von Dr. med. Sonja Krupp

Pflegeeinrichtungen als Kompetenzzentren in der Gesundheitsversorgung durch Multiplikation von körperlicher Aktivität“ – diesem vielschichtigen Programm hat der Deutsche Verband für Gesundheitssport und Sporttherapie e. V. (DVGS) mit „POLKA“ eine Abkürzung verliehen, die viele Senior*innen sofort mit Freude an der Bewegung assoziieren. Das mit Mitteln der DAK-Gesundheit geförderte Projekt wendet sich sowohl an die Bewohner*innen der Pflegeeinrichtungen als auch an das Personal.

Die Gesundheitsförderung beider Personengruppen auf diese Weise miteinander zu verknüpfen, ist ein logischer Schritt, denn körperlich und emotional gesünderes Personal kann sich besser auf die Bedürfnisse der pflegebedürftigen Menschen einstellen und ihre Gesundheit fördern – umgekehrt sind solche Bewohner*innen leichter zu pflegen, die versuchen, sich so fit und selbstständig wie eben möglich zu erhalten. Für Personal mögen z. B. psychischer Stress, Rückenschmerzen, Gewichtsprobleme oder die Schwierigkeit, dem Nikotinkonsum zu entsagen, im Vordergrund stehen. Für in der Pflegeeinrichtung wohnende Senior*innen ist, neben Kontaktarmut, die Abhängigkeit von Hilfeleistungen oft das dominierende Thema mit Bezug zu ihrem gesundheitlichen Status. Dabei werden Defizite in den Fähigkeiten, sich selbstständig und sicher zu bewegen, insbesondere fortzubewegen, von fast jedem genannt, dessen Kognition eine realistische Einschätzung der eigenen Situation zulässt.

Um die passende Expertise für beide in POLKA angesprochenen Gruppen an Bord zu haben, hat die DVGS sich für die betriebliche Gesundheitsförderung an das Heidelberger Institut für Gesundheitsförderung GmbH, das Institut für Sport und Sportwissenschaft der Universität Heidelberg und mit Blick auf das Thema Ernährung an die Kraaibeek GmbH gewandt, für die Aktivierung der Bewohnerschaft an die Forschungsgruppe Geriatrie Lübeck (FGL). Die Implementierung hat in Schleswig-Holstein begonnen und wird sich innerhalb der fünfjährigen Projektlaufzeit bis zum 30. Juni 2024 auch auf andere Bundesländer ausdehnen. Zunächst wird das Angebot 40 Einrichtungen zur Verfügung gestellt, einschließlich der benötigten Übungsmaterialien.

Pfleger*innen werden zu Bewegungsexpert*innen

Ein Kernelement von POLKA ist das gezielte Empowerment von Angestellten der Pflegeeinrichtung als „Bewegungsexpert*innen“. Sie werden zu vor Ort verfügbaren Ansprechpartner*innen in Sachen Bewegungsförderung pflegebedürftiger Senior*innen, was es erleichtert, den Expertenstandard „Erhaltung und Förderung der Mobilität in der Pflege“ umzusetzen. Die Qualifizierung erfolgt sowohl unmittelbar über die FGL mit 16 bis 32 Unterrichtseinheiten (davon ein Tag als Präsenzunterricht, zusätzlich in digitalem Format) als auch mittelbar über „Bewegungslots*innen“. Wie Lotse oder Lotsin nicht dauerhaft auf dem Schiff mitfahren, aber regelmäßig an Bord kommen, um Kapitän und Mannschaft beim Ansteuern des Zielhafens zu unterstützten, so gehören auch die Bewegungslots*innen in der Regel nicht zum Personal des Seniorenheims, sondern betreuen mehrere Einrichtungen.

Aufbauend auf der Qualifikation eines Bewegungsfachberufes (z. B. Physiotherapie, Sportwissenschaft) haben sie in 64 Unterrichtseinheiten ihr Wissen speziell hinsichtlich der Förderung pflegebedürftiger Senior*innen zur Prävention abnehmender Mobilität vertieft. Zu den ihnen geläufigen Bewegungsangeboten gehört auch das Lübecker Modell Bewegungswelten als, in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung verbreitetes, körperlich, kognitiv und sozial aktivierendes Präventionsprogramm mit wissenschaftlich überprüfter Wirksamkeit (siehe Seniorenheim-Magazin 2/2020).

Bewegungslots*innen können dieses als Übungsleitende zweimal wöchentlich für eine Stunde in den von ihnen betreuten Einrichtungen anbieten und stehen im Anschluss daran den Bewegungsexpert*innen des Seniorenheims eine weitere Stunde für den fachlichen Austausch zur Verfügung. Dabei können orientiert an den Wünschen und kognitiven und motorischen Möglichkeiten der Senior*innen individuelle Wege zu mehr Bewegung gefunden werden.

Aktivität für alle – dank „Bewegungssnacks“

Ältere Frau schlägt die Decke auf. Sie dreht den Oberkörper mit.

Ältere Frau reckt und streckt sich. Dabei zählt sie bis 10.

Ältere Frau lässt die Unterschenkel aus dem Bett hängen.

Übung

Stellen Sie sich vor, Sie wachen morgens auf…

  1. Schlagen Sie die Decke auf. Drehen Sie den
    Oberkörper mit.
  2. Recken und strecken Sie sich. Dabei bis 10 zählen,
    dann locker lassen.
  3. Lassen Sie die Unterschenkel aus dem Bett hän-
    gen. Drücken Sie sich so weit Sie können hoch, dabei
    weiteratmen.

(Siehe Fotos: Anja Krahnert)

Dieses Mehr an Aktivität soll nicht auf jene begrenzt sein, die noch in der Lage sind, an einstündigen Bewegungsangeboten teilzunehmen, sondern zum Konzept von POLKA gehören darüber hinaus auch kürzere Trainingseinheiten. Da gibt es die Möglichkeit, sich fünfmal wöchentlich 30 Minuten lang in der Kleingruppe zu ertüchtigen. Für deren Anleitung können Bewegungsexpert*innen sich zu Übungsleitenden schulen lassen. Wer zu stark betroffen ist, um an Gruppenaktivitäten teilzunehmen, dem können 10-minütige „Bewegungssnacks“ angeboten werden, am besten dreimal täglich. Dabei handelt es sich um Einzelinterventionen, die sich auch für Bewohner*innen eignen, die ihr Zimmer nicht verlassen können oder möchten, auch für bettlägerige Senior*innen. Die Übungen sind einfach beschrieben und mit Fotos verdeutlicht. Nach Anleitung können sogar interessierte Angehörige die Durchführung unterstützen.

Beide Interventionen basieren auf dem erstmals im Lübecker Modell Bewegungswelten definierten Konzept, die enthaltenen Übungen bekannten Situationen zu entlehnen, z. B. mit oder ohne Material die Bewegungen beim Mauern, Fenster einsetzen oder Tapezieren oder eben beim Umgraben, Samen säen und Unkraut jäten zu imitieren, je nachdem, in welcher der „Bewegungswelten“ die Übungsleitenden und Senior*innen sich gedanklich befinden. Auf die Aktivierung aller Körperregionen wird auch bei den auf 30 bzw. 10 Minuten verkürzten Trainingseinheiten geachtet.

Für wen welche Methoden der Bewegungsförderung – die natürlich über die eigentlichen Trainingsminuten hinausgehen – am besten geeignet sind und welche Ziele in Bezug auf eine Erweiterung des Bewegungsraumes und Ausbau der Selbstständigkeit realistisch sind, das lässt sich nur bei genauer Kenntnis der Ressourcen eines Menschen abschätzen. Zu diesem Zweck erlernen die Bewegungsexpert*innen ein einfaches Assessment, das im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung ausgewertet und von den Bewegungslots*innen um weitere Elemente ergänzt wird. Die erzielten Fortschritte lassen sich so abbilden und dies trägt zur Motivation bei, sich weiterhin zu bewegen – am besten Senior*innen und Personal gemeinsam, fast wie beim POLKA tanzen.

Der Artikel ist in der Ausgabe 01/2021 zu finden.

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