Pflege verlassen und der Nachwuchs fehlt. Ein Grund: Die Altenpflege hat ein Imageproblem. Um diesen Missstand zu beheben, können private Betreiber und öffentliche Träger an Stellschrauben drehen. Dabei geht es darum, die Kultur zu verbessern und die Menschen zu stärken.
Als Gründe für ihr Ausscheiden aus der Pflege geben Fachkräfte meist eine hohe körperliche und psychische Arbeitsbelastung an. Die resultiert laut Manuel Marburger auch aus dem Dilemma, dass im hektischen Arbeitsalltag kaum Zeit für Trauerarbeit in den Heimen ist. „Sich Zeit für Trauer zu nehmen, haben die wenigsten auf dem Schirm“, verdeutlicht der Coach, der etliche soziale Einrichtungen berät. Nur langsam sickern Erkenntnisse, etwa aus der Trauma-Forschung, in die Pflege ein. „Lernen, das abzuhaken“, sei ein verbreiteter Irrglaube, sagt Marburger. Verdrängung helfe bedingt und meist nur kurzfristig.
Doch statt sich der Trauer zuzuwenden, steigt der psychische Druck in vielen Häusern. Was ist also zu tun, um die Pflege attraktiver zu machen? Ein Ansatz ist, das Wertesystem in den Einrichtungen neu zu definieren. Dazu sollten die Heime Plattformen schaffen, auf denen Kollegen offen und angstfrei reden können, rät der Coach. Das könne ein wöchentliches Meeting sein, in dem Mängel auf den Tisch kommen. Die Aufgabe der Pflegedienstleitung sei es, diesen Zuhör-Rahmen zu schaffen, die Grundbedürfnisse der Mitarbeiter wahrzunehmen – und diese zu erfüllen. „Manchmal geht es um einfache Dinge, wie eine Mitsprache und die Verbindlichkeit des Dienstplans oder ein günstiges und gesundes Mittagessen“, verdeutlicht Marburger. Gibt es diese Plattformen, hat das Auswirkungen: Wer gehört wird, dessen Motivation steigt nachweislich, weil Zuhören Wertschätzung ist.
Ein anderer Aspekt ist der Umgang der Kollegen untereinander. Vor allem wenn in stressigen Arbeitsphasen der Ton rauer wird. „Die Kunst ist es, in diesen Phasen bei sich zu bleiben“, sagt Coach Marburger, „und nicht über vermeintliche Fehler des Kollegen zu urteilen“. Aufgabe der Führungskraft sei es, diesen Zustand zu erkennen und wiederum für Settings zu sorgen, in denen über diese Projektionen gesprochen werden könne – und sie auszuräumen. Im Kern gehe es darum, die Fremd- mit der Eigenwahrnehmung des einzelnen Mitarbeiters in Einklang zu bringen. Das sei ein wesentlicher Baustein eines Wertekanons, der Teams zusammenschweißt – was schlussendlich das Hausklima verbessert.
Genau in diesen Kontext passt wiederum die Trauerarbeit. In vertraulichen Gesprächsrunden könnten ältere Pflegekräfte von ihrem Umgang mit Tod und Sterben berichten.
Wiederum aus der Trauma-Hilfe bei Katastrophen ist bekannt, dass es Betroffenen hilft, wenn sie von anderen hören und lernen können, um einen Umgang mit den eigenen Gefühlen zu finden. „Geschieht diese Arbeit, kann Vertrauen zwischen Leitung und Kollegen wachsen“, weiß Marburger. Vertrauen ist wiederum die Grundlage, um intrinsische Motivation zu entwickeln. Wenn Kollegen spüren, dass die Pflegedienstleitung Freiräume schafft, sich um bessere Arbeitsbedingungen kümmert und im Konfliktfall hinter ihnen steht, wird sich das Betriebsklima positiv ändern, hat Marburger in seinen Beratungen beobachtet.
In der Wirtschaft haben Betriebe verstanden, dass Mitarbeiter wie ein Aushängeschild fungieren. Ihr Eindruck beim Kunden bleibt haften. Es gibt kaum einen Handwerker, der nicht seinen Dreck wegmacht, wenn er in der Wohnung einer alten Frau den Bohrer ansetzen muss. „Mitarbeiter sind die Visitenkarte des Unternehmens“, ist ein gerne postulierter Spruch. Wer sich veranschaulicht, wie manche (vor allem ältere) Seniorenheime aussehen, kann verstehen, wieso die Branche ein Imageproblem hat. Gebäude-Instandhaltung, der Geruch, die Begrüßung von Besuchern oder der Umgangston lassen oft zu wünschen übrig.
„Genau sie aber sind es, die am Image schrauben“, betont Marburger. Dafür ein Bewusstsein zu haben, schaffe im Umkehrschluss Vertrauen und fördere das Ansehen der Einrichtung. Ähnlich wie beim Tabu Trauerarbeit wird in der Pflege wenig über den öffentlichen Auftritt diskutiert. Zwar zeigt man gerne, etwa am Tag der offenen Tür, Besuchern das Haus. Dass diese Öffentlichkeitsarbeit jedoch jeden Tag im Umgang mit Bewohnern und Angehörigen stattfindet, dafür haben die wenigsten Fachkräfte die nötige Sensibilität.
Kurzinfo
Manuel Marburger ist ausgebildeter Rettungsassistent; der 44-Jährige war ehrenamtlich bei der Wasserwacht und im Katastrophenschutz als Rettungstaucher und Ausbilder tätig. Danach gründete er die Kletter-Spezial-Einheit sowie eine Schule für Industrieklettern. Heute arbeitet er als Unternehmens- und Organisationsberater, ist Buchautor und Coach. www.manuelmarburger.de