von Manfred Kofler (Institut für Strategisches Management, Marketing und Tourismus an der Universität Innsbruck)

Im Rahmen nationaler sowie internationaler Pilotstudien (West-AAL, gAALaxy und i-evAALution) der Universität Innsbruck im Fachbereich Assistenztechnologien für die Pflege und Lebensqualität im Alter, zeigten die Erkenntnisse, dass ein Schlüsselkriterium für den nachhaltigen Einsatz innovativer Lösungen die „Einfachheit“ ist. Dahinter verbergen sich vielseitige Aspekte, die im Sinne der Digitalisierung in der Pflege neue Anforderungen sowie Herausforderungen mit sich bringen.

Der Einsatz moderner Technologien und deren kombinierte Vernetzung ist ein zentrales Element im Hinblick auf die Digitalisierung in der Pflege und Betreuung bedürftiger Personen. In diesem Zusammenhang und speziell bei bestehenden Gebäuden spielen interoperable funkbasierte Systeme eine wesentliche Rolle und bieten eine Vielzahl neuer Anwendungsmöglichkeiten. Neben diesen neuen flexiblen Anwendungs- und Kommunikationsmöglichkeiten reduzieren funkbasierte Lösungen gleichzeitig den Aufwand für die Verkabelung.

Durch die Notwendigkeit, bestehende Infrastruktur im Rahmen der Pilotprojekte umzurüsten sowie zu modernisieren, konnten funkbasierte Systeme klare Vorteile gegenüber herkömmlichen kabelbasierten Systemen bieten. Eine einfache Nachrüstbarkeit, Implementierung, Konfiguration, Anpassung an veränderte Bedarfslagen bis hin zur Wartung sind dabei nur einige der Stärken funkbasierter Systeme. Die aktuelle Generation funkbasierter Rufanlagen unterstützt die wichtigsten von der DIN VDE 0834 geforderten Sicherheitsmerkmale, wie bspw. die permanente Überwachung aller Komponenten, die Rufanzeige binnen einer bzw. fünf Sekunden, den Notbetrieb sowie die laufende Überwachung der Übertragungswege und rechtzeitige Meldung von Ausfällen.

Integration und Skalierbarkeit

Die Möglichkeit, verschiedene Lösungen inklusive deren jeweiligen Stärken zu bündeln und Alarmierungs- als auch Informationsprozesse übergreifend abzubilden sowie eine Skalierbarkeit herzustellen, birgt große Potentiale. Daneben ermöglichen integrierbare IP sowie funkbasierte Systeme eine einfache Erweiterbarkeit ohne aufwändige Aufrüstung der Infrastruktur. Neben dem zimmergebundenen Ruf wird es immer wichtiger Ortungsdaten zu übermitteln und damit auch Wearables und mobile Systeme in das Gesamtsystem zu integrieren. Eine Integration von Ortungssystemen ermöglicht es bspw. dementen Personen zeitnah Hilfe beizustellen und gleichzeitig die Laufwege für die Pflegemitarbeiter*innen zu reduzieren.

Es gibt bereits innovative Anbieter am Markt (z. B. 2PCS, GETS etc.), welche in ihre Rufanlagen die vollständige Integration mobiler Rufsysteme, automatischer Sturzerkennung sowie Personensuchen für Indoor- und Outdoorortung im begründeten Bedarfsfall anbieten. Dabei ist nicht nur die technische Integration wesentlich, sondern auch die prozessuale Integration, bspw. zur Abbildung eines mehrstufigen Eskalationsmanagement sowie der Geschäftsprozesse der Pflegeorganisation.

Auswahl des passenden Systems

Bei der Auswahl der passenden Lösung ist darauf zu achten, ob die benötigten Anforderungen sowie zukünftig geplanten Anwendungsfälle abgedeckt sind. Auch gilt es die Abdeckung der notwendigen Schnittstellen (z. B. ESPA etc.) hin zu den zu integrierenden Bestandssystemen und Geschäftsprozessen zu überprüfen. Herstellerübergreifende Produktkataloge können die Auswahl nach dem passenden System unterstützen. Hierbei bietet z. B. der kostenfreie Onlinekatalog (www.aal-products.com) für assistive und smarte Technologien der Universität Innsbruck die Möglichkeit nach kompatiblen und integrierbaren Produkten und Dienstleistungen zu suchen.

Herausforderungen meistern und Chancen nutzen

Durch die voranschreitende Digitalisierung werden funkbasierte Systeme, wie sie bereits in Industrie und Handel Einzug gehalten haben, verstärkt auch im Pflege- und Gesundheitswesen ihren Einsatz finden. Verschiedene Produkte zu kombinieren und in die bestehende Infrastruktur nahtlos zu integrieren, bietet großes Potenzial, aber auch neue Herausforderungen, da diese Produkte ebenfalls permanent zu überwachen sind. Durch die Forschungsprojekte und die Piloteinsätze in unterschiedlichen Ländern und Wohnformen in Europa zeigen sich zudem neue Anforderungen, welche teils den bestehenden normativen Vorgaben widersprechen. Beispielsweise sehen gerade Schweizer und holländische Einrichtungen als auch moderne österreichische und deutsche Betreuungseinrichtungen den Einsatz von sogenannten eindeutig zuordenbaren Zimmersignalleuchten als durchaus unangenehmen Eingriff in die Privatsphäre der Kunden, Klienten bzw. Bewohner*innen. Rechtliche und ethische Aspekte sind entsprechend nicht per se im Einklang mit bestehenden Normen und Kundenbedürfnissen. Eine sichere und schnelle Rufübermittlung, -anzeige und -bearbeitung darf nachvollziehbarerweise kein sogenannter Trade-off darstellen.

Im Rahmen der Lösungsauswahl gilt es die Vision und das Zielbild bereits im Vorfeld zu skizzieren. Bei der technischen Beurteilung der Ökosysteme der Hersteller sind folgende Bewertungskriterien unerlässlich:

  • Planungssicherheit und Zukunftssicherheit des Systems und Softwarekomponenten
  • Vorausschauende Systemarchitektur
  • Erweiterungsmöglichkeiten und offene Schnittstellentechnologie
  • Integrierbare Systemlösungen und mobile Anwendungen

Gerade in Hinsicht auf die Systemauswahl gilt es unabhängig von der ausgewählten Technologie stets die Bedürfnisse der verschiedenen Anwender*innen in den Mittelpunkt zu stellen. Dabei spielt auch die Standardisierung der Geschäftsprozesse und Abläufe eine wesentliche Rolle, um die Chance zu nutzen, Prozessabläufe zu optimieren. Die Einbindung der Anwender*innen ist als wesentlicher Erfolgsfaktor in Hinsicht auf die Akzeptanz und Usability von neuen Technologien hervorzuheben.

Pflege- und Betreuungsorganisationen werden bei der nächsten Investition in die Modernisierung ihrer Rufanlagen und der Peripheriegeräte die Chance bekommen, sich dieser Herausforderung zu stellen und neue Potentiale zu nutzen. Das wird in naher oder ferner Zukunft der Fall sein.

Kurzinfo

Manfred Kofler - Foto: privat

Foto: privat

Manfred Kofler leitete Evaluierungen und das Datenmanagement
während verschiedener Forschungsprojekte.
Sein Forschungsschwerpunkt ist die
Prozessanalyse und Identifizierung von möglichen
Einsatzgebieten von assistierenden Technologien. Zudem
war er im Rahmen von Vorprojekten in der Anforderungsanalyse
und Lastenhefterstellung tätig. Er war
an der Konzeption und Erstellung des praxisorientierten
AAL-Klassifikationsschemas TAALXONOMY beteiligt und
leitete das internationale Projekt i-evAALution.

Der Artikel ist in der Ausgabe 02/2022 zu finden.

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