von Silke Blumenröder
Der häufig zitierte Fachkräftemangel betrifft die Pflegebranche besonders stark. Rein statistisch kommen auf 100 offene Stellen 21 Bewerber, zeigt die Statistik der Bundesagentur für Arbeit. Immer mehr Seniorenheim-Betreiber setzen daher auf Quereinsteiger.
„Jeder Quereinsteiger ist herzlich willkommen“, ist auf der Homepage der Johanniter zu lesen. Interessierte, die einen beruflichen Neustart wagen wollen, können auf einem verlinkten Karriereportal der Diakonie Deutschland testen, ob sie der Typ für einen Job in der Pflege wären. Außerdem erfahren Wechselwillige, wie der Einstieg gelingt oder welche Berufe in Frage kommen. In kurzen Videos erklärt beispielsweise ein ehemaliger Tischler, weshalb er heute als Altenpfleger arbeitet.
Auch Anja Henke ist Pflege-Quereinsteigerin. Sie arbeitete einige Jahre im Handel und in der Gastronomie, war Barista bei einer Kaffee-Kette und stellvertretende Filialleiterin in einer Bäckerei. 2015 entschied Henke sich für eine Ausbildung zur Betreuungsassistentin und gelangte über ein Praktikum zu ihrem heutigen Arbeitgeber, einem Seniorenstift: „Mir war es wichtig, mit meiner Arbeit auch etwas Gutes zu tun, das hat mir im Handel oder der Gastronomie oft gefehlt.“ Vergangenes Jahr hat die Mutter einer Tochter eine nebenberufliche Weiterbildung zur Fachwirtin im Gesundheits- und Sozialwesen abgeschlossen – als IHK-Prüfungsbeste.
Quereinsteiger holen fachliche Defizite meist rasch auf
„Dass Quereinsteiger besonders gute Prüfungen ablegen, erleben wir immer wieder“, berichtet Simone Stargardt, Geschäftsführerin der Weiterbildungsakademie carriere & more mit Standorten in der Region Stuttgart, Mannheim und Würzburg. Unter den jährlich rund 1000 Teilnehmern, die sich nebenberuflich auf einen IHK-Abschluss vorbereiten, sind regelmäßig Prüflinge zum Fachwirt im Gesundheits- und Sozialwesen, die quer in den Pflegeberuf eingestiegen sind.
„Wer schon Erfahrung in anderen Berufen sammeln konnte, profitiert in Prüfungssituationen oft von einer über die Jahre gewonnenen Souveränität“, beobachtet die Expertin für modernes Personalmanagement. Zudem falle es Weiterbildungs-Teilnehmern, die schon in unterschiedlichen Jobs gearbeitet haben, häufig besonders leicht, ein gefordertes Ergebnis durch Lerntransfer zu erzielen. „Quereinsteiger sind häufig besonders motiviert, holen eventuell vorhandene, fachliche Defizite in der Regel rasch auf und verfügen oft über eine hohe, soziale Kompetenz“ so Stargardt.
Von kaufmännischen oder gewerblichen Berufen in die Pflege
Rosemarie Amos-Ziegler kann die Aussage der Akademie-Inhaberin bestätigen. Die Geschäftsführerin der Wohngemeinschaft für Senioren (WGfS) in Filderstadt bei Stuttgart beschäftigt rund 250 Mitarbeiter. Darunter ehemalige Maler, Fliesenleger, Rechtsanwalts- oder Notargehilfinnen, die nach einem Pflege-Praktikum eine weitere Ausbildung absolviert haben, zum Beispiel als Altenpfleger oder Altenpflegehelfer. Amos-Ziegler erhält – entgegen dem Branchentrend – bislang jährlich mehr Bewerbungen, als in ihrer Einrichtung offene Stellen zu besetzen sind.
Die meisten Berufswechsler kommen über Mundpropaganda zur WGfS. „Auch über unsere Kooperationen mit Schulen und Kindergärten haben wir schon Mitarbeiter akquiriert“, erläutert Amos-Ziegler. So würden etwa immer wieder Frauen, die nach der Elternzeit eine Teilzeitstelle mit flexiblen Arbeitszeiten suchen, nach einem Praktikum eine Ausbildung anschließen und so in der Altenpflege ihre zweite Karriere starten.
Im Bereich Gesundheit und Soziales gehört die WGfS GmbH inzwischen zu den zehn besten mittelständischen Arbeitgebern Deutschlands. Das hat ein Ranking der Online-Plattform kununu in Kooperation mit dem Magazin Focus ergeben. Dies und weitere Auszeichnungen, wie der deutsche Exzellenzpreis oder eine Spitzenbewertung bei „Deutschlands beste Ausbilder“, sorgen für mediale Aufmerksamkeit und helfen dem Unternehmen branchenübergreifend auf dem Bewerbermarkt.
„Mit entsprechender, sozialer Kompetenz können Branchenfremde meist unkompliziert als Hilfskraft in einen Pflegeberuf wechseln. Sie benötigen lediglich eine Basisqualifikation, die verschiedene Bildungsträger anbieten“, weiß Weiterbildungs-Fachfrau Simone Stargardt. Wer dann eine mindestens fünfjährige, einschlägige Berufspraxis nachweisen kann, erfüllt die Zulassungs-Voraussetzung zur IHK- Prüfung zum Fachwirt im Gesundheits- und Sozialwesen. Quereinsteiger können sich etwa nebenberuflich entsprechend weiterqualifizieren und haben so die Möglichkeit, in der Pflegebranche den nächsten Karriereschritt zu gehen.
Der Artikel ist in der Ausgabe 01/2020 zu finden.