von Marc Pestotnik (Suchtprävention Berlin gGmbH, pestotnik@berlin-suchtpraevention.de)

Die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen, vor denen Pflegeeinrichtungen stehen, sind enorm. Einer bevorstehenden Zunahme älterer Menschen mit stationärem Betreuungsbedarf steht ein deutlicher Mangel ausgebildeter Fachkräfte entgegen. Der Erhalt der Gesundheit der Mitarbeiter*innen sowie eine wertschätzende Betriebskultur gewinnen immer mehr an Bedeutung. Eine betriebliche Suchtprävention kann hierzu einen wichtigen Beitrag leisten.

Riskanter und abhängiger Alkohol- und Medikamentenkonsum sind in Deutschland weit verbreitet und haben Einfluss auf das betroffene Individuum und dessen soziales Umfeld, wozu auch die Arbeitswelt zählt. Durch problematischen Substanzkonsum kann es zu Veränderungen im Arbeits- und Sozialverhalten kommen, z. B. häufigeren Fehlzeiten, nachlassender Arbeitsqualität, einem erhöhten Risiko für Arbeitsunfälle und im Verlauf auch zu Störungen des Betriebsfriedens. Hier lohnt sich die Weitsicht, Suchtprävention als Instrument betrieblicher Gesundheitsförderung sowie des Arbeitsschutzes zu verstehen und zu etablieren. Denn je früher man die Mitarbeitenden erreicht und unterstützt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich Konsummuster nicht verfestigen und sich keine negativen Auswirkungen auf den Arbeitsplatz ergeben.

Wieso Suchtprävention im Seniorenheim?

Pflegende tragen aus verschiedenen Gründen nachweislich ein erhöhtes Risiko für riskanten Suchtmittelkonsum. Substanzen wie Alkohol oder Medikamente werden unter Pflegenden nicht selten zum schnellen Entspannen oder zum Erhalt der Arbeitsfähigkeit eingesetzt, psychoaktiv wirkende Medikamente befinden sich zudem häufig in Griffnähe.

Ein Praxisblick macht die Brisanz deutlich, wie mitunter Personalentscheidungen im Pflegealltag getroffen werden müssen. Was ist gefährlicher? Jemand nach Hause zu schicken, der vermutlich übermäßig Suchtmittel konsumiert hat und dabei einen Langzeit-Personalausfall zu riskieren? Mit der Folge, dass die Versorgung der Bewohner*innen dann noch prekärer ausfällt und zudem die Arbeitslast auf den Rest der Belegschaft steigt? Oder drücke ich ein Auge zu, wenn ich mitbekomme, dass ein Kollege nicht arbeitsfähig zum Dienst erscheint – doch er kommt und ist erstmal verfügbar? Was stört den Betriebsfrieden mehr? Was ist moralisch akzeptabel? Die unmittelbare Lösung scheint auf der Hand zu liegen, doch birgt der vermeintlich einfache Weg ebenfalls Risiken für die Mitarbeitenden und Bewohner*innengesundheit.

Wann sollte ich als Führungskraft aufmerksam werden?

  • Fehlzeitenanstieg (z. B. rund ums Wochenende)
  • Vernachlässigung des äußeren Erscheinungsbildes
  • Unzuverlässigkeit, Abnahme der Arbeitsqualität
  • Bekannte Zunahme an privaten Stressoren (Krankheit, Trennung, krankes Familienmitglied o. ä.)
  • Stimmungsschwankungen
  • „Gerüchteküche“
  • Unstimmigkeiten beim Medikamentenmanagement (BTM oder andere Medikamente)
  • Etc.

Mehrwert einer bewussten betrieblichen Suchtprävention

Die systemimmanente Problematik, wie Senior*innenpflege schon lange funktionieren muss, braucht grundsätzliche politische Aufmerksamkeit und zeitgemäße Lösungen. Gleichzeitig verzerrt sich in den aktuellen Strukturen eines ökonomisierten Gesundheitswesens der Blick auf den Mehrwert gesundheitsfördernder Maßnahmen. Denn nur deren unmittelbare Wirksamkeit scheint den Einsatz knapper betrieblicher Ressourcen zu rechtfertigen. Doch dies greift, auch hinsichtlich des schon vorherrschenden Pflegefachkräftemangels, zu kurz, ist das Ziel, Mitarbeiter*innen möglichst langfristig gesund zu erhalten und eine hochwertige Versorgung der Bewohner*innen zu sichern.

Grafik: Fachstelle für Suchtprävention Berlin GgmbH

Um noch deutlicher zu werden: Aus betriebswirtschaftlicher Sicht kann man von einem „Return on Prevention“ sprechen, denn durch gute Arbeitsbedingungen und Lebensqualität am Arbeitsplatz werden Gesundheit und Motivation gefördert und damit auch Effektivität erhöht – sozusagen eine Win-win-Situation für Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen. Zudem ziehen in einer Befragung mehr als 70 % der Unternehmen eine positive Kosten-Nutzen-Bilanz aus Präventionsprogrammen. Eine internationale Studie dazu beziffert den Gewinn von Präventionsmaßnahmen auf durchschnittlich 2,20 € pro eingesetzten Euro.

Suchtprävention als Führungsthema

Personalverantwortliche tragen im Sinne ihrer Fürsorgepflicht sowohl die Verantwortung für die Einhaltung des Arbeitsschutzes und angemessene Interventionen bei Mitarbeitenden mit suchtmittelbedingten Auffälligkeiten als auch für die Moderation des Themas in ihren Bereichen bzw. Teams. Ihnen kommt also eine zentrale Rolle bei der Umsetzung betrieblicher Suchtprävention zu. Obwohl dies normale Führungsaufgaben sind, fehlt es Führungskräften häufig an Routine und Handlungswissen, um diese Prozesse zu begleiten und die teilweise unbequemen Personalgespräche zu führen.

Anregungen zur Reflexion des eigenen Konsums

Hinterfragen Sie das eigene Konsummuster:

  • Wieviel und in welchen Situationen konsumiere ich?
  • Konsumiere ich z. B. regelmäßig, um mich zu entspannen und abzuschalten oder fit zu werden und Leistung zu zeigen?
  • Konsumiere ich mehr, als ich mir vorgenommen habe?
  • Auch alleine?
  • Habe ich mir schon mal Ausreden im Zusammenhang mit meinem Konsum einfallen lassen?

Je häufiger Sie mit ja antworten, desto dringlicher ist es, dass Sie Ihr Konsumverhalten überdenken.

Die Hausleitung wiederum ist maßgeblich gefragt, die Entwicklung suchtpräventiver Strukturen zu unterstützen und zum einen eine klare und transparente Haltung zum Thema zu signalisieren, zum anderen Mitarbeitende darin zu stärken, gemäß ihren Rollen handeln zu können (z. B. durch Führungskräfteschulungen oder Informationsangeboten für die Gesamtbelegschaft). Auch kann dem ein Diskurs im Trägerverbund vorangehen, um sich Unterstützung zu sichern oder auch Synergien zu schaffen, z. B. durch hausübergreifende Schulungen.

Wird das Thema zur „Chefsache“ gemacht, verdeutlicht dies die besondere Ernsthaftigkeit des Vorhabens. Ein offener Umgang mit dem Thema Sucht, die Etablierung einer „Kultur des Hinschauens“ und Förderung des „aufeinander Achtgebens“, kann dann positiven Einfluss auf das Betriebsklima haben. Hier geht es um eine dauerhafte Entwicklung samt kritischer Überprüfung der eigenen Betriebskultur, z. B.: Welche Rolle spielt Alkohol auf Betriebsfesten oder in den Wohnbereichen? Wie achten wir aufeinander? Wie nehmen wir als Arbeitgeber*in unsere Fürsorgepflicht wahr?

Und auch Führungskräfte tragen ein erhöhtes Risiko für missbräuchlichen Substanzkonsum. Denn in einem schnelllebigen Arbeitsumfeld mit Druck und hohen Erwartungshaltungen „von unten und von oben“ sowie an sich selbst, wird Selbstfürsorge häufig zur Nebensache. Für Sie ist es ebenso wichtig, achtsam aufs eigene Verhalten zu schauen und alternative Strategien zum Stressmanagement und zur Entspannung zu erlernen. Bei der Vermutung, das eigene Konsumverhalten könnte entgleiten, holt man sich am besten frühzeitig eine Außenperspektive bzw. Beratung ein.

Professionelle Unterstützung bei der betrieblichen Suchtprävention

Suchtprävention wird die grundsätzlichen Arbeitsbedingungen für die Pflege leider nicht ändern – eine bewusste Entscheidung für den Aufbau suchtpräventiver betrieblicher Strukturen kann jedoch ein Zeichen der Wertschätzung und Fürsorge an die Belegschaft sein. Zudem ist sie ein Instrument zur langfristigen Gesunderhaltung der Mitarbeitenden und somit ein Beitrag zur Fachkräftesicherung im Betrieb.

Unterstützung finden Sie u. a. hier:

  • Das evaluierte betriebliche Suchtpräventionsprogramm „prev@WORK“ unterstützt Entscheider*innen bei der strukturellen Verankerung von Suchtprävention in ihrer Arbeitswelt, z. B. über Beratungen, Schulungen für Personalverantwortliche und/oder Auszubildende. prevatwork.de
  • Die Fortbildung „Suchtsensible Pflege“ der Fachstelle für Suchtprävention Berlin sensibilisiert Mitarbeiter*innen für das Thema „Sucht im Alter“, sie reflektieren ihre eigene Haltung und lernen, wie motivierende Ansprache bei riskantem Substanzkonsum gelingen kann. Erfahrungsgemäß fördert dies auch den kritischen Blick auf den Umgang mit Substanzen im kollegialen Umfeld. https://www.kompetent-gesund.de/projekte/fuer-aeltere-menschen_suchtsensible-pflege/
  • Website der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen: sucht-am-arbeitsplatz.de

Der Artikel ist in der Ausgabe 01/2023 zu finden.

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