Mehr Automatisierung wird auch für die Pflege immer entscheidender. Wie diese aussehen kann, welche Hürden es aktuell noch gibt und wie Unternehmen den Einstieg schaffen, beantworten Dr. Birgit Graf und Malte Volkwein vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA.

Digitalisierung, KI und Robotik sind aktuell in aller Munde – insbesondere getrieben durch die schwierige Wirtschaftslage und gesellschaftliche Herausforderungen wie den Arbeitskräftemangel oder den demografischen Wandel. Inwieweit sind diese Technologien auch für die Pflegebranche relevant?

Birgit Graf: Wir entwickeln bereits seit vielen Jahren Serviceroboter für die Pflege und das immer auch in intensiver Zusammenarbeit mit möglichen Anwendern. Daher wissen wir, dass es viel Potenzial für diese Technologie gibt. Beispielsweise kann sie das Personal bei pflegefernen Tätigkeiten wie dem Warentransport oder der Reinigung entlasten und damit helfen, mehr Zeit für die eigentliche Pflege und Interaktion zu schaffen. Durch den Einsatz moderner Pflegehilfsmittel und den Fokus der Arbeit auf die Kerntätigkeiten können zudem attraktivere Arbeitsbedingungen für das ohnehin knappe Personal geschaffen werden.

Malte Volkwein: Das sehe ich genauso. Und man muss bei den genannten Entwicklungen natürlich auch differenzieren, weil sie mitunter ganz verschiedene Domänen adressieren und auch unterschiedlich entlasten können. Während z. B. ein Serviceroboter eher phasenweise unterstützt, sollten Digitalisierungstools den gesamten Arbeitsablauf begleiten und erleichtern. Ob dann noch Künstliche Intelligenz (KI) zum Einsatz kommen kann und sollte, hängt wiederum sehr von der Aufgabe ab. Einem Serviceroboter kann sie bspw. helfen, ihm unbekannte Objekte zu erkennen und passend zu greifen. Weitere Vorteile kann sie u. a. in der gesamten Daten- und Warenverwaltung bringen.

Roboter gibt es je nach Aufgabe in den verschiedensten Ausführungen und mit unterschiedlichen Funktionalitäten. Von welcher Art Roboter sprechen wir, wenn es um Einsatzmöglichkeiten in der Pflege geht, damit sie insbesondere die eben genannten Vorteile bieten können?

Birgit Graf: Die Kernfunktion vieler Roboter für die Pflege ist die autonome Navigation. Solch ein Roboter kann in seiner Einsatzumgebung selbstständig den Weg zu einem vorgegebenen Ziel finden und mithilfe seiner Sensorik allen Hindernissen, die sich ihm in den Weg stellen, sicher ausweichen. So kann er z. B. Transportaufgaben erledigen und Wäsche, Pflege- oder Verbandsmaterialien dort bereitstellen, wo sie benötigt werden. Wenn er darüber hinaus Objekte erkennen und greifen kann, erweitert das seinen Aktionsradius. So haben wir einen Reinigungsroboter entwickelt, der Türgriffe erkennt und dadurch Türen öffnen kann. Denn bisher waren Zimmer mit geschlossenen Türen den Robotern nicht zugänglich. In einem anderen Projekt nutzen wir diese Technologie, um Schränke zu öffnen, sodass ein Transportroboter Materialien dort herausnehmen oder einlagern kann. Wieder andere Roboter dienen der Interaktion mit Bewohnern oder Patienten. Auch einfach Servicefunktionen wie bspw. Getränkelieferungen haben wir in unseren Projekten bereits umgesetzt. Diese Roboter müssen dann nicht nur mobil sein, sondern auch Personen erkennen und diese passend ansprechend können.

Malte Volkwein: Besonders wichtig ist uns bei unseren Entwicklungen das Prinzip „Form follows Function“. D. h., dass wir die Roboter so gestalten, dass ihre Funktionalität direkt erkennbar bleibt. Wir sprechen in diesem Zusammenhang auch nicht von „Pflegerobotern“, denn Roboter, die direkte Pflegeaufgaben am Menschen übernehmen, sind nicht Ziel unserer Entwicklungen. Diese Aufgaben betreffen die innerste Privatsphäre von Menschen und sollten daher auch Menschen überlassen sein. Darüber hinaus wären sie technisch extrem anspruchsvoll und die Sicherheit könnte mit heutiger Technologie kaum gewährleistet werden.

Sie haben viele Einsatzmöglichkeiten und Vorteile von Robotern in der Pflege benannt. Dennoch sieht man diese Systeme bisher kaum in der Praxis. Welche Gründe gibt es hierfür?

Malte Volkwein: Viele Einrichtungen haben den Anspruch, dass Roboter Aufgaben des Personals 1:1 und komplett übernehmen. Das ist aber mit dem heutigen Stand der Technik nicht realistisch. Roboter sind aktuell in der Lage, Hand in Hand mit dem Personal zusammenzuarbeiten und es gezielt zu unterstützen. So wie in der Industrie, wo es auch keine „menschenlose“ Produktion gibt, sondern Roboter mehrheitlich gezielt neben dem Menschen eingesetzt werden. Dieser gleichzeitige Einsatz von Mensch und Roboter erfordert aber wiederum ein neues Prozessdenken und, als Basis dafür, strukturierte Prozesse. Diese sind in vielen Einrichtungen nicht gegeben und das liegt nicht an ständigen Notfällen auf der Station. Im Vergleich zur Industrie liegt die Gesundheitsbranche im Prozessmanagement um Jahre zurück. Erfolgreiche Einrichtungen zeigen aber, wie es heute schon besser geht. Das sind auch die Einrichtungen, die als „Frontrunner“ bei Digitalisierungs- und Automatisierungstechnologien auftreten und diese erfolgreich einsetzen.

Birgit Graf: Hinzu kommt, dass der Weg vom Prototyp, wie wir ihn bspw. in der angewandten Forschung entwickeln können, in die kosteneffiziente Serienproduktion schwierig ist. Dadurch sind viele Hersteller noch zurückhaltend, in diese Branche einzusteigen. Eine Herausforderung dabei ist es, Anwendungen zu identifizieren, die einen hohen Mehrwert bringen und die Roboterhardware bzw. Einsatzszenarien entsprechend zu gestalten und diesen Mehrwert, bspw. die Zeit, die das Personal durch den Robotereinsatz einsparen kann, dann auch in der Praxis nachzuweisen. Hier fehlen oft Referenzinstallationen, die den Nutzen den anfallenden Kosten gegenüberstellen und quantitativ nachweisen. Auch rechtlich muss viel beachtet werden und die Roboter müssen in die Arbeitsabläufe integriert werden. Nicht zuletzt ist die Pflegebranche relativ technikfern. Einrichtungen sind nicht für den Robotereinsatz ausgelegt. Außerdem braucht das Personal einfach zu nutzende, verlässliche Roboter mit direktem Mehrwert, da sie für aufwendige Schulungen oder „Betreuung“ der Roboter keine Zeit haben.

Was braucht es, um diese Hürden zu überwinden?

Malte Volkwein: Es braucht m. E. Akzeptanz und Einsicht vor allem in der Geschäftsführung und bei den Führungskräften der Einrichtungen, dass es mit den heutigen Prozessen so nicht weitergehen kann. Das Gesundheits- und Pflegesystem leistet sich in der Versorgung von pflegebedürftigen Menschen ein Ausmaß an Verschwendung (nach dem Lean-Prinzip), das in anderen Teilen der Gesellschaft undenkbar wäre. Es werden z. B. hochqualifizierte und überall gesuchte Pflegekräfte dazu eingesetzt, Pflegematerialien wie Handschuhe vom Lager im Keller der Einrichtung per Hand vier Stockwerke nach oben auf Station zu tragen. Generell brauchen wir bei allen Beteiligten die Akzeptanz, dass Pflege ohne den Einsatz robotischer Technologie in der Breite der Gesellschaft künftig nicht mehr finanzierbar sein wird.

Birgit Graf: Hierzu gehören auch klare öffentliche Fördermaßnahmen mit dem Ziel, auf bestehenden Forschungsergebnissen aufzubauen, diese weiterentwickeln, in die Praxis zu bringen und damit die dringend benötigten Referenzinstallationen zu schaffen. Wir dürfen das Rad nicht immer neu erfinden wollen. Zudem wären initiale Möglichkeiten gut, um Roboter in Aktion zu erleben, ohne dass aufseiten der Pflegeeinrichtung Aufwände entstehen. Nicht zuletzt ist eine gesellschaftliche Debatte darüber entscheidend, wie viel Robotik wir uns „wünschen“ oder „akzeptieren“, um hier einen Konsens zu erlangen.

Bereits seit vielen Jahren arbeiten Sie intensiv mit den potenziellen Nutzern von Robotern in der Pflegebranche zusammen, haben Bedarfsanalysen und zahlreiche Beratungsprojekte durchgeführt. Was raten Sie Einrichtungen, die sich grundsätzlich für Robotertechnologien interessieren, aber nicht wissen, wie sie sich diesen am besten nähern könnten?

Birgit Graf: Eine Analyse der Bedarfe und Möglichkeiten in der eigenen Einrichtung sollte immer die Grundlage sein. Zugleich sollte man sich Informationen über die Fähigkeiten und Einsatzmöglichkeiten vorhandener, produktreifer Roboter einholen, um zu verstehen, was momentan technisch machbar ist. Hierzu bieten wir am Fraunhofer IPA Expertenworkshops oder Beratungsprojekte an. Hat sich eine Idee als machbar herausgestellt, können Fördermöglichkeiten geprüft werden. Zunächst kann es auch hilfreich sein, mit einem kleinen Pilotprojekt zu starten, um bereits erste Erfahrungen zu sammeln.

Robotik in der Pflege – auf einen Blick

Potenzial: Roboter können das Personal entlasten, indem sie pflegeferne Tätigkeiten wie Transport und Reinigung übernehmen, was mehr Zeit für die eigentliche Pflege und Interaktion mit Patienten ermöglicht.

Herausforderungen: Viele Einrichtungen erwarten, dass Roboter Aufgaben des Personals komplett übernehmen, was technisch nicht möglich ist. Die Integration in bestehende Arbeitsabläufe und das Prozessmanagement sind oft noch nicht ausgereift.

Empfehlungen: Bedarfsanalysen und Fördermaßnahmen sind essenziell für die erfolgreiche Einführung von Robotertechnologien in der Pflege. Expertenworkshops und Beratungsprojekte, wie sie vom Fraunhofer-IPA angeboten werden, können Orientierung bieten.

Kurzinfo

Birgit Graf - Autorenfoto
Malte Volkwein - Beraterfoto

Dr. Birgit Graf und Malte Volkwein vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA – Fotos: Fraunhofer IPA

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 01/2025 erschienen.

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