von Armando Sommer (Wir Sind Altenpflege e. V.)

Was erwarten Bewohner einer Pflegeeinrichtung vom Garten? Dieser Frage stellt sich der Wir Sind Altenpflege e. V. mit Landschaftsarchitekt Dieter Dirlenbach.

Der Mangel an natürlichem Licht in einem institutionalisierten Umfeld ist mitverantwortlich dafür, dass die zu Pflegenden teils apathisch und antriebslos sind. Die übliche Beleuchtungsstärke von Kunstlicht ist nicht ausreichend. Der menschliche Organismus ist zur Regulation der Hormonausschüttungen und des Biorhythmus auf natürliches Licht angewiesen. Natürliches Tageslicht hat eine normalisierende Wirkung auf den Tag- Nachtrhythmus. Außerdem kann das für den Knochenstoffwechsel und zur Vorbeugung von Herzkrankheiten notwendige Vitamin D vom Körper nur durch den ausreichenden Einfluss von Sonnenlicht gebildet werden. Körperliche Aktivität stärkt das Immunsystem, wirkt blutdrucksenkend und steigert die Leistungsfähigkeit des Herzens. Durch Verbesserung des Muskeltonus und Beanspruchung des Gleichgewichtsinns reduziert sich das Risiko von Stürzen.

Die Möglichkeit, sich frei bewegen zu können, ist ein zentraler Bestandteil des selbst bestimmten Lebens.

Nicht ohne Grund ist in Schulen, Kindergärten und Haftanstalten gesetzlich geregelt, in welchem Umfang der Aufenthalt im Freien zu ermöglichen ist. Mit gelungenen Betreuungsangeboten zur individuellen Freizeitgestaltung wird der Aufenthalt im Freien begünstigt und gefördert.

Betrachten wir das Klientel einer klassischen Pflegeeinrichtung. Zunächst stellen wir Unterschiede zwischen Stadt und Land fest. Aber auch die Senioren in der Stadt haben mit Schrebergärten Erfahrungen und eine gewisse Vorstellung vom Garten.

Was verstehen Sie unter einem Garten?

Für viele Menschen gibt es unterschiedliche Vorstellungen eines Gartens und vielleicht mögen einige den Garten im Alter anders. Manch einer flaniert gern, ein anderer wiederum will den Enkeln beim Spielen zuschauen. Wieder einer will sich vielleicht mit dem Wäscheaufhängen befassen, Gemüse anbauen, Kaminholz stapeln oder Tiere erleben.

Die Natur erleben

Wasserspiel in Erreichbarkeit - Foto: Dieter Dirlenbach

Wasserspiel in Erreichbarkeit – Foto: Dieter Dirlenbach

In jedem Fall haben die Außenbereiche eines gemeinsam. Sie bieten den Raum den wir uns alle wünschen. Den Raum in dem wir die Natur erleben. Natur erleben ist und bleibt das ureigenste und klärendste aller Erlebnisse für den Menschen. Ganz gleich, ob es Wasser, Pflanzen, Tiere, Düfte, Nahrung oder Wetter ist. Durch die Kraft, die uns die Natur gibt, fühlen wir uns in Erinnerungen wohl, schöpfen neue Hoffnung oder Zuversicht und empfinden Geborgenheit. Ein Beispiel: Wo Wasser plätschert, wissen wir durch unseren Urinstinkt, dass wir nicht verdursten. Dort fühlen wir uns sicher und deshalb verringert sich der Stressfaktor.

Wasserläufe und Teiche

Es ist keine Seltenheit, dass zwar Teiche oder Wasserläufe angelegt werden. In vielen Fällen sind diese aber durch Barrieren wie Geländer unzugänglich gemacht. Allein die Lage und Höhe der Wasseroberflächen macht es oft nicht möglich mit dem Element in Kontakt zu kommen. Ganz anders als der klassische Brunnen auf dem Marktplatz an dem wir sitzen können, in dem Kinder im Sommer planschen und spielen ohne zu ertrinken. „Schuld daran sollen gewisse Sicherheitsvorschriften sein. Wir denken aber, dass sich wie bei öffentlichen Wasserspielen und Brunnen auch die Wasseroberflächen oder Wasserläufe in erreichbarer Höhe befinden können. Genauso ist es doch denkbar, ähnlich wie bei einem KneippBad, mit den Füßen in einem Bachlauf zu stehen während man auf einer Bank sitzt.“ – so Dieter Dirlenbach im Ideenaustausch. Es gibt also viele Möglichkeiten auch mit geringen Wassertiefen das Element Wasser barrierefrei zu gestalten.

Barrierefreiheit ist oft Kopfsache

Weite Flächen und breite Mündungen in Wege - Foto: Dieter Dirlenbach

Weite Flächen und breite Mündungen in Wege – Foto: Dieter Dirlenbach

Außenanlagen können schön gestaltet sein. Regeln bei Kontrast, Bepflanzung, Wegführung und eine gelungene Mischung aus Erlebnisbereichen oder Rückzugsorten werden beachtet. Dennoch gelingt es vielen Einrichtungen nicht, den größten Teil der Bewohner dazu zu bewegen, den Aufenthalt im Freien vielleicht sogar täglich für wenigstens eine Stunde zu genießen.

Die Augen sind an den Raum gewöhnt. Außen herrschen völlig andere Lichtverhältnisse. Die Augen müssen sich adaptieren, was im Alter schwieriger wird bzw. deutlich länger dauert. Daraus resultiert eine Unsicherheit. Die Raumbildung ist von großer Bedeutung für das Sicherheitsgefühl. Die Fortführung der Innendecke nach außen durch Überdachung in irgendeiner Form und wandartige Rahmen als Fortführung der Innenwände, können langsames Gewöhnen an die Außenverhältnisse in Bezug auf Licht, Temperatur, Luftzug und Geräusche ermöglichen. In anderen Fällen konnten die Experten durchaus beobachten, dass aufgeschobene Fenster in Speisesälen durchaus bedrohliche Einflüsse vermitteln.

Ist unmittelbar an den Innenbereich grenzend ein anderer Flächenbelag vorhanden, steigt die Unsicherheit weiter. Auch ohne Stufe werden durchaus Barrieren wahrgenommen durch Helligkeitsveränderungen, andere taktile Einflüsse wie Rollator-Erschütterungen, Fugenwirkungen oder Rutschgefahr.
Der Übergang der Innenräume von Pflegeeinrichtungen in Garten- / bzw. Außenanlagen muss nicht nur funktional und ästhetisch sondern auch empathisch betrachtet werden. Die Wirkung des Übergangs von Innen nach Außen wird meistens unterschätzt und aus der Sicht des Hochbau-Architekten und der Nutzungs- / Pflegeintensität gesehen, nicht aber aus der Sicht der zu Pflegenden.

In den Beratungen und Impulsseminaren weisen die Experten von Wir Sind Altenpflege e. V. daher auf Anforderungen hin, die oft nicht von gängigen DIN-Normen erfasst werden. Die Beteiligten sind sich einig, dass mit DIN-Normen Mindeststandards eingehalten werden. Um aber wirkliche Anreize zu schaffen, ist es wichtig, vom Menschen, seinen Befindlichkeiten und seinen Gewohnheiten auszugehen. Nicht zu vergessen der Universal-Design Gedanke. Denn erst dann fühlt sich auch der (Ur-)Enkel beim Besuch der Oma wohl.

Kurzinfo

Dieter Dirlenbach (Ordentliches Mitglied) als Landschaftsarchitekt, der sich seit 20 Jahren mit Demenz im Garten befasst, bietet mit Wir Sind Altenpflege e. V. Lösungen für innovative und neuartige Außenanlagen.

Mit Vorträgen, hilfreichen Begehungen und Impulsen klärt Wir Sind Altenpflege e. V. was zu Pflegende in einem Garten erwarten und wie sie es wahrnehmen. Dirlenbach sagt: „Es gibt immer einen Weg die Natur zu erleben. Aber was erwarten die Menschen denn? Die Wäscheleine oder die Kräuterspirale?“

Dieser Service richtet sich vor allem an stationäre Einrichtungen, Bauherren oder Vorhaben im öffentlichen Raum. Interessenten können mit Impulsvorträgen oder kompletten Workshops Möglichkeiten, Best Practice oder Irrglauben entdecken. In enger Zusammenarbeit mit Juno Sommer (Vorstand im Wir Sind Altenpflege e. V.) als Fachwirtin im Gesundheitswesen, können im Anschluss Umsetzung und Praxisorientierung für den Alltag besprochen werden.

Wir Sind Altenpflege e.V.
Telefon: 02737 2269854
mail@wir-sind-altenpflege.de
www.wir-sind-altenpflege.de

Der Artikel ist in der Ausgabe 01/2020 zu finden.

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