von Thordis Eckhardt (Geschäftsführerin FINSOZ e. V.)
Deutschland ist digitales Pionierland – und baut eine Vielzahl digitaler Sandburgen, die der Beharrlichkeit der Gezeiten mehr oder weniger standzuhalten vermögen: So erlässt beispielsweise das Gesundheitsministerium im gefühlten Ebbe-Flut-Takt ein Digitalisierungsgesetz nach dem anderen (DVG, PDSG, DVPMG), entwickeln Start-ups unterschiedliche Anwendungen zur Pflegeunterstützung und treiben private Investoren den Bauboom von Pflegeheimen voran.
Allein das Problem ist nicht die Quantität: Es fehlt an einer durchgängigen Strategie zur Digitalisierung der ganzen Branche. Dabei sind längst diverse Lösungen im Markt vorhanden; sie müssen nur wie Puzzlesteine zu einem Gesamtbild zusammengefügt werden: zu einer „digitalen Pflegeimmobilie“.
Hinter der Vision einer „digitalen Pflegeimmobilie“, wie sie der Digitalverband FINSOZ vorantreibt, steckt das hybride Konzept eines analog-digitalen Pflegeheims, in dem mittels einer digitalen Infrastruktur sowohl administrative Prozesse als auch analoge und digitale Pflege- und Unterstützungsleistungen für die Menschen in einer stationären Pflegeeinrichtung erbracht werden können.
Dieser Vision auf den Grund zu gehen und das Bild eines „Digitalen Pflegeheims“ konzeptionell auszugestalten, war Ziel der deutschlandweit 1. Digitalkonferenz „Die digitale Pflegeimmobilie“, die der Digitalverband FINSOZ im Jahr 2020 in den deutschen Pflegemarkt einführte. Ideengeberin und Initiatorin Thordis Eckhardt, Geschäftsführerin FINSOZ: „Um die Idee einer ‚Digitalen Pflegeimmobilie’ – oder eines digitales Pflegeheims – Wirklichkeit werden zu lassen, bedarf es einer Vernetzung unterschiedlichster Branchenakteure: von Pflegeexperten über Immobilienprofis und Architekten, IT- und Digitalisierungsspezialisten bis hin zu Herstellern, Industrie und Start-ups, die digitale und traditionelle Produkte und Lösungen von der Nutzerseite her denken und einsetzen.“ Oftmals seien aber weder die Kenntnis voneinander noch ein Überblick über bereits vorhandene Lösungen vorhanden. „Diese Marktlücke wollen wir als Digitalverband FINSOZ schließen und Akteure, Konzepte und Lösungen zusammenführen.“
Im Mittelpunkt der 1. Digitalkonferenz stand daher ein Markt- und Branchenüberblick über die Synergien der Wohnungs- und der Pflegewirtschaft vor dem Hintergrund der Bedürfnisse betagter und pflegebedürftiger Menschen und ihren Wohnsituationen. Diese Einblicke wurden um eine Analyse der Anforderungen an smarte Anwendungen aus Sicht des Pflegeprozesses ergänzt. Weitere Aspekte galten der bautechnischen Gebäudestruktur, technologischen Infrastruktur-Optionen und Schnittstellen-Lösungen.
Das Ergebnis: Aktuell sind weder flächendeckende Regelungen zur Vorinstallation einer technologischen Infrastruktur in der Konzeptions- und Bauphase von Pflegeimmobilien noch technische Standards dafür vorhanden. Das Thema ist auch noch nicht in der Musterbauordnung (MBO) festgeschrieben.
Das bedeutet: Digitale Investitionen werden beim Bau von Pflegeimmobilien aktuell nicht oder nur in sehr geringem Maße von Investoren berücksichtigt. Einrichtungen, die sich zukunftssicher digital aufstellen wollen, müssen folglich ihr eigenes Konzept zur Digitalisierung ihrer Bestands- oder Neubau-Immobilien erarbeiten und von Grund auf mitfinanzieren.
Die Alten- und Pflegezentren des Main-Kinzig-Kreises (APZ-MKK), einer der größten kommunalen Anbieter stationärer Altenpflege in Hessen, haben diesen Weg bereits eingeschlagen und errichten als eine der ersten Organisationen Deutschlands ein „digitales Pflegeheim“. Insgesamt sind bis zum Jahr 2025 drei neue Einrichtungen geplant. Nils Kornherr, Referent für Digitalisierung bei APZ-MKK, stellt das Projekt „Digitales Pflegeheim“ erstmals auf der FINSOZ-Konferenz vor: Der Neubau sieht als Grundlage eine IT-Infrastruktur mit Glasfaserkabel, WLAN-Netzwerk, BUS-Sensorik und einer Schnittstellenoptimierung vor. Den zukünftigen Bewohnern des Hauses steht mit dem flächendeckenden WLAN-Ausbau ein Internetzugang zur Verfügung, der eine zeitgemäße Kommunikation erlaubt und den Mitarbeitern gleichzeitig eine mobile Datenerfassung mittels Pflegesoftware ermöglicht.
Aufbauend auf diese infrastrukturelle Basisstruktur integriert der kommunale Anbieter digitale Innovationen zur Unterstützung und Optimierung von Dokumentations- und Arbeitsprozessen, zur Vernetzung mit Leistungserbringern durch Einsatz von Telematik sowie interaktive Aktionsmöglichkeiten für Bewohner. Kornherr: „Mit der Umsetzung der Digitalisierung in den genannten vier Bereichen beschreiten wir neue Wege mit dem Ziel, unsere Pflegeeinrichtungen zu digitalisieren und als ‚digitale Pflegeheime’ in die Zukunft zu führen.“
Auf dem Weg zur „Digitalen Pflegeimmobilie“ gelten die APZ-MKK als Pioniere der Branche und suchen den aktiven Erfahrungsaustausch mit Einrichtungen, die ähnliche Konzepte realisieren.
Mit der 1. Digitalkonferenz wurde ein erster Schritt in diese Richtung unternommen. Das Highlight der Veranstaltung bildete die Vorstellung konkreter Paketlösungen von Assistenzlösungen, die unterschiedliche Alltags- und Pflegeszenarien in unterschiedlichen Wohnsettings abbildeten.
Im Herbst 2021 wird die 2. Digitalkonferenz „Die digitale Pflegeimmobile“ folgen.
Kurzinfo
FINSOZ ist Fachverband für Digitalisierung in der Sozialwirtschaft. Als Plattform gestaltet er den digitalen Wandel in sozialen Einrichtungen und initiiert den branchenübergreifenden Informationsaustausch an der Schnittstelle von Trägern, öffentlichen Verwaltungen, IT-Anbietern und Wissenschaft.
Ansprechpartnerin:
Thordis Eckhardt
Geschäftsführerin FINSOZ e. V.
Tel. 0157.324 84 018
E-Mail: thordis.eckhardt@finsoz.de
Der Artikel ist in der Ausgabe 01/2021 zu finden.