von Dr. Birgit Graf (Leiterin der Gruppe Haushalts- und Assistenzrobotik am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA)
Um pflegebedürftigen Menschen individuell zu helfen, hat das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA ein neues Assistenzsystem entwickelt. Mit dem mobilen Kommunikationsassistenten MobiKa können stationäre Pflegeeinrichtungen ihr Unterstützungs-, Aktivierungs- und Unterhaltungsangebot für Patienten erweitern und gleichzeitig Personal entlasten.
Bei der Körperpflege unterstützen, Medikamente ausgeben, den Tagesablauf gestalten und viele nicht planbare Situationen im Pflegealltag meistern – das bedeutet für das ohnehin oftmals knappe Personal eine hohe Arbeitsbelastung. Die Umstände in der Branche sind bekanntermaßen schwierig, der Handlungsbedarf aufgrund von Fachkräftemangel und demographischem Wandel riesig.
Während bereits in vielen Arbeitsumfeldern, zum Beispiel im Automobilbau, diverse technische Arbeitshilfen unterstützen, gibt es in der stationären Pflege noch viel Potenzial, das Personal durch technische Hilfsmittel im Arbeitsalltag zu entlasten. Mittlerweile ist zum Beispiel die Servicerobotik so weit entwickelt, dass sie Pflegekräften bei einzelnen Aufgaben helfen und die Versorgung der Patienten dann sicherstellen kann, wenn das Personal anderweitig beschäftigt ist. Zudem ermöglicht ein Serviceroboter, die Selbstständigkeit der Patienten und Bewohner zu fördern, weil sie für bestimmte Anliegen nicht mehr auf das Personal angewiesen sind.
Vielfältige Unterstützung
Ein Beispiel ist der mobile Kommunikationsassistent MobiKa. Die mobile Roboterplattform fährt mithilfe einer am Fraunhofer IPA entwickelten Personenerkennungs- und Navigationssoftware gezielt und autonom auf Menschen zu und nimmt via höhenverstellbarem Tablet oder Sprachausgabe Kontakt auf. So kann MobiKa Bewohner in Pflegeheimen zum Beispiel an das regelmäßige Trinken erinnern und Aktivierungs- und Entertainmentmöglichkeiten, wie Spiele, anbieten. Bereits als Produkt verfügbare, tabletbasierte Assistenzsysteme können ebenfalls integriert werden.
Zukünftig könnte MobiKa auch als Assistenzsystem im häuslichen Umfeld eingesetzt werden. Mithilfe der integrierten Sensorik und einer Objekterkennungssoftware ist es möglich, dass der Roboter zum Beispiel für das Auffinden von Gegenständen genutzt wird. Ausgestattet mit einer zusätzlichen Ablagefläche könnte MobiKa zudem bei eingeschränkter Mobilität helfen, Alltagsgegenstände zu transportieren und so die Selbstständigkeit der Pflegebedürftigen unterstützen.
Erfolgreiche Praxistests
MobiKa ist das Ergebnis des Forschungsprojekts „Emotionssensitive Assistenzsysteme zur reaktiven psychologischen Interaktion mit Menschen“ (EmAsIn). Ziel des Projekts war, ein neues Assistenzsystem zu entwickeln, das Betroffene, beispielsweise demenziell Erkrankte, individuell unterstützt, sie motiviert und so ihre Lebensqualität verbessert. Im Rahmen des Projekts fanden Tests in einer Einrichtung der Bruderhaus Diakonie statt. Hier fand der mobile Assistent bereits Anklang.
Mittels Sensoren in einem Aufenthaltsraum erhielt der Roboter Informationen über anwesende Personen. Daraufhin sprach er die demenziell erkrankten Bewohner individuell an, um sie durch Interaktionsangebote zu fördern und regelmäßig zu aktivieren. Mit Erfolg: Durch die gezeigten Inhalte waren die Bewohner reger als üblich. Beim gemeinsamen Spielen eines Quiz entstand teilweise sogar ein neues Gemeinschaftsgefühl.
Um seine Aufgaben ausführen zu können, wertet der Roboter personenbezogene Daten aus, also beispielsweise identifiziert er einzelne Bewohner per Gesichtserkennung. Der Datenschutz bleibt dabei umfassend gewährt, indem MobiKa Daten nur im System selbst verarbeitet. Optional können die Daten lokal im Heimnetzwerk gespeichert und nur für notwendige Kontakte, wie das Pflegepersonal, freigegeben werden.
Kostengünstige Unterstützung
„Besonders wichtig war uns, dass der Roboter wirtschaftlich einsetzbar ist. Deshalb haben wir möglichst einfache, kostengünstige Komponenten verbaut“, erklärt Florenz Graf, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer IPA und Mitentwickler des Roboters. In der Grundausstattung besteht MobiKa aus einem schlanken Aufbau mit einem höhenverstellbarem Tablet auf einer mobilen, radgetriebenen Roboterplattform. Bereits existierende Systeme seien durch ihre Komplexität meist deutlich teurer.
Laut Graf ist die Entwicklung des mobilen Kommunikationsassistenten noch nicht am Ende. MobiKa könne, entsprechend den Anforderungen von Interessenten und Pflegekräften, auch mit weiteren Features ausgestattet werden. „Gemeinsam mit potenziellen Anwendern erstellen wir Konzepte nach Bedarf und setzen die entsprechenden Hardware- und Softwareanforderungen für den individuellen Anwendungsfall um“, so Graf.
Etablierte Technik für neue Möglichkeiten
MobiKa profitiert von der über 20jährigen Erfahrung des Fraunhofer IPA in der Entwicklung neuer Roboterlösungen für das Gesundheitswesen sowie von den Entwicklungen für den Vorgänger „MobiNa“ (Mobiler Notfallassistent). MobiNa unterstützt ältere Personen insbesondere im häuslichen Umfeld und kann zum Beispiel bei einem Sturz zur hilfsbedürftigen Person fahren und bei Bedarf über den integrierten Bildschirm, Lautsprecher und Mikrofon Kontakt zu einer Notfallzentrale herstellen.
Für die vielseitigere Weiterentwicklung MobiKa und ganz neuer Serviceroboter und Anwendungen standen und stehen am Fraunhofer IPA viele grundlegende Serviceroboter-Technologien zur Verfügung, die das Institut in der Vergangenheit unter anderem auch für den Serviceroboter Care-O-bot® entwickelt hat. Diese Technologien passen die IPA-Forscher dann an die Anforderungen spezialisierter und somit kostengünstigerer Systeme, wie MobiKa, an. Mit diesen umfassenden Erfahrungen und neuen Ideen möchten die Wissenschaftler MobiKa als vielseitigen robotischen Helfer im Gesundheitswesen etablieren.
Der Artikel ist in der Ausgabe 01/2020 zu finden.