von Thomas Meißner und Jennifer Erbe (Vorstandsmitglied und Referentin ambulante Pflege, Anbieterverband qualitätsorientierter Gesundheitspflegeeinrichtungen e. V. (AVG), Berlin)
Auf was müssen sich Pflegeeinrichtungen bei der Digitalisierung der Pflege einstellen? Auf was sollten sie vorbereitet sein, und was macht Sinn jetzt anzugehen? Wir zeigen Ihnen, was von Seiten der Bundesregierung geplant ist.
Zwei Gesetze plant Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach zur Digitalisierung. Stand Juli 2023 liegen die Referentenentwürfe vor. Im Herbst sollen daraus Gesetzentwürfe werden.
Zum einen ist dies der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens (Digital-Gesetz – DigiG). Auf diesen konzentrieren wir uns im Folgenden. Zum anderen ist dies der Entwurf eines Gesetzes zur verbesserten Nutzung von Gesundheitsdaten (Gesundheitsdatennutzungsgesetz – GDNG).
Die wesentlichsten Inhalte
Ziel des Digital-Gesetzes ist es, die Potenziale der elektronischen Patientenakte (ePA) zu nutzen, das E-Rezept weiterzuentwickeln und verbindlich einzuführen, digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) besser für die Versorgung nutzbar zu machen, Videosprechstunden und Telekonsilien qualitätsorientiert weiterzuentwickeln und digitale Versorgungsprozesse in strukturierten Behandlungsprogrammen zu ermöglichen.
Das Gesundheitsdatennutzungsgesetz hat u. a. zum Ziel, dezentral gehaltene Gesundheitsdaten leichter auffindbar zu machen sowie bürokratische Hürden für Datennutzende zu reduzieren und die Verknüpfung von Gesundheitsdaten zu erleichtern.
Zur Bewertung des Digital-Gesetzes
Der Referentenentwurf eines Digital-Gesetzes legt einen wichtigen Grundstein in der künftigen Entwicklung der digitalen Gesundheitsversorgung. Grundsätzliche Rahmenbedingungen zu digitalen Gesundheitsanwendungen für alle Nutzerinnen und Nutzer sollen damit festgelegt werden.
Um eine qualitativ hochwertige und patientenzentrierte pflegerische Versorgung im Zuge der Digitalisierung und dem Ausbau der Telematikinfrastruktur gewährleisten zu können, müssen die alltäglichen Prozesse der pflegerischen Versorgung berücksichtigt werden. Das fehlt im Referentenentwurf. Nicht ausgeführt werden die geplanten Interoperabilitätsprozesse für die elektronische Patientenakte und die elektronische Patientenkurzakte, das E-Rezept, die digitalen Gesundheitsanwendungen und die Anwendung telemedizinischer Komponenten.
Besonders hervorzuheben ist hier die Möglichkeit für Ärzte Videosprechstunden durchzuführen. Dies muss auch für Pflegefachpersonen im gleichen Umfang möglich sein (z. B. Beratungen, Begutachtungen und kommunikativer Austausch). Hier muss im Gesetzentwurf nachgebessert werden.
Zur Bedeutung der Interoperabilität
Im stationären wie auch vor allem im ambulanten pflegerischen Sektor kann Interoperabilität eine enorme Entlastung der Verwaltungstätigkeiten und eine bessere Versorgung der Versicherten bedeuten. Sie bezeichnet die Einheitlichkeit der Einbindung in die digitale Versorgung bei zugleich ausreichenden, klar geregelten Schnittstellen mit allen an der Versorgung Beteiligten, u. a. der Kostenträger und der Ärzte.
Hieraus können schnellere Abrechnungs- und Unterschriftenverfahren und vereinfachte Versorgungs-, Verordnungs- und Genehmigungsverfahren resultieren. Derzeit sind diese durch das Festhalten an analogen Prozessen äußerst langwierig und führen beispielsweise in der ambulanten Pflege häufig zu Problemen, da die Abrechnungen lange dauern.
Die nach wie vor fehlenden einheitlichen Schnittstellen machen deutlich: Viel zu lange wird bereits über die Digitalisierung gesprochen – ohne tatsächlich zu handeln. Interessant ist, dass die Beschleunigung der Digitalisierung im Referentenentwurf hervorgehoben wird. Gleichzeitig wurde jedoch die Anbindungspflicht vom ursprünglich geplanten 1. Januar 2024 zum 1. Juli 2025 verschoben.
Kompetenzzentrum soll es regeln
Gezielt um die für die Interoperabilität wichtigen Schnittstellen der informationstechnischen Systeme soll sich künftig ein Kompetenzzentrum für Interoperabilität im Gesundheitswesen kümmern. Daran sollen die Vereinigungen der Träger der Pflegeeinrichtungen sowie der Verbände der Pflegeberufe auf Bundesebene beteiligt werden sowie die für die Wahrnehmung der Interessen der Industrie maßgeblichen Bundesverbände aus dem Bereich der Informationstechnologie im Gesundheitswesen und in der pflegerischen Versorgung. Das wird Zeit kosten.
Heilberufsausweis als Zugangsvoraussetzung
Notwendig für die Anbindung an die Telematikinfrastruktur für die Leistungserbringer ist die Bestellung von Ausweisen (SMC-B Karte und eHBA). Unklar ist dabei, wie viele elektronische Heilberufsausweise (zum Start) für eine Einrichtung nötig sind. Geplant ist zudem, dass ergänzend zu den Heilberufs- und Berufsausweisen für die Leistungserbringer eine digitale Identität für das Gesundheitswesen zur Verfügung gestellt wird, die nicht an eine Chipkarte gebunden ist.
Wichtig zu wissen ist dabei, dass die Beantragung eines elektronischen Heilberufsausweises derzeit sowohl mit hohen Kosten als auch mit prozessbedingten Hürden und einer langen Wartezeit verbunden ist. Hier soll es zu einem Ausbau der Ausgabestellen kommen.
Auch scheint noch nicht klar, ob in den betreffenden Pflegeeinrichtungen alle Pflegefachpersonen einen elektronischen Heilberufsausweis beantragen oder besitzen müssen und, ob dieser an Abteilungen, Stationen oder Institutionen gebunden ist. Im Zuge dessen muss auch dringend geregelt werden, welche Haftungskonsequenzen an die Besitzer eines solchen Ausweises geknüpft sind. Nicht zu vernachlässigen ist auch, dass einmalige und laufende Kosten (z. B. Ausweise, Lizenzen, Hard- und Software) einer geregelten Vollfinanzierung bedürfen.
Rahmenbedingungen fehlen
Eine Digitalisierung und Automatisierung ist in vielen Bereichen der Wirtschaft heute schon der Normalfall. Sie ist auch in der Pflege unverzichtbar. Die verbindliche Umsetzung für alle beteiligten Kostenträger muss zeitnah und verbindlich geregelt werden.
Alle Beteiligten müssen die noch überwiegend analogen Rahmenbedingungen anpassen. Hierzu müssen Gesetze, Richtlinien, Verordnungen und Verträge auf Bundes- und Landesebene schnellstmöglich für digitale Anwendungen, Strukturen und Prozesse fit gemacht werden. Auch hier müssen Verknüpfungen und Automatisierungen von Arbeitsschritten im Vordergrund stehen.
Von höchster Bedeutung ist letztlich die Bestätigung/Unterschrift des Versicherten bzw. der Leistungserbringer. Diese sind angemessen zu reduzieren (Entbürokratisierung) und in unkomplizierter digitaler Weise, bei wirklichem Bedarf, umzusetzen.
Fazit
Liest man sich den Referentenentwurf des Digital-Gesetzes genauer durch, fällt erstens auf, dass vielfach von „können“ und „sollte“ anstatt von „muss“ die Rede ist.
Zweitens spielt die Zustimmung der Versicherten eine große Rolle. Das alles steht nicht für eine Beschleunigung der Digitalisierung, die wir dringend nötig haben. Es ist zu befürchten, dass die Papierform auch künftig dominiert. Digitalisierung baut darauf, dass die Systeme einheitlich miteinander kommunizieren können. Ist dies angesichts der Vielzahl an unterschiedlichen Vorgaben der Kassen und Ärzte tatsächlich möglich? Es bestehen Zweifel.
Drittens baut Digitalisierung auf neuen Prozessen auf. Sie kann und darf nicht die Abbildung analoger Prozesse auf dem Bildschirm sein. Auch hier sind alle Beteiligten gefragt.
Viertens muss die Bedeutung der Digitalisierung und ihre Bedingungen für alle Leistungserbringer betont werden. Hier besteht vor allem in der stationären Langzeitpflege noch Nachholbedarf.
Der Artikel ist in der Ausgabe 02/2023 zu finden.