von Prof. Dr. Stefan Görres, Universität Bremen

Herausforderungen in der Pflege: In der stationären Langzeitpflege besteht derzeit ein besonders hoher Handlungsbedarf. In den letzten Jahren hat sich das Bewohnerklientel deutlich gewandelt: gestiegenes Durchschnittsalter bei Heimeintritt, hoher Grad der Pflegebedürftigkeit, zunehmender Anteil an Menschen mit Demenz. Dem gegenüber steht zusätzlich der anhaltende Fachkräftemangel.

Zwar zählen die Pflegeberufe mit etwa 1,07 Millionen Beschäftigten zur größten Berufsgruppe im Gesundheitswesen, Gesundheitspersonalrechnungen des Statistischen Bundesamtes und Arbeitsmarktdaten beschreiben jedoch eine immer größer werdende Lücke zwischen Nachfrage und Angebot von Pflegenden. Zurzeit fehlen in Deutschland mehr als 40.000 Pflegekräfte mit steigender Tendenz. Für die Einrichtungen der stationären Langzeitpflege inzwischen eine echte Herausforderung.

Erschwerend hinzu kommt die Erfüllung der vom Gesetzgeber vorgegebenen Fachkraftquote. In der Heimpersonalverordnung ist festgelegt, dass 50% des Pflegepersonals aus Fachkräften bestehen muss (HeimPersV 1993). Eine unzureichende Erfüllung der Quote ist Grund für einen zwangsläufigen Belegungsstopp in den Heimen und kann letztendlich auch zur Schließung von Einrichtungen führen. Es wird befürchtet, dass eine Absenkung der Quote einen negativen Einfluss auf die Pflegequalität sowie die gesundheitliche Versorgung der Pflegebedürftigen hat. Diese Lage verschärft sich in Anbetracht der Versorgungssituation vor allem in ländlichen Regionen.

Flexibilisierung der Fachkraftquote

Keineswegs ist die Fachkraftquote von 50% wissenschaftlich belegt und für sich genommen auch kein Garant für Qualität. Vielmehr war dies in der 90er Jahren ein als Untergrenze gegriffener Wert und zu diesem Zeitpunkt ein wichtiges Signal für bessere Pflege. Angesichts der derzeitigen Situation in der Pflege ist diese Quote aber kaum realisierbar für viele Heime. Welche Auswirkungen dies auf die Pflegequalität hat, vermag sich keiner vorzustellen. Natürlich wäre es für alle Seiten von Vorteil, mehr Fachpersonal einzustellen. Aber wo sollen diese auf einem leergefegten Markt herkommen? Kein Grund, dies zu akzeptieren, aber Grund, nach neuen Lösungen zu suchen.

Vor allem stellt sich die Frage nach der Wirkung der Quote auf die Qualität. Wieso wird gerade dieser Weg als der richtige angenommen, wenn es darum geht, gute Qualität zu erzeugen. Und: gibt es auch andere – möglichst bessere – Lösungen als eine starre Quote? Recherchen in öffentlichen Datenbanken zu diesen Fragestellungen ergeben keine schlüssigen Ergebnisse. Und:. Selbst in dem gesetzlichen Beschluss der Heimpersonalverordnung ist die Fachkraftquote Auslegungssache. In §5 Absatz 2 wird sogar darauf verwiesen, dass durchaus von den Vorgaben abgewichen werden darf. Zusätzlich wurde vom Gesetzgeber darauf hingewiesen, dass die Fachkraftquote Ländersache sei. Daher haben einige Bundesländer wie Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Bremen und Hamburg schon den Weg in eine Flexibilisierung der starren Quote eingeschlagen. In den einzelnen Ländern sind verschieden ausgestaltete Fachkraftquoten in den unterschiedlichen Einrichtungen vorzufinden. Es besteht also Klärungs- und auch Forschungsbedarf.

Rationaler Personaleinsatz durch Case- und Care-Mix:  Welches ist der beste Mix?

Die Herausforderung besteht darin, mit unterschiedlich qualifizierten Personen den bestmöglichen Mix für die Pflegebedürftigen zu finden und gleichzeitig eine hohe Qualität zu garantieren. In der Pflege bilden die unterschiedlichen Ausbildungsformen der Pflegenden, zusammengesetzt aus unterschiedlichen Ausbildungsgraden, Qualifikationsniveaus, Expertisen und Erfahrungen, zusammen mit anderen Berufen, Ehrenamtlichen und Angehörigen den so genannten Care-Mix. Der Care-Mix ist eine Art Portfolio auf das je nach Bedarf in unterschiedlicher Kombination zurückgegriffen werden kann.

Das Institut für Public Health und Pflegeforschung (IPP) der Universität Bremen untersucht erstmals in Deutschland auf Grundlage repräsentativer Daten die Frage, wie viel Personal mit welcher Qualifikation (Care-Mix) bei einer gegebenen Zusammensetzung der Pflegebedürftigen (Case-Mix) und gegebenen Organisationscharakteristika angemessen bzw. erforderlich ist, um im Ergebnis eine vertretbare und gute Pflegequalität zu erzeugen bzw. zu gewährleisten (Ergebnisqualität). Dazu werden Daten von 2000 Bewohnern in 40 stationären Pflegeeinrichtungen erhoben. An der Studie nehmen zwei Einrichtungen aus 5 Bundesländern teil. Das Projekt wird durch den GKV-Spitzenverband gefördert. Ergebnisse sind Ende des Jahres zu erwarten

Ein kurzes Fazit

Allein durch „simple“ Maßnahmen „Mehr Köpfe und mehr Geld“ werden sich die Probleme in der Pflege nicht mehr beheben lassen.

Notwendig ist das Zusammenspiel einer Vielzahl einzelner Faktoren. Die Flexibilisierung der Fachkraftquote ist einer davon. Gesellschaftlich und professionspolitisch zwar ein hochsensibles Thema – derzeit aber eine der wenigen realisierbaren Lösungen.

Zu den weiteren Stellschrauben gehören die Professionalisierung des Pflegeberufes ebenso wie die maximale Nutzung technologischer Innovationen, eine intelligentere Steuerung von Prozessen sowie der integrierte Einsatz von Digitalisierung und Robotik. Der ist in der Pflege zwar noch zögerlich, aber unaufhaltsam auf dem Vormarsch und wird mittel- bis langfristig einen wesentlichen Beitrag zu rationalen Personaleinsatz-Szenarien in der Pflege leisten.

Zahlreiche Entwicklungen in der Pflege zeigen, dass es notwendig ist, Lösungen nicht mehr alleine an tagespolitischen Sachzwängen zu orientieren, sondern eine Gesamtstrategie, besser noch einen Masterplan bzw. eine Roadmap, zu erarbeiten und die Planungen auf langfristige Zeiträume auszurichten, um zu den richtigen Antworten zu kommen.

Kurzinfo

Foto: Görres

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Der Artikel ist in der Ausgabe 02/2019 zu finden.

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