von Dr. Eva Rütz, LL.M. und Klaus Thönißen, LL.M.
(beide Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH)
Reform des Betreuungsrechts: Zum 01.01.2023 erlebte das Vormundschafts- und Betreuungsrecht eine umfangreiche Anpassung und Modernisierung. Ein herausragendes Ziel der Reformbemühungen war der gesetzgeberische Wille zur Integration der Anforderungen des Artikels 12 des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen in innerstaatliches Recht.
Im Zuge der Reform wurde u. a. der praxisrelevante § 1906 BGB a. F. überarbeitet. Dieser wird nunmehr in § 1831 BGB n. F. geregelt unter der Überschrift „Freiheitsentziehende Unterbringung und freiheitsentziehende Maßnahmen“. Im Vergleich zur alten Überschrift wird nun deutlich, dass der Gesetzgeber mit der Norm einen zivilrechtlichen Tatbestand zur Rechtfertigung eines Eingriffs in eines der relevantesten Grundrechte, nämlich der Freiheit, schaffen möchte.
Trotz der neuen Verortung in der Systematik des Bürgerlichen Gesetzbuches sowie der Änderung der Überschrift, wird beim Blick ins Gesetz sichtbar, dass es schlussendlich keine wesentliche Inhaltsänderung für den § 1831 BGB n. F. gab.
Der „Pflegefall“ § 1831 BGB
Aufgrund mangelnder inhaltlicher Änderung bestehen beim § 1831 BGB n. F. weiterhin die altbekannten „Probleme“.
Immer wieder kommt es im Pflegealltag sowie in der Gerichtspraxis zu zahlreichen Auseinandersetzungen hinsichtlich der korrekten Anwendung des § 1831 BGB n. F. Insbesondere der Absatz 4 sorgt immer wieder für Rechtsunsicherheit bei den Angehörigen der Betroffenen und dem Pflegepersonal. Ausgangspunkt von Streitigkeiten über § 1831 Absatz 4 BGB n. F. ist regelmäßig die gleiche Situation.
(Meistens) ein Angehöriger hat von der pflegebedürftigen Person zuvor eine Vorsorgevollmacht erhalten. Dies hat i. d. R. den Hintergrund, dass die pflegebedürftige Person zu der Person, welcher sie die Vollmacht erteilt, ein gewisses Vertrauensverhältnis unterhält.
Nun tritt der Fall ein, dass der Vollmachtgeber nicht mehr selbstständig entscheiden kann und der Bevollmächtigte entscheiden soll, ob zur Sicherheit ein Bettgitter installiert werden soll oder nicht.
An genau dieser Stelle meldet sich der Gesetzgeber und „blockiert“ eine Entscheidung und stellt sie unter den Genehmigungsvorbehalt des Betreuungsgerichts. Da dies freiheitsentziehenden Charakter hat, darf also ohne eine Einbindung des Gerichts ein solches nicht einfach installiert werden.
Ist der § 1831 Abs. 4 BGB überhaupt „rechtens“?
Bereits im Jahre 2015 musste sich das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit der Verfassungsmäßigkeit des § 1906 Absatz 5 BGB a. F. beschäftigen. Untechnisch gesprochen bedeutet dies, dass das BVerfG kontrollieren musste, ob die inhaltliche Regelung des § 1906 Absatz 5 BGB a. F. (bzw. § 1831 BGB n. F.) mit höherrangigem Recht – insbesondere mit Grundrechten – vereinbar ist.
Das BVerfG entschied: Ja, § 1906 Absatz 5 BGB a. F. (und in der Konsequenz auch § 1831 Abs. 5 BGB n. F.) ist verfassungsgemäß und „an sich in Ordnung“.
Zwar ist es völlig zutreffend, dass § 1906 Absatz 5 BGB a. F. in das Selbstbestimmungsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) des Vorsorgevollmachtgebers eingreift, jedoch ist es die Aufgabe des Staates, sich schützend vor solche grundrechtsberechtigte Personen zu stellen, welche nicht mehr in der Lage sind, ihre Grundrechte selber zu schützen.
Dieser Personenkreis soll gerade vor grundrechtsbeschränkenden Eingriffen Dritter geschützt werden. Trotz zeitlich vorangegangener Entscheidung des Grundrechtsbetroffenen, einen Dritten entscheiden zu lassen, ist die Bedrohung der Verletzung der Grundrechte gleichwohl vorhanden. Es gilt also auch dann, wenn z. B. eine Vorsorgevollmacht gerade die Entscheidungsgewalt auf eine vertraute Person übertragen sollte. Es ist daher dem Staat auferlegt, zumindest die endgültige Entscheidung des Bevollmächtigten unter gerichtliche Kontrolle zu stellen.
§ 1831 Absatz 5 (i. V. m. Absatz 4) BGB n. F. steht demnach nicht im Widerspruch, sondern vielmehr gerade im Einklang, mit höherrangigen Rechten.
Bettgitter und trotzdem keine freiheitsentziehende Maßnahme?
In einer Entscheidung in 2022 nahm das Amtsgericht Brandenburg Bezug auf eine Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) aus 2012 und betonte, dass nicht jede augenscheinlich freiheitsentziehende Maßnahme eine freiheitsentziehende Maßnahme im Sinne des Gesetzes sein muss.
Bei § 1831 BGB n. F. (§ 1906 BGB a. F.) kommt es also entscheidend darauf an, dass die betroffene Person derart an ihrer willentlichen Fortbewegungsmöglichkeit gehindert wird, dass diese Person die Vorrichtung/Maßnahme aus eigener Kraft tatsächlich nicht überwinden kann. Nur wenn eine solche Vorrichtung als „Bettgitter“ verwendet wird, liegt eine freiheitsentziehende Maßnahme im Sinne des § 1831 BGB n. F. vor.
Im Umkehrschluss bedeutet es, dass sog. „geteilte Bettgitter“ bzw. solche, welche eine so geringe Höhe aufweisen, dass der Patient diese ohne größere Anstrengung überwinden kann, den Tatbestand des § 1831 BGB n. F. nicht erfüllen. Bei einem niedrigen „Rausfallschutz“ wird es also grundsätzlich nicht zwingend der gerichtlichen Kontrolle bedürfen. Ob ein Patient in der Lage ist, die Vorrichtung zu überwinden, ist allerdings nicht pauschal an eine bestimmte Höhe gebunden. Hierbei muss im konkreten Fall insbesondere auf die Mobilität des Patienten abgestellt werden.
Anhand dieser Entscheidung wird ein weiteres Problemfeld erkennbar. Wann genau liegt denn nun eine freiheitsentziehende Maßnahme in der Praxis überhaupt vor? Ohne echte gesetzgeberische Anhaltspunkte wird eine Bewertung, welche dem Sinn und Zweck von § 1831 BGB n. F. entspricht, in der Praxis kaum rechtssicher möglich sein. Um Haftungsfragen – insbesondere in Zweifelsfällen – aus dem Weg zu gehen, werden die Beteiligten in fast allen Fällen das Betreuungsgericht anrufen müssen.
Bettseitenteil zu „gefährlich“?
Eine auch durchaus interessante Entscheidung zum Thema „Bettgitter“ gab es im Jahre 2020 vom Landgericht Köln.
Im Ursprung der Streitigkeit ging es um einen Schadensersatzanspruch aufgrund eines vermeintlichen Pflegefehlers. Der Kläger behauptete, dass das Pflegefachpersonal die Sturzgefahr seiner dementen Mutter verkannt hätte und entsprechende Maßnahmen hätte ergreifen müssen, so z. B. das Anbringen eines Bettgitters – also letztlich den genau umgekehrten Fall. Stattdessen stürzte die Mutter des Klägers erneut und verletzte sich nicht unerheblich. Im Ergebnis wies das Landgericht die Klage jedoch ab.
In den Entscheidungsgründen erklärte das Landgericht, in Bezugnahme auf ein Sachverständigengutachten, dass z. B. das Anbringen eines Bettgitters im Einzelfall kontraindiziert sein kann. Insbesondere bei „dementen, allerdings hochmobilen Patienten, denen die Einsichtsfähigkeit in die Sinnhaftigkeit eines Bettgitters fehlt“, kann beim Anbringen eines Bettgitters die Gefahr bestehen, dass das sogar, entgegen dem eigentlichen Zweck der Maßnahme, einen Sturz begünstigt. Gerade bei solchen Patienten, bei denen keine Einsichtsfähigkeit in den Sinn und Zweck der Maßnahme besteht, ist es nicht untypisch, dass diese versuchen werden, dieses Bettgitter zu „überklettern“. In der Folge würde die Sturzhöhe durch ein Bettgitter sogar erhöht werden.
Betrachtet man dies nun mit dem Hintergrund des Genehmigungserfordernisses durch das Betreuungsgericht, wird der Sinn und Zweck von § 1831 Absatz 5 i. V. m. Absatz 4 BGB n. F. nochmals deutlicher. Im Einzelfall einer Pflege- bzw. Betreuungssituation besteht die nicht gänzlich fernliegende Möglichkeit, dass ein Angehöriger mit einer entsprechenden Vorsorgevollmacht irrationale Entscheidungen trifft und bei bestimmten Maßnahmen, aufgrund mangelnder Erfahrungen, die mögliche Tragweite nicht erkennt. Es werden Gedanken aufkommen wie „Es ist ja nur ein Bettgitter“.
Aber wie gerade die obige Entscheidung des Landgerichts zeigt, ist ein Bettgitter nicht immer eine ungefährliche Maßnahme. Durch das Genehmigungserfordernis ist das Betreuungsgericht „gezwungen“ sich die Einzelfallsituation objektiv anzuschauen und gegebenenfalls Sachverständigengutachten einzuholen. Die im konkreten Einzelfall richtige Entscheidung wird durch das erfahrene Betreuungsgericht sicherlich gefördert.
Im Hinblick auf die zwangsläufige Grundrechtsbeeinträchtigung durch ein Bettgitter sowie die Gefährlichkeit einer auf den konkreten Patienten bezogenen „falschen“ Entscheidung, wird das Erfordernis und der Bestand eines § 1831 Absatz 4 BGB n. F. untermauert.
Fazit
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass eine gesetzliche Vorschrift, welche grundrechtsbeeinträchtigende Entscheidungen regelt, im Kern notwendig ist. Insbesondere bei Pflege und/oder Bevollmächtigung von Angehörigen, die häufig emotional belastet und zudem noch fachfremd sind, ist es am Ende sehr oft dennoch im Interesse aller Beteiligten, wenn eine unabhängige dritte Instanz die Situation betrachtet und bewertet.
Beobachtet man den § 1831 BGB n. F. jedoch im angewandten Pflegealltag wird deutlich, dass die Vorschrift auch nach Neufassung zu wenig praxistaugliche Vorgaben zur sachgerechten Bewertung liefert. Es ist nahezu ständig die Entscheidung eines Betreuungsgerichts notwendig, um rechtssicher zu agieren. Es bleibt daher fraglich, wieso der Gesetzgeber im Zuge der Reform des Vormundschafts und Betreuungsrechts dieses Problem nicht angegangen ist und entsprechende Anhaltspunkte normiert hat. Hier wäre wünschenswert, wenn der Gesetzgeber in der Zukunft nochmals nachbessert.
Die wichtigsten Urteile zum Bettgitter auf einen Blick
Reform des Betreuungsrechts
- Datum der Reform: 01.01.2023
- Ziel: Integration der Anforderungen des Artikels 12 des UN-Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen in innerstaatliches Recht.
Neue Regelung: § 1831 BGB
- Früher: § 1906 BGB
- Überschrift: „Freiheitsentziehende Unterbringung und freiheitsentziehende Maßnahmen“
- Inhaltliche Änderung: Keine wesentliche Änderung gegenüber § 1906 BGB
Probleme in der Praxis
- Rechtsunsicherheit: Besonders § 1831 Absatz 4 BGB führt häufig zu Unsicherheiten bei Angehörigen und Pflegepersonal.
- Genehmigungsvorbehalt: Entscheidungen über Maßnahmen wie Bettgitter bedürfen der Genehmigung durch das Betreuungsgericht.
Verfassungsmäßigkeit
- BVerfG-Entscheidung (2015): § 1906 Absatz 5 BGB (nun § 1831 BGB) ist verfassungsgemäß.
- Schutz der Grundrechte: Staat muss Personen schützen, die ihre Grundrechte nicht selbst verteidigen können.
Freiheitsentziehende Maßnahmen
- Definition: Maßnahme ist freiheitsentziehend, wenn die betroffene Person ihre Fortbewegung nicht aus eigener Kraft überwinden kann.
- Ausnahme: Niedrige „Rausfallschutz“-Vorrichtungen, die leicht überwunden werden können, fallen nicht unter § 1831 BGB.
Gerichtliche Entscheidungen
- AG Brandenburg (2022): Nicht jede Maßnahme ist automatisch freiheitsentziehend.
- LG Köln (2020): Bettgitter können im Einzelfall kontraindiziert sein und die Sturzgefahr erhöhen.
Fazit:
Die gesetzliche Vorschrift zur Regelung grundrechtsbeeinträchtigender Entscheidungen ist notwendig. Doch § 1831 BGB bietet wenig praxistaugliche Vorgaben. Häufige Entscheidungen des Betreuungsgerichts sind notwendig und daher eine Nachbesserung des Gesetzestextes wünschenswert.
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 02/2025 erschienen.








