Digitale Anwendungen in der Altenpflege können das Pflegepersonal entlasten. Doch die Umsetzung digitaler Projekte ist für Einrichtungen oft eine Herausforderung.
von Silke Blumenröder
Um den Pflegenotstand in Deutschland zu lindern, kann die Digitalisierung aktuell besser und schneller helfen, als Roboter. Zu diesem Ergebnis kam vergangenes Jahr ein bundesweiter Fachkongress über den der Bayerische Rundfunk berichtete: „Pflegekräfte warten weniger auf Robotik als auf Digitalisierung“, erklärte Susanne Pauser, Vorständin für Personal und Digitalisierung beim Deutschen Caritasverband. Als Beispiele nannte sie Spracheingabe, automatische Dokumentationen oder Übersetzungsprogramme für ausländische Kräfte. Ein Grund, warum die Digitalisierung in der Pflege so schleppend vorangehe, sei der Datenschutz. Dazu kämen noch fehlende technische Infrastrukturen und unübersichtlich-komplexe Zuständigkeiten in der Verwaltung als weitere Hürden für nötige Innovationen.
Sven R. Becker kennt die Herausforderungen, die digitale Projekte im Gesundheitswesen mit sich bringen. Der Vorstand der Saarbrücker imc AG berät u. a. Unternehmen und Organisationen aus dem Medical Care Bereich bei der Planung und Umsetzung digitaler Trainingsstrategien. „Die noch fehlende digitale Transformation in Pflegeeinrichtungen hängt zu einem großen Teil mit verlangsamten Prozessen bei Abstimmungs- und Mitbestimmungsverfahren zusammen. Aber auch unterschiedliche Interessenlagen sowie fehlende Governance, also das Nicht-Vorhandensein einheitlicher Grundsätze zur Unternehmensführung, erschweren den digitalen Wandel“, sagt der Experte. In einem häufig von Überlastung der Beschäftigten geprägten Pflegealltag sei es außerdem schwierig, neue IT-Systeme einzuführen und Mitarbeitende darauf zu schulen.
Digitalisierung als großer Hebel für mehr Effizienz
Ein häufiges Vorurteil aus dem Management von Pflegeeinrichtungen lautet: Digitalisierung bringt im Verhältnis zu den Kosten für den Einzelnen zu wenig. „Dabei wird teils übersehen, dass digitale Projekte zwar zunächst Aufwand verursachen, sich damit aber nach einer erfolgreichen Umsetzung vor allem Zeit gewinnen lässt – in der Pflege ein nicht unerheblicher Faktor, an dem es momentan am meisten mangelt“, so Becker. Er rät Heimbetreibern vor allem dazu, ihr Qualitätsmanagement zu digitalisieren. Seiner Ansicht nach liegt darin ein sehr großer Hebel, bürokratischen Aufwand zu reduzieren und mehr Zeit für die Pflege zu gewinnen. „Ob Zertifizierungen, die regelmäßig erneuert werden müssen oder gesetzlich vorgeschriebene Pflichtschulungen fürs Personal: Bei regelmäßig stattfindenden Audits macht es einen Unterschied, ob die Nachweise meterlange Ordnerwände füllen oder digital in einem validierten System abgebildet sind.“
Damit Digitalprojekte generell gelingen, müsse vorab geklärt werden, wer Interesse am Projektergebnis hat, wer fachlich, finanziell und operativ verantwortlich ist und welche Vorbehalte es geben könnte. Sven R. Becker rät Leitenden digitaler Projekte, alle Beteiligten rechtzeitig zu informieren und Vorbehalte auszuräumen.
Dabei kann die folgende Übersicht helfen:
Projektbeteiligte identifizieren und überzeugen
Mitarbeitende: „Diejenigen, die ein System am Ende nutzen sollen, werden häufig erst sehr spät informiert oder vor vollendete Tatsachen gestellt“, sagt Becker – seiner Ansicht nach ein No-Go. Eine gezielte, transparente Kommunikation könne verhindern, dass sich Eigendynamiken entwickeln und Beschäftigte dem Projekt mit großem Misstrauen begegnen. Vorab-Trainings helfen allen Nutzern zu demonstrieren, wie benutzerfreundlich eine neue IT-Lösung ist.
Budgetverantwortliche: Zunächst müssen die finanziellen Mittel für ein neues IT-System bewilligt (oder Fördermittel beantragt) werden. „Dazu sollte eine Wirtschaftlichkeitsrechnung vorhanden sein, aus der hervorgeht, wie sich die Investition unter welchen Bedingungen wann bezahlt macht“, rät Becker. Ist ein Budget freigegeben, sollte die Geschäftsführungsebene regelmäßig ein Update erhalten und erfahren, welche Meilensteine erreicht wurden und wie das Projekt im Zeit- und Kostenrahmen liegt.
IT: Die internen IT-Kollegen müssen spätestens dann hinzugezogen werden, wenn sich externe Anbieter vorstellen. „Von der IT kommen häufig Bedenken, ob überhaupt ausreichend personelle Ressourcen vorhanden sind, um ein neues System zu implementieren und zu warten“, weiß Becker. Er rät bei solchen Einwänden darauf hinzuweisen, dass sich dank neuer, webbasierter Technologien IT-Projekte zunehmend einfacher gestalten. Über standardisierte Schnittstellen lassen sich neue Systeme meist leicht in eine vorhandene Infrastruktur einbinden. Professionelle Anbieter unterstützen diesen Prozess.
Personalabteilung/HR: Die Personalabteilung sollte direkt nach Projektfreigabe informiert werden. Becker: „Personalverantwortliche zweifeln oft, ob Mitarbeitende ein neues IT-System akzeptieren würden. Doch heutige digitale Anwendungen sind einfach und intuitiv zu bedienen; auch Beschäftigte, die wenig technikaffin sind, kommen nach kurzer Anleitung meist gut zurecht.“
Datenschutzbeauftragte: Das Thema Datenschutz ist in Pflegeeinrichtungen besonders wichtig. Verantwortliche müssen die Möglichkeit haben, die Verarbeitung personenbezogener Daten zu prüfen. Nicht selten bestehen dabei Zweifel zur Systemsicherheit. „Hier hilft ein durchdachtes Berechtigungskonzept mit dessen Einhaltung Daten nicht in falsche Hände geraten können“, rät Becker.
Betriebsrat: Der Betriebsrat sollte bereits ein Mitspracherecht bei der Auswahl eines Anbieters haben. „Betriebsratsmitglieder fürchten oft eine Überwachung und Kontrolle der Mitarbeitenden. Dass ein System der europäischen Datenschutzverordnung entspricht, reicht womöglich nicht als Gegenargument“, weiß Becker aus Erfahrung. Ein neues IT-System sollte daher eine der Betriebsvereinbarung entsprechende, individuelle Konfiguration ermöglichen. „Möglich wäre auch, dass der Betriebsrat, gemeinsam mit allen Projektbeteiligten definiert, welche Daten genau generiert werden dürfen“, so der Experte.
Der Artikel ist in der Ausgabe 02/2024 zu finden.