Dr. Klaus Wingenfeld, Institut für Pflegewissenschaft an der Universität Bielefeld
Im Herbst 2019 beginnt der Übergang in das neue System der Qualitätsbeurteilung in der stationären pflegerischen Versorgung. Ab November 2019 erfolgen externe Qualitätsprüfungen nach einem neuen Konzept. Fast zeitgleich entsteht mit den Indikatoren für Ergebnisqualität eine zweite Säule der Qualitätsbeurteilung, bei der die Einrichtungen mehr Verantwortung bei der Qualitätserfassung übernehmen als bisher. Im Jahr 2020 schließlich werden neuartige öffentliche Qualitätsberichte mit umfangreichen Informationen über das jeweilige Pflegeheim erscheinen. Die Umstellungen betreffen auch die Grundlagen, nach denen Qualitätsbeurteilungen erfolgen, und bringen daher für alle Beteiligten das Erfordernis einer Neuausrichtung von Sichtweisen und Aktivitäten mit sich.
Damit angesprochen ist unter anderem die Anpassung der internen Qualitätssicherung. Viele Einrichtungen haben ihre Qualitätssicherung in der Vergangenheit sehr stark an den Anforderungen der Prüfer ausgerichtet. Die Transparenzkriterien wurden teilweise wie eine Checkliste zur Kontrolle der Pflegedokumentation genutzt: Da die Erfüllung dieser Kriterien in hohem Maße davon abhing, ob die Pflegedokumentation die geforderten Nachweise enthielt (z.B. Nachweis einer Risikoeinschätzung), war dies eine effektive Methode zur Vorbereitung auf Qualitätsprüfungen. Erkauft wurde dies allerdings mit einem zum Teil sinnfreien Formalismus, unter dem insbesondere die Fachkräfte zu leiden hatten.
Ab November 2019 gibt es diesen Formalismus nicht mehr. Im Mittelpunkt von Qualitätsprüfungen wird dann die Frage stehen, ob für den Pflegebedürftigen negative Folgen oder Risiken entstanden sind, die die Einrichtung zu verantworten haben. Angesprochen sind damit drei verschiedene Situationen:
- vermeidbare gesundheitliche Schädigungen,
- keine bedarfsgerechte Versorgung,
- keine bedürfnisgerechte Versorgung.
Wenn eine negative Folge dieser Art noch nicht eingetreten ist, aber die Gefahr besteht, dass dies geschieht, stellt der Prüfdienst ein Risiko des Eintretens einer negativen Folge fest. Dies gilt ebenfalls als Qualitätsdefizit.
Wollen sich Einrichtungen auf Qualitätsprüfungen vorbereiten, sollten sie sich daher vergewissern, dass diese grundlegenden Anforderungen im Versorgungsalltag hinreichend beachtet werden – im Bereich der Ernährung ebenso wie bei der Teilnahme an Aktivitäten und in allen anderen Bereichen, in denen im Einzelfall pflegerische Unterstützung notwendig ist. Aus fachlicher Perspektive bringt das neue Prüfverfahren insofern gar nichts Neues, sondern eher eine Rückkehr zu den Prinzipien, die für die Pflege immer schon als handlungsleitend galten. Dadurch wird vieles einfacher. Auf der anderen Seite wird es nicht mehr wie bisher möglich sein, allein durch eine gut geführte Pflegedokumentation gute Beurteilungen zu erzielen.
Ähnliches gilt für die neuen Indikatoren für Ergebnisqualität. Sie sagen etwas darüber, was die Pflege und andere Hilfen bei den Bewohnern tatsächlich bewirkt haben (z.B. Erhalt der Mobilität, Vermeidung von Dekubitusentstehung oder Sturzverletzungen). Um dies darzustellen, führen die Einrichtungen zukünftig in regelmäßigen Abständen eine Erfassung ihrer Versorgungsergebnisse durch, die dann von einer neutralen Stelle nach vorgegebenen Regeln bewertet werden. Statt einer Ausrichtung der Qualitätssicherung auf formale Nachweise (Pflegedokumentation), wird es zukünftig auch hier vor allem um die Frage gehen, wie Sicherheit für den Bewohner zu gewährleisten ist und wie gute Versorgungsergebnisse erzielt werden können.
Dies sind nur einige wenige Beispiele, die verdeutlichen sollen, dass es für die Einrichtungen bei der Vorbereitung auf das neue System nicht nur um formale oder organisatorische Anpassungen geht. Vielmehr rückt der Blick auf das Wohlergehen der Bewohner in den Mittelpunkt, und es entstehen neue Möglichkeiten für die Einrichtungen, die eigene Fachlichkeit bei Qualitätsbeurteilungen zur Geltung zu bringen.
Damit dies gelingt, ist eine interne Diskussion verschiedener Fragen empfehlenswert, beispielsweise:
- Sind die Mitarbeiter darauf vorbereitet, ein Fachgespräch mit den Prüfern zu führen, das zukünftig einen ebenso hohen Stellenwert haben soll wie die Pflegedokumentation? Sind sie davon überzeugt, eine bedarfs- und bedürfnisgerechte Versorgung zu leisten, und können sie das kommunizieren?
- Hat sich die Einrichtung bzw. haben sich die Mitarbeiter mit neuen Prüfthemen wie „Professionelle Unterstützung von Bewohnern mit herausforderndem Verhalten“ ausreichend auseinandergesetzt?
- Wie wurde bisher die Ergebnisqualität im Versorgungsalltag erfasst und bewertet? Wie lässt sich die regelmäßige Ergebniserfassung mit dem Evaluationsschritt im Pflegeprozess, mit Pflegevisiten oder Fallbesprechungen verknüpfen?
- Welche Mitarbeiter sind vertraut mit der Situation des jeweiligen Bewohners und können gleichzeitig zuverlässig die Ergebniserfassung durchführen?
- Wie können Indikatoren für Ergebnisqualität in die interne Qualitätssicherung einfließen?
In diesen Fragen zeigt sich noch einmal, dass es vor allem um eines geht: Die Stärkung der Fachlichkeit in den Einrichtungen und die Zurückdrängung der bürokratischen Auswüchse, die im alten Prüfsystem entstanden sind. Das ist zweifellos eine anspruchsvolle Zielsetzung und setzt bei allen Beteiligten hohes Engagement, Kreativität und Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit den besonderen Anforderungen einer Systemumstellung voraus – einer Systemumstellung, die längst überfällig war und die hoffentlich die Attraktivität der stationären Langzeitpflege als Berufsfeld, die unter dem alten Prüfsystem stark gelitten hat, wieder steigert.
Weiterführende Informationen:
Eine Informationssammlung zur Neukonzipierung von Qualitätsprüfungen, zur Einführung des Indikatorenansatzes und zu den neuen Qualitätsdarstellungen findet sich unter folgender Adresse im Internet: http://www.uni-bielefeld.de/gesundhw/ag6/ipw/pflegequalitaet.html
Kurzinfo
Dr. Klaus Wingenfeld
Der Artikel ist in der Ausgabe 02/2019 zu finden.