von Dr. Stephanie Stadelbacher
In einem vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten Forschungsprojektes zum Thema „Sterben zuhause im Heim“ wurde am Zentrum für Interdisziplinäre Gesundheitsforschung der Universität Augsburg in Kooperation mit dem Institut für Praxisforschung und Projektberatung in München der aktuelle Entwicklungsstand von Hospizkultur und Palliativkompetenz in Pflegeheimen beforscht. Ausgehend von der Tatsache, dass sich Pflegeheime zunehmend von Orten des Lebens auch zu Orten des Sterbens wandeln, war die Frage, wie weit hospizliche Begleitung und palliativpflegerische Versorgung am Lebensende in deutschen Pflegeheimen bereits verbreitet sind.
Die Integration des Sterbens ins Heim ist eine Haltungsfrage…
Für die Praxis der stationären Altenpflege ergibt sich damit die Herausforderung, dass das Selbstverständnis der Heime sowie die Berufsidentität der Mitarbeitenden neu justiert werden müssen: Sterben muss als normaler Teil des Lebens im Heim betrachtet werden. Auf der konzeptionellen Ebene scheint das zunehmend Berücksichtigung zu finden. Auf der praktischen Ebene der konkreten Pflegegestaltung zeigt sich hingegen ein differenzierteres Bild. Die Integration von Hospizkultur in das Selbstverständnis der Heime erfolgt aus Sicht des Pflegepersonals dabei vermeintlich mühelos und selbstverständlich, da hospizliche Praxis sich als uneingeschränkte Bewohnerorientierung mit dem ohnehin vorhandenen Bestreben, Lebensqualität und Wohlfühlen für die Bewohner im Heim sicherzustellen, zu decken scheint. Vor diesem Hintergrund wird auch die im Feld vorfindbare Haltung des „Das machen wir doch schon immer so“ verständlich. Dass für die Umsetzung einer hospizlich orientierten Sterbebegleitung aber vor allem ausreichend Zeit nötig ist, die es erlaubt, auch mal am Bett zu sitzen, ohne dass im eigentlichen Sinn irgendetwas getan wird, wird kaum problematisiert und damit die strukturellen Hemmnisse einer hospizlichen Sterbebegleitung auch wenig reflektiert. Dies wäre aber nötig, um sich bspw. regelmäßig Unterstützung durch ambulante Hospizdienste und ehrenamtliche Begleiter zu holen – was in der Praxis noch nicht weit verbreitet ist.
Die Integration einer palliativ-pflegerischen Versorgung in die Praxis erfolgt dagegen von vorneweg und erkennbar heterogen: Für einen Teil der Mitarbeitenden bedeutet ‚palliativ‘ typischerweise, spezifische medizinisch-pflegerische Anforderungen in der Versorgung der Bewohner, losgelöst von der Sterbephase im engeren Sinn. Hier geht es um eine Kontinuierung der Praxis des Sorgens und des ‚Wohlfühlens‘ im Rahmen des Lebens im Heim. Für den anderen Teil der Mitarbeitenden ist ‚palliativ‘ unabdingbar mit dem nahenden Tod verbunden und bedeutet zwangsläufig einen Bruch zum bisherigen Leben und Gepflegtwerden im Heim. Sterben wird hier ‚besondert‘, also nicht als zum normalen Alltag im Heim gehörend, verstanden.
…und eine Frage der praktischen Umsetzung
Vor diesem Hintergrund lassen sich auf der Ebene des pflegerischen Handelns typischerweise zwei Pflegestile unterscheiden: Die aktivierende Pflege als Standard in der Bewohnerversorgung und die finale oder palliative Pflege als Praxis in der Sterbendenversorgung. Beide Stile werden situativ angewandt und können sich daher auch abwechseln. Im Heimalltag ergibt sich daraus ein Spannungsfeld für die Mitarbeitenden: Auf der einen Seite müssen sie die Bewohner, die noch aktiviert und motiviert werden sollen, entsprechend adressieren und auf der anderen Seite den sterbenden Bewohnern mit einer ganz anderen Haltung begegnen, die auch bedeuten kann, dass die Betroffenen in Ruhe gelassen werden, nicht mehr zum Essen und Trinken animiert werden und ggf. auch nicht mehr sprechen wollen. Eine solche hospizlich-palliative Haltung, die an den Bedürfnissen des Sterbenden orientiert ist, meint daher immer auch ein Aushalten. Insbesondere vor diesem Hintergrund der Haltungsfrage sind zwei Mitarbeiter-Typen identifizierbar: Für die primär am Leben orientierten Mitarbeitenden ist die Umstellung auf ‚Sterbendenpflege‘ schwierig. Für sie ist es schwer zu akzeptieren, dass palliative Pflege bedeutet, das Sterben mit all seinen Abschieden und Verlusten zu akzeptieren und im besten Sinne zu unterstützen. Eine solche Umstellung ergibt sich für Mitarbeitende, die sich in ihrer Arbeit primär am Bewohnerwillen und den jeweiligen Bedürfnissen des Betreffenden orientieren, im Grunde gar nicht, weil das ihren ‚roten Faden‘ in der Pflege bildet und sie dem entsprechend ihren Behandlungsstil von aktivierend zu palliativ je nach Situation problemlos ändern können.
Versorgung und Begleitung Sterbender als arbeitsteilige Aufgabe
Jenseits der hospizlich-palliativen Haltung und Pflegepraxis der Pflegekräfte zeigt sich in den untersuchten Heimen zudem eine typische Arbeitsteilung zwischen Hospizbegleitung und Palliativversorgung: Das Pflegepersonal, insbesondere die Pflegefach-, aber auch die Pflegehilfskräfte, werden in ihrer Praxis vornehmlich mit medizinisch-pflegerischen Anforderungen konfrontiert und profitieren demnach von einer palliativen Weiterbildung im Sinne ‚guter Versorgungspraxis‘. Eine Begleitung im hospizlichen Sinn erfolgt – nicht zuletzt aus Zeitgründen – eher durch Fachkräfte aus dem Bereich der psychosozialen Versorgung (Sozialer Dienst, Seelsorge), Hilfskräfte (u. a. Betreuungskräfte nach § 43b SGB XI), Ehrenamtliche aus den ambulanten Hospizdiensten und/oder Angehörige. Das kann zu moralischen Dilemmasituationen führen, wenn sich Pflegekräfte ihrem Selbstverständnis nach und mit einer hospizlichen Haltung um ihre Bewohner kümmern wollen, dafür aber nicht ausreichend Zeit zur Verfügung haben. Sich ans Bett zu setzen, einfach da zu sein, im Sterben zu begleiten erfordert Ruhe und einen eigenen (Zeit-)Raum im Pflegealltag, der in der Regel aber aufgrund von engen Zeitplänen und entsprechender Arbeitsbelastung nicht gegeben ist. Mit Blick auf die zusätzlichen und komplexer werdenden Aufgaben und Ansprüche einer qualitativen Sterbendenversorgung zeigt sich daher die ohnehin immer beklagte Ressourcenknappheit in neuem Maße.
Insgesamt zeigen die Befunde, dass die Pflegeheime das Thema qualitative Begleitung und Versorgung Sterbender im Heim zunehmend als neue Aufgabe erkennen, diese in der Praxis aber noch recht heterogen umgesetzt wird. Gerade mit Blick auf die kommenden Herausforderungen angesichts des demographischen Wandels muss sich das Heim in Zukunft neu erfinden: Von der Einrichtung des Lebensabends bei Pflegebedarf hin zu einem Ort der guten Versorgung, Betreuung und Begleitung auch im Sterben. Dafür müssen bereits jetzt Weichenstellungen vorgenommen werden, die die Integration des Sterbens auf der Haltungs- und vor allem auch der praktischen Ebene fördern. Dazu sind neben Entwicklungen auf der Organisationsebene nicht zuletzt auch gesellschaftliche Prozesse nötig – angefangen von den dafür nötigen Ressourcen bis hin zur Förderung eines entsprechenden kulturellen Selbstverständnisses.
Weitere Informationen finden Sie unter https://www.uni-augsburg.de/de/forschung/einrichtungen/institute/zig/gesundheitsforschung/lebensende/sih/.
Der Artikel ist in der Ausgabe 01/2022 zu finden.