von Rolf Höfert
Schlechte Arbeitsbedingungen, Zeit- und Leistungsdruck, Burn-out – das macht die Pflegeberufe zunehmend unattraktiv. In allen Bundesländern ist ein Fachkräftemangel in der Alten- und Krankenpflege zu verzeichnen. Es ist höchste Zeit entgegenwirkende Maßnahmen umzusetzen. Deshalb stellt sich die Frage: Können ausländische Kollegen unsere „Pflege-Lücke“ füllen?
Das Institut der deutschen Wirtschaft IW zeigt auf, dass sich die Zahl der Pflegebedürftigen bis zum Jahr 2035 auf 4 Millionen erhöhen wird; eine Million pflegebedürftiger Menschen mehr als heute. Doch der Fachkräftemangel ist bereits deutlich spürbar: Im Jahresdurchschnitt 2018 waren über 40.000 Stellen in der Pflege unbesetzt, so die aktuellen Daten der Bundesagentur für Arbeit. Die Problematik ist seit einigen Jahren in der Politik angekommen. Mit dem jüngst verabschiedeten Pflegepersonalstärkungsgesetzes (PpSG) zur Schaffung von 13.000 neuen Stellen in der stationären Altenpflege, unternimmt die Bundesregierung einen Versuch gegenzusteuern. Das PpSG enthält jedoch kein Konzept zur Anwerbung oder Besetzung dieser Stellen. Vielmehr wurde diese Problematik an die Arbeitsgruppen der „Konzertierten Aktion Pflege“, eine gemeinsame Aktion vom Bundesgesundheitsministerium, -arbeitsministerium und –familienministerium, übertragen.
Projekte der Regierung
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) setzt auf Fachkräftegewinnung aus dem Ausland. Besonders im Kosovo und in Albanien gäbe es seiner Meinung nach ein hohes Potenzial an jungen Fachkräften.
Die Regierung hat bereits verschiedene Anwerbungsprojekte im In-und Ausland umgesetzt. Es existieren bereits seit mehreren Jahren Beratungsstellen vor Ort, u.a. in Ägypten, China, Indien, Iran, Marokko, Philippinen und Polen. In Modellprojekten hat die Bundesregierung Pflegeeinrichtungen dabei unterstützt, eigene Kooperationen im Ausland aufzubauen.
Zudem bestehen zwischen der Bundesagentur für Arbeit BA und einigen nationalen Arbeitsverwaltungen (darunter Bosnien-Herzegowina, Serbien, Philippinen, Tunesien) bilaterale Vermittlungsabsprachen. Im Rahmen dieser Absprachen werden seit fünf Jahren über das Programm Triple Win qualifizierte ausländische Pflegekräfte bundesweit an Arbeitgeber der Kranken- und Altenpflege vermittelt. Derartige Zusammenarbeit gibt es auch mit China und Mexiko.
Status-Quo
Nach Angaben der Statistik der Bundesagentur für Arbeit waren bereits im Juni 2017 bundesweit rund 128.000 ausländische Pflegekräfte sozialversicherungspflichtig und 5.900 ausschließlich geringfügig beschäftigt.
Die Zahlen bestätigen, dass einige ausländische Pflegende bereits in Deutschland angekommen sind und andere haben das Land auch schon wieder verlassen. Die Erfahrung mit Pflegern aus Spanien und Italien hat gezeigt, dass eine geringe Distanz zur Heimat eine Rückkehr in Krisenphasen begünstigt; andere nutzten eine Zeit in Deutschland nur als Karriere-Sprungbrett und ziehen dann weiter in skandinavische Länder.
Generell konzentrieren sich Vermittlungsprogramme auf Nicht-EU-Herkunftsländer. Die vor allem als Prüforganisation bekannte Dekra ist in dem Bereich tätig: Mit dem Projekt „Expert Migration“ werden ausländische Pfleger berufsbegleitend in der Heimat weitergebildet und in die deutsche Pflegebranche vermittelt. Arbeitgeber lassen sich die Vermittlung und die sprachliche und fachliche Vorbereitung über 18 Monate ca. 8.000 bis 9.000 Euro pro Kopf kosten. Nach Angaben der Dekra sollten 1.500 Fachkräfte 2018 auf diesem Weg ihre Arbeit hierzulande aufnehmen.
Neues Fachkräfteeinwanderungsgesetz
Wenn es nach Vorstellung der Regierung geht, sollen die bürokratischen Hürden für ausländische Fachkräfte abgebaut werden. Mit diesem Gedanken haben sich Union und SPD auf ein reformiertes Fachkräfteeinwanderungsgesetz geeinigt.
Alle ausländischen Fachkräfte sollen künftig die Möglichkeit bekommen, für sechs Monate nach Deutschland zu kommen, um sich einen Arbeitsplatz zu suchen, für den sie durch ihre Ausbildung qualifiziert sind. Voraussetzung dafür ist zudem das Vorhandensein deutscher Sprachkenntnisse im Level B2. Bisher mussten Einwanderer schon vorher einen Arbeitsvertrag nachweisen. Zudem fällt die Beschränkung auf Engpassberufe weg und es wird auf die sogenannte Vorrangprüfung verzichtet, bei der bisher geprüft werden musste, ob für einen Arbeitsplatz auch ein inländischer Bewerber zur Verfügung steht. Die neuen Regelungen gelten zunächst auf fünf Jahre.
Die Bestrebungen der Regierung sind zu begrüßen, doch kommt der Verwaltungsapparat nicht nach, die zwischenbehördliche Kommunikation funktioniert nicht gut, die Bearbeitung dauert viel zu lang. So erhält der Deutsche Pflegeverband fast täglich Anrufe von Einrichtungen und ausländischen Pflegekräften, die über hohe Hürden bei der Erteilung von Arbeitserlaubnissen und langwierige Verfahrenswege klagen. Somit bleibt es in der Praxis weiterhin schwierig Fachkräfte aus Drittstaaten zu rekrutieren.
Die „Konzertierte Aktion Pflege“ hat am 04.06.2019 einen mit allen Träger- und Pflegeverbänden konsentierten Maßnahmenkatalog zur Gewinnung von Pflegefachpersonen aus dem Ausland vorgelegt.
Hierbei geht es u.a. um:
- gezielte Öffentlichkeitsarbeit im In- und Ausland
- stärkere Vernetzung der Akteure im Inland und in Herkunftsländern
- Schaffung einer zentralen Servicestelle zur Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen
- klare Bezifferung des Bedarfs an Fachkräften
- Qualitätsprüfung für Vermittler ausländischer Fachkräfte
- Beschleunigung der Anerkennungsverfahren in den Bundesländern
Für eine reibungslose Zusammenarbeit ist es wichtig, die angeworbenen Pflegefachkräfte nicht nur arbeitsplatzbezogen zu qualifizieren, sondern auch gesellschaftlich zu begleiten und zu integrieren. Mentalität und Einstellung müssen passen, denn ansonsten wird keiner glücklich, weder die ausländische Pflegekraft noch der deutsche Arbeitgeber. Wenn der Einsatz ausländischer Pflegekräfte in Krankenhäusern unter zwischenmenschlichen Gesichtspunkten unproblematisch sein mag, gilt es in der Altenpflege zu bedenken, wie vor allem desorientierte Pflegebedürftige vor dem Hintergrund ihrer Biografie auf ein fremdes Erscheinungsbild und akzentbehaftete Aussprache reagieren könnten.
Kurzinfo
Der Artikel ist in der Ausgabe 02/2019 zu finden.