Lesen sie hier den ersten Teil der Serie: Nicht immer vermeidbar: Konflikte am Arbeitsplatz – Teil I

von Thomas Eckardt

Thomas Eckardt, der Autor, der nicht nur theoretische, sondern auch praktische Erfahrungen in seinen Büchern verarbeitet. Als Psychologe und Coach weiß er, welche Informationen die Leser brauchen. 30 Jahre Erfahrung und aktuelles Wissen machen seine Ratgeber zu einem regelmäßigen Begleiter von Fach- und Führungskräften. – www.eckardt.online

Thomas Eckardt 

Konflikte zulassen und lösen

Ob ein Konflikt als Belastung oder als Herausforderung verstanden wird, hängt im Wesentlichen von Ihrer Einstellung ab. Es gibt vier typische Einstellungen zu einem Konflikt:

  1. Individualistische Einstellung: Menschen mit dieser Einstellung suchen Konfliktlösungen, die für sie möglichst vorteilhaft sind, unabhängig von den Konsequenzen für den anderen Konfliktbeteiligten („Ich gewinne, du verlierst.“)
  2. Soziale Einstellung: Menschen mit dieser Einstellung fühlen sich in Konflikten der Fairness und Gerechtigkeit verpflichtet und erwarten von ihrem Gegenüber eine entsprechende Einstellung.
  3. Kooperative Einstellung: Menschen mit dieser Einstellung streben bevorzugt Lösungen an, die den Bedürfnissen aller am Konflikt Beteiligten gerecht werden. („Ich gewinne, du gewinnst.“)
  4. Kompetitive Einstellung: Menschen mit dieser Einstellung möchten sich gegen den anderen durchsetzen. Sie möchten auf jeden Fall besser abschneiden als der andere.

Engen wir diese vier Einstellungen auf zwei Gruppen ein, die (1) sozial-kooperative und die (2) kompetitive Einstellung.

Tabelle: Einstellungen zu Konflikten

Soziale oder kooperative EinstellungKompetitive Einstellung
Informationen werden offen ausgetauschtInformationen werden zurückgehalten
Lösungen werden zweiseitig in den Gesprächen mit der Gegenpartei gesuchtLösungen werden einseitig ohne die Gegenpartei angestrebt
Die Streitfrage wird ausdiskutiertDie Streitfrage wird offen gelassen
Man versucht eher zu überzeugenMan versucht eher zu drohen und zu bluffen
Man ist bestrebt, ein Vertrauensverhältnis herzustellenMan stellt Beziehungen her, die durch Misstrauen und Feindseligkeit geprägt sind

Von Kindesbeinen an lernen wir zwei Methoden der Konfliktlösung kennen, die unsere negativen Einstellungen zu Konflikten verursachen:

Methode I:      „Ich gewinne, du verlierst.“
Methode II:     „Ich verliere, du gewinnst.“

Diese Techniken wirken sich im beruflichen Umfeld geradezu fatal aus. Das Arbeitsklima verschlechtert sich, Misstrauen, Angst, Intrigen und Rivalitäten nehmen zu. Wichtige Informationen werden entweder gar nicht weitergeleitet oder nicht richtig weitergegeben. Die Arbeitszufriedenheit sinkt, die Arbeitsleistung auch („innere Kündigung“). Die Akzeptanz des Vorgesetzten sinkt, seine Einflussmöglichkeiten entsprechend. Der „Verlierer“ muss ein beschädigtes Selbstwertgefühl verdauen, grollt dem Sieger und wird sich vermutlich beim nächsten Mal rücksichtsloser, egoistischer und unkooperativer verhalten, um auch mal zu gewinnen.

Die Jeder-gewinnt-Methode

Bei dieser Methode verstehen sich die Konfliktbeteiligten als Partner, nicht als Gegner. Sie setzen ihre Macht nicht ein, sondern suchen gemeinsam nach einer für alle Beteiligten akzeptablen Lösung. Kreatives Denken geht dabei vor Schnellschuss-Lösungen. Dabei hilft ein strukturiertes Schema zur Konfliktlösung.

Schritt 1: Den Konflikt erkennen und definieren

Wichtig ist eine präzise und wertfreie Formulierung. Ich-Botschaften sind in dieser Phase besonders geeignet. Ebenfalls sehr wichtig ist das Aktive Zuhören. Ein  kleines Beispiel: Sie stellen Ihren Standpunkt präzise dar. Der Mitarbeiter meldet mit seinen eigenen Worten zurück, was er von Ihrer Äußerung verstanden hat – und zwar so lange, bis Sie sagen können: „Jawohl, das habe ich gesagt. Genauso sehe ich die Sache.“ Dann wiederholen Sie, was Sie verstanden haben, bis Ihr Mitarbeiter zurückmeldet: „Jawohl, das habe ich gesagt. Genauso sehe ich die Sache.“

Dieses Vorgehen wird nach seinem Erfinder Anatol Rapaport auch Rapaport-Technik genannt. Es hat sich sehr bewährt, weil es zu einer Entschärfung der Situation beiträgt und Missverständnisse beseitig.

Schritt 2: alternative Lösungen suchen

Hier ist Ihre Kreativität gefragt, denn eine optimale Lösung lässt sich selten im Handumdrehen finden. Halten Sie sich in dieser Phase mit Kritik und Wertungen zurück. Lassen Sie alle Lösungen zu, wie im „Brainstorming“: Sammeln Sie zunächst alle möglichen Lösungen – auch die vermeintlich „verrückten“ – diskutieren und bewerten Sie diese dann.

Schritt 3: alternative Lösungen bewerten

In dieser Phase diskutieren Sie mit Ihrem Mitarbeitenden Pro und Contra. Auch jetzt gilt: Hören Sie aktiv zu.

Schritt 4: Entscheidung treffen

Beide Seiten müssen sich zu einer Lösung bekennen, und zwar freiwillig. Drängen Sie den anderen nicht dazu, eine Lösung zu wählen, die für ihn nicht akzeptabel ist (Gewinner-Verlierer!).

Schritt 5: Entscheidung ausführen

Legen Sie definitiv fest: Wer tut wann was wie mit wem?

Schritt 6: Lösung kontrollieren

Vereinbaren Sie das weitere Vorgehen. Finden Sie gemeinsam mit Ihrem Mitarbeiter Kriterien dafür, ob der eingeschlagene Weg gut war oder nicht. Vereinbaren Sie einen konkreten Termin, um diese Kontrolle der Lösung gemeinsam vornehmen zu können.

Die Vorteile dieser Methode: Sie kostet zwar Zeit, führt auf längere Sicht aber zu einer erheblichen Zeitersparnis. Das Kooperationsverhalten verbessert sich, zeitraubende Widerstands- und Sabotagehandlungen unterbleiben. Die Verpflichtung und Motivation zur Ausführung der gemeinsam akzeptierten Lösung seitens aller Konfliktbeteiligten verbessert sich, die Identifikation mit der Lösung ist hoch. Alle Beteiligten profitieren an der Mitarbeit – das setzt Kreativität frei. Die Beziehungen (Wir-Gefühl) verbessern sich, sie werden authentischer, vertrauensvoller und herzlicher.

Aber die „Jeder-gewinnt-Methode“ hat auch ihre Nebenwirkungen.Die Beziehungen untereinander werden ehrlicher und offener. Dies wird, insbesondere im Arbeitsumfeld, nicht von allen Beteiligten gewünscht.Allgemein akzeptable Lösungen für alle zu finden kostet manchmal mehr Zeit als die üblichen Vorgehensweisen (Mehrheitsbeschlüsse, Drohungen, Überrollen, Anordnen etc.).Manchmal ist es sehr schwierig, allgemein akzeptable Lösungen zu finden. Hilfreich ist es dann, den Konflikt neu zu formulieren, zusätzliche Fakten einzuholen, eine zeitlich begrenzte Lösung zu probieren.

Die „Jeder-gewinnt-Methode“ bedeutet bewussten Machtverzicht. Dies kann zu Irritationen führen, wenn der „Mächtige“ sich in anderen Situationen – aus welchen Gründen auch immer – erneut autoritär verhält. Mit diesem Konflikt werden Sie allerdings immer leben müssen, wenn Sie als Vorgesetzter Mitarbeiter führen, denn nicht in jedem Fall werden Sie Ihre Mitarbeiter an allen Entscheidungen so offen und kooperativ beteiligen können.

Der Artikel ist in der Ausgabe 02/2022 zu finden.

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