von Thomas Althammer (Geschäftsführer Althammer & Kill GmbH & Co. KG)

Eines ist klar, der Medizin- Pflege- und Gesundheitsbereich kommt an der Digitalisierung nicht mehr vorbei. Pflegeeinrichtungen müssen sich darauf einstellen, dass ihre Prozesse – nach aktuellem Planungsstand – spätestens 2025 digital funktionieren müssen. Zwar wird um die Einführung der TI seit Jahrzehnten heftig gerungen, doch es ist klar, dass wir aus dem Zeitalter von Faxgeräten und Schränken voller Dokumentation und Patientenakten herauskommen müssen. Der Vorteil der Digitalisierung: Prozesse werden beschleunigt, Transparenz geschaffen. Der Druck für Einrichtungen ist groß. Warum die Einführung der TI endlich vom Fleck kommen muss, erläutert Thomas Althammer.

Rezepte auf dem Handy, Medikationspläne, Röntgenbilder und Befunde für alle Beteiligten auf einen Klick – das ist die Vision der Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens – einem der größten IT-Projekte Europas. Grundlage der Digitalisierung ist die TI. Denn nur, wenn es eine funktionierende Infrastruktur gibt, also (Daten-)Autobahnen, auf denen die Informationen zwischen Medizin, Leistungsträger, Patienten, Pflegenden, Angehörigen und vielen mehr fließen können sowie die dazu passende Hardware, kann die TI ihre Ziele erfüllen. Künftig sollen wir mit einem digitalen Gesundheitssystem die Herausforderungen durch den demographischen Wandel besser meistern und den Wissens- und Datentransfer in Medizin und Forschung verbessern.

Zuständig für die TI ist seit 2005 die nationale Agentur für digitale Medizin, die gematik GmbH. Sie soll eine zeitgemäße technische Infrastruktur für das Gesundheitssystem aufbauen, unterhalten und weiterentwickeln. Sie vergibt Aufträge an die Industrie, um digitale Produkte zu bauen, die die beteiligten Protagonisten, z. B. Pflegeeinrichtungen, nach Markteinführung kaufen und betreiben sollen. Die elektronische Patientenakte (ePA), das E-Rezept, elektronische Medikationspläne, digitale Anwendungen (diPa) oder die KIM-Adresse (die die sichere Kommunikation im Medizinwesen ermöglichen soll), sind Schlüsselelemente, ohne die die Digitalisierung nicht funktioniert. Bisher ist allerdings weniger als ein Prozent aller Pflegeeinrichtungen in Deutschland an die bisher bestehende Infrastruktur angeschlossen (etwa 200 Betriebe lt. gematik). Nur rund 100 von ihnen verfügen über eine KIM-Adresse. Trotz Fachkräftemangel, überbordender Bürokratie und langsamen Prozessen kommt die Einführung der TI nicht voran.

Wenn die Digitalisierung gelingen soll, müssen alle mitmachen!

Hier zeigt sich schon das Dilemma. Die teilnehmenden Pflegeeinrichtungen des TI-Modellvorhabens, die sich mit Konnektoren, Heilberufsausweisen und Kommunikationssoftware ausgestattet haben, berichten von ernüchternden Ergebnissen: Nach kleineren Anlaufschwierigkeiten war die technische Anbindung zwar geschafft und damit die Voraussetzung für die Nutzung von TI-Diensten gegeben. Aber wenn es an Kommunikationspartnern fehlt, läuft der hehre Ansatz ins Leere. Niedergelassene Arztpraxen waren bisher nur in wenigen Fällen bereit, über die TI-Anwendungen mit den Einrichtungen zu kommunizieren. Zwar steigt die Zahl versendeter Arztbriefe ständig, die konkreten Zahlen laut „TI-Dashboard“ der gematik zeigen insgesamt aber eine bisher nur mäßige Nutzung.

Ähnliche Herausforderungen zeigen sich beim E-Rezept. Von den mehr als 18.000 Apotheken in Deutschland sind aktuell weniger als die Hälfte in der Lage, E-Rezepte tatsächlich einzulösen. Dabei gelten die Fristen für eine Anbindung von Apotheken an die TI bereits deutlich länger als für ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen.

Auch die elektronische Patientenakte (ePa) ist bisher kein Publikumsliebling. Zwar könnten die mehr als 74 Millionen gesetzlich Versicherten sie seit 2021 nutzen, aber weniger als 1 % ist ins digitale Zeitalter aufgebrochen. Der Grund: Die Nutzung der ePa ist freiwillig, der Prozess nicht standardisiert. Jede Krankenkasse hat eine andere App mit unterschiedlichen Features. Die mangelnde Akzeptanz und Nutzung der TI, das fehlende Vertrauen in die Tools sowie der bürokratische Aufwand sind wesentliche Gründe für die schleppende Einführung.

Technik der TI ist vertrauenswürdig

Die zugrundeliegende Technik der TI mag nicht mehr ganz modern wirken – sie wurde ja auch schon vor längerem entwickelt – aber sie basiert auf offenen und etablierten Standards. Sie muss an einigen Stellen aktualisiert werden, um den Anschluss an die heutige Entwicklung nicht zu verlieren (Stichwort Patienten und Smartphones), aber Einrichtungen können auf die rechtlichen und technischen Grundlagen vertrauen und sollten die kommenden Monate nutzen, um sich verstärkt mit dem Thema TI vertraut zu machen.

Denn auch, wenn sich die verpflichtende Anbindung der Pflegeeinrichtungen an die TI noch um ein Jahr zu verlängern scheint – die TI wird kommen! Die ersten Schritte, nämlich einen elektronischen Heilberufsausweis (eHBA) für jede Fachkraft zu beantragen, sich mit der benötigten Hardware wie dem eHealth-Konnektor zu beschäftigen, die Schnittstellen zur hauseigenen IT zu definieren – das alles braucht ebenso Zeit, wie die Möglichkeiten der finanziellen Unterstützung für Pflegeorganisationen auszuloten.

Ausblick: Die verpflichtende Nutzung wird den Erfolg bringen

Foto: Althammer & Kill

Foto: Althammer & Kill

Bis Jahresende plant die gematik noch, dass das elektronische Gesundheitsberuferegister (eGBR) bundesweit verfügbar wird, auch weitere Modellversuche sind geplant. Um aber wirklich Schwung in die Digitalisierung des Gesundheitswesens zu bekommen, wird man an einer verbindlichen Nutzung von Rezepten, Arztbriefen und Patientenakten über die TI – gesetzlich vorgeschrieben und sanktioniert – nicht vorbeikommen; das soll spätestens im Jahr 2025 der Fall sein.

Denn bei unseren europäischen Nachbarn ist die Digitalisierung längst angekommen. Vorreiter für den digitalen Staat – Estland – hat die drei Schlüsselelemente digitale Identität, eRezept und ePA schon vor Jahren eingeführt. Auch Dänemark, Finnland, Schweden, Spanien oder Italien haben bereits erprobte Lösungen. Deutschland hinkt hinterher. Es wird Zeit, dass alte Relikte wie das heute bei Ärzten und Einrichtungen noch so weitverbreitete Fax – das inzwischen datenschutzrechtlich wesentlich problematischer ist, als viele digitale Anwendungen – ebenso wie Karteischränke voller Akten der analogen Vergangenheit angehören und die Pflegeeinrichtungen in ihre digitale Zukunft aufbrechen.

Der Artikel ist in der Ausgabe 02/2023 zu finden.

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