„Wir wissen nie, was uns erwartet“ – Mit den PKV-Qualitätsprüfern von Pflegeeinrichtungen unterwegs

Seit vergangenem Herbst führt die Private Krankenversicherung selbstständig Qualitätsprüfungen von Pflegeeinrichtungen durch. 


Montagmorgen, 8 Uhr 45. Im Westen Berlins treffen drei Kleinwagen vor einer ambulanten Pflegeeinrichtung ein. Am Steuer: Mitarbeiterinnen des PKV-Verbands, die eine Qualitätsprüfung der Einrichtung durchführen werden. Unangemeldet. Denn das Ergebnis soll so unverfälscht wie möglich sein.



„Es gibt Einrichtungen, die große Probleme damit haben“, weiß Franziska Lange. Die schlanke 57-Jährige, hauptverantwortlich für die heutige Prüfung, hat selbst jahrelang als Pflegedienstleiterin gearbeitet. Deshalb kennt sie die Strukturen und täglichen Herausforderungen in der Pflege – Schwachstellen inklusive. Auch zwischenmenschlich ist dieses Wissen von Vorteil: „Wir kommunizieren auf Augenhöhe mit den Diensten. Ich habe Hochachtung davor, was sie jeden Tag leisten. Wir wissen ja selbst, wie viel für eine gute Pflege getan werden muss.

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Nach einer kurzen Vorbesprechung betreten die drei Prüferinnen die Einrichtung und stellen sich vor. Sofort führt Pflegedienstleiterin Anne Schulz (Name geändert) sie in ein freies Büro mit Tischen und Stühlen.



Die Einrichtung hat schon Erfahrung mit Qualitätsprüfungen. Bereits zum dritten Mal ist sie unter der Lupe, allerdings zum ersten Mal durch den Prüfdienst der PKV. Nicht immer läuft der Erstkontakt so reibungslos. „Viele Einrichtungen wissen immer noch nicht, dass nun auch der PKV-Verband Qualitätsprüfungen durchführt“, erklärt Lange. Vor allem in der Anfangszeit mussten die Prüferinnen daher viel Aufklärungsarbeit leisten.



Langer Kampf ums Prüfrecht



Dabei hatte der Gesetzgeber schon im Rahmen der Pflegereform von 2008 festgelegt, dass die Private Krankenversicherung an den jährlichen Prüfungen der rund 24 000 ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen in Deutschland beteiligt wird. Doch um ihr Recht, die Qualitätsprüfungen mit eigenem Personal und unter eigener Regie durchzuführen, musste die PKV lange kämpfen. Die Medizinischen Dienste der Gesetzlichen Krankenversicherung (MDK) und die Landesverbände der Pflegekassen waren über die neue Konkurrenz alles andere als erfreut. Sie verweigerten der PKV eine selbstständige Durchführung von Qualitätsprüfungen und verzögerten die Verhandlungen darüber fast zwei Jahre lang. Denn nach gesetzlicher Vorgabe muss der Auftrag zu jeder einzelnen Qualitätsprüfung durch die Landesverbände der Pflegekassen erfolgen. Ohne Auftrag keine Prüfung.



Erst im Sommer letzten Jahres sorgte der Gesetzgeber für endgültige Rechtssicherheit und gestand der PKV nun ausdrücklich das Recht zu, zehn Prozent der Qualitätsprüfungen nach Beauftragung durch die Landesverbände der Pflegekassen selbstständig durchzuführen. Danach ging es schnell voran: Im September 2011 gab es die bundesweit erste Qualitätsprüfung durch die PKV, zwei Monate später war Premiere in Berlin.



Seitdem haben die Berliner Prüferinnen schon über 50 Pflegedienste und Heime in der Hauptstadt und ihrem Umland besucht. Jede dieser Prüfungen dauert ein bis zwei Tage, die Nachbearbeitung nicht mitgerechnet. Und jede Einrichtung ist eine Welt für sich. Die Bandbreite reicht von liebevoll gestalteten Pflegeheimen mit Lage am See und eigener Cafeteria bis zu Einrichtungen, bei denen den Prüferinnen gleich beim Betreten ein unangenehmer Geruch entgegenweht. „Wir wissen nie, was uns erwartet“, so Lange. 



Noten für Vergleichbarkeit



Um die Verschiedenheit der Pflegeeinrichtungen vergleichbar zu machen, haben sich Leistungsanbieter und Kostenträger auf ein umfangreiches Benotungssystem geeinigt. Jede Einrichtung wird jährlich anhand eines Katalogs bewertet (vgl. Tabelle Seite 6). Es geht dabei nicht nur um die pflegerische Versorgung selbst, sondern auch um Organisation und Hygiene der Einrichtung oder die soziale Betreuung der Pflegebedürftigen. Zusätzlich gibt es eine Extra-Note, die sich aus einer Kundenbefragung ergibt. Konkret untersuchen die PKV-Prüferinnen beispielsweise, ob die Wünsche der Pflegebedürftigen zu Körperpflege und Essen und Trinken erfüllt werden, ob sie schonend gelagert werden, wie oft die Mitarbeiter des Pflegedienstes in Notfallmaßnahmen geschult werden oder ob der Pflegedienst bei Bedarf erreichbar und einsatzbereit ist. Ziel der Note ist es, Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen die Suche nach qualitativ hochwertigen Angeboten zu erleichtern. Für die Einrichtungen kann ein schlechtes Ergebnis mehr nach sich ziehen als nur Nachteile im Wettbewerb: Werden schwere Mängel dauerhaft nicht beseitigt, können die Landesverbände der Pflegekassen die Vergütung kürzen oder notfalls den Versorgungsvertrag kündigen und die Schließung der Einrichtung beantragen.



Umso wichtiger ist, dass es bei der Prüfung zu einem möglichst objektiven Ergebnis kommt. Das erfordert Fleißarbeit: Teamleiterin Lange führt dabei auch heute zunächst eine sogenannte Strukturbewertung durch, verschafft sich also anhand der Unterlagen zum Qualitätsmanagement und durch gezielte Fragen an die Pflegedienstleitung einen Überblick über die Organisation der Einrichtung. Zudem besuchen sie und ihre beiden Kolleginnen eine Stichprobe der Pflegebedürftigen, um sich einen Eindruck von deren Pflegezustand zu machen.



Das ist leichter gesagt als getan. Zunächst müssen aus den 90 von diesem Dienst betreuten Personen diejenigen herausgefiltert werden, die überhaupt Leistungen aus der Pflegeversicherung erhalten und nicht beispielsweise aus der Sozialhilfe. Denn nur erstere sind laut Gesetz für die Qualitätsprüfungen relevant. Jeder zehnte von ihnen muss von den Prüfern besucht werden – nach dem Zufallsprinzip, wobei aber jede Pflegestufe zu berücksichtigen ist. Der Versichertenstatus spielt dagegen keine Rolle: Der MDK begutachtet auch Privatversicherte, der Prüfdienst der PKV auch gesetzlich Versicherte. Denn die Leistungen der Pflegeversicherung und damit auch die Rahmenbedingungen der Qualitätsprüfungen sind für beide Systeme gleich.



Bis zu vier Ordner pro Person



Die Berliner Einrichtung versorgt knapp 70 Personen mit Leistungen der Pflegeversicherung. Die Stichprobe umfasst daher sieben Personen, die jeweils in der eigenen Wohnumgebung aufgesucht werden sollen. Doch drei von ihnen sind telefonisch nicht erreichbar und zwei lehnen den Besuch der Prüfer ab. Erst nach einer guten halben Stunde haben die Prüferinnen ihre endgültige Stichprobe beisammen. Vor jedem Hausbesuch werfen sie zunächst einen Blick in den Pflegevertrag, aus dem wichtige Details hervorgehen. So wissen sie jetzt schon im Vorfeld, dass ein Pflegebedürftiger Dialysepatient ist und eine ältere Dame an einem multiresistenten Erreger erkrankt ist, was besondere Hygienemaßnahmen bei der Prüfung erforderlich macht. Über Informationsmangel können sich die Prüferinnen nicht beklagen: Zu jedem Pflegebedürftigen hat die Einrichtung einen eigenen Aktenordner angelegt. Darin sind unter anderem die Pflegeplanung, die Risikoerfassung und der Pflegevertrag zu finden, aufgehoben werden aber auch Arztbriefe und Leistungsnachweise. „Bei langjährigen Kunden können es schon einmal vier Aktenordner werden“, führt Pflegedienstleiterin Schulz aus.



Minutenlanges Warten



Nachdem sie sich umfassend informiert hat, macht sich Lange mit der stellvertretenden Pflegedienstleiterin Gabriele Müller (Name geändert) auf den Weg zum ersten Pflegebedürftigen: Ein beinamputierter Mann, der im achten Stock eines Neubaus wohnt. Der Rollstuhlfahrer lässt die Prüfer warten, weil sie ein paar Minuten zu früh sind. „Ich habe mich nicht einmal rasieren können“, schimpft er im Berliner Dialekt. Mit einem Scherz versucht Lange, das Eis zu brechen: „Sie werden jetzt zu einer Nummer“. Denn die Auswertung der Hausbesuche erfolgt aus Datenschutzgründen stets anonym. „Das sind wir ja alle“, antwortet der Mann. Jetzt lacht er.



Nach einer kurzen Aufklärung darüber, dass die Prüfung keinen Einfluss auf seine Pflegestufe hat, stellt Lange ihm gezielt Fragen: Warum trägt er seine Beinprothese nicht mehr? Kann er sich gut bewegen? Sich selbst kämmen? Kommt er vom Rollstuhl auf die Toilette? Nach zehn Minuten bittet sie die Mitarbeiterin des Pflegedienstes aus dem Zimmer. Der Rest des Gesprächs erfolgt unter vier Augen, denn jetzt geht es um den Service der Einrichtung. Werden die Termine abgestimmt? Ist er mit der Sauberkeit zufrieden? Hat er sich schon einmal beschwert? „Nein“. Der Mann grinst. „Aber das kann ja noch kommen.

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Nach 20 Minuten ist das Gespräch beendet. Bevor sie geht, sieht sich Lange noch das verbliebene Bein des Mannes an, verschafft sich einen Eindruck vom Zustand der Haut, prüft ihre Trockenheit. Mehr ist diesmal nicht nötig: „Man sieht sofort, dass er gut gepflegt ist. Einen so gut versorgten Pflegebedürftigen muss ich nicht damit behelligen, seinen körperlichen Zustand noch genauer zu prüfen.“ Ohnehin sind die Prüferinnen gehalten, stets die Intimsphäre der Pflegebedürftigen zu wahren.



Mit den Worten „Jetzt kann ich endlich frühstücken“ bringt der Mann sie zur Tür. Nicht immer läuft ein Hausbesuch so reibungslos ab. „Es gibt Pflegebedürftige, die ein sehr hohes Mitteilungsbedürfnis haben“, weiß Lange. „Da ist schon Kommunikationsfähigkeit gefragt, um wieder loszukommen. Es gibt aber auch viele ältere Menschen, denen entlockt man gerade mal ein ‚ja‘ oder ‚nein‘.“



Nicht jede Kritik ist berechtigt



Langes Kollegin Cindy Steinhöfel hat es heute weniger leicht: Der Vorwurf der von ihr aufgesuchten Rentnerin wiegt schwer: „Alles falsch eingetragen“. Die 68-Jährige kann seit einer missglückten Operation nicht mehr laufen. Zwar übernimmt ihr Ehemann den Großteil der Betreuung, er muss aber auf zusätzliche Hilfe durch Pflegekräfte zurückgreifen. Beide klagen über häufigen Personalwechsel und mangelnde Unterstützung beim Wechsel eines Urinbeutels.



Steinhöfel prüft die Unterlagen und stellt fest, dass die Personalwechsel daher rühren, dass das Ehepaar mehrere Pflegedienste beauftragt hat. Und für den Wechsel des Beutels ist ein anderer Dienst zuständig. Daher gehen die Vorwürfe ins Leere. Steinhöfel prüft die Beweglichkeit der Bettlägerigen. Dabei stellt sich heraus, dass die Frau – anders als dokumentiert – nicht nur ein Bein nicht mehr richtig anwinkeln kann, sondern beide. Ein Minuspunkt für den Pflegedienst.



Währenddessen hat Teamleiterin Lange schon mit der Strukturbewertung begonnen. Sie begutachtet unter anderem Hygiene- und Beschwerdemanagement der Einrichtung sowie die Umsetzung von Expertenstandards. „Je nach Größe und Organisation der Einrichtung kann das bis zu einem halben Arbeitstag dauern. Manchmal sind nicht alle Nachweise auf Anhieb parat und müssen mühsam zusammengesucht werden“, erzählt Lange. Diesmal hat sie Glück: Alle Unterlagen sind griffbereit, nach zweieinhalb Stunden ist die Strukturbewertung zu Ende.



Die Prüferinnen bitten um eine Mittagspause. Nicht, weil sie großen Hunger haben, sondern um ihre ersten Eindrücke auszutauschen. Anschließend geht die Detailarbeit weiter. Die Prüferinnen gleichen ihre Eindrücke aus den Hausbesuchen mit der Dokumentation über die Pflegebedürftigen ab: Sind ihre Fähigkeiten und Probleme vollständig erfasst? Kommt man zur gleichen Einschätzung von Risiken wie die Einrichtung? Bis auf die Dokumentation über die Beweglichkeit der älteren Dame und ein paar kleinere Punkte ist alles in Ordnung.



Lob auf beiden Seiten



Inzwischen ist es kurz vor vier. Die Prüferinnen bitten die Pflegedienstleitung zum Abschlussgespräch. Sie geben ein erstes Feedback, loben die positiven Aspekte, äußern aber auch Kritik und machen Verbesserungsvorschläge. Der Pflegedienst kann sich freuen: Die Prüferinnen bewerten den Pflegezustand der Versicherten als sehr gut, und auch an der Struktur haben sie nichts zu bemängeln. „Ihre Einrichtung steht wirklich gut da“, lobt Lange: „Weiter so.“



Auch die Pflegedienstleiterin hat ein Lob für den PKV-Prüfdienst übrig: „Die Prüfung war sehr freundlich“, sagt Schulz. Sie sei zwar kritisch, aber auch sehr partnerschaftlich verlaufen. Um 16 Uhr 30 fahren die Prüferinnen nach Hause – nach fast acht Stunden Arbeit, die Fahrtzeit nicht mitgerechnet. Ein langer Tag. Ein guter Tag für die Pflege.

„Prüf-Wettbewerb bringt mehr Qualität in die Pflege“ Interview mit Frank Schlerfer, der im PKV-Verband die Abteilung „Qualitätsprüfung von Pflegeeinrichtungen“ leitet 

Warum war es der PKV so wichtig, eigenständige Qualitätsprüfungen von Pflegeeinrichtungen durchzuführen?

„Jeder kann von Pflegebedürftigkeit betroen sein. Die Frage, wo und von wem man sich dann pflegen lässt – und damit die Frage nach der Qualität dieser Anbieter – ist von wesentlicher Bedeutung für die Lebensqualität. Uns war von Anfang an klar, dass wir die Verantwortung für über 9 Millionen privat Pflegeversicherte nicht allein der Gesetzlichen Krankenversicherung überlassen wollten. Als Ergänzung zu den Medizinischen Diensten der Pflegekassen bringen wir auch mehr Wettbewerb ins System, was der Qualität der Pflege insgesamt zugutekommt.“  

Im vergangenen Sommer wurde der PKV das Recht zugestanden, zehn Prozent aller Qualitätsprüfungen durchzuführen. Was ist seitdem passiert?

„Wir können mit der Entwicklung sehr zufrieden sein. Unsere erste Regelprüfung haben wir schon kurz nach der Gesetzesänderung im September letzten Jahres in Sachsen durchgeführt. Seitdem haben unsere 107 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutschlandweit mehr als 800 Qualitätsprüfungen unternommen. Dabei haben wir viel positives Feedback bekommen: Viele Pflegeeinrichtungen loben –unabhängig von dem Ergebnis ihrer eigenen Prüfung – das partnerschaftliche und konstruktive Auftreten unserer Mitarbeiter.“  

Gibt es außer der bundeseinheitlichen Organisation weitere Unterschiede, mit denen Sie sich von den Prüfungen der GKV abgrenzen wollen?

„Wir haben von vornherein großen Wert auf eine hohe Qualifikation unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gelegt. So hatten die meisten unserer Qualitätsprüfer selbst früher eine Leitungsfunktion im Pflegebereich inne und kennen sich daher mit den Strukturen und auch mit den Problemen der Branche gut aus. Zusätzlich dazu sind ca. 70 Prozent unserer Mitarbeiter zum Auditor weitergebildet, also gezielt für ihre Aufgabe weiterqualifiziert.“  

Gibt es noch Probleme?

„Obwohl das Prüfverfahren auf bundeseinheitlichen Maßstäben beruht, gibt es je nach Bundesland bestimmte Besonderheiten. Darüber mussten wir spezifische Vereinbarungen mit den Landesverbänden der Pflegekassen abschließen. Bislang haben wir solche Vereinbarungen für zwölf Bundesländer, in zwei weiteren stehen wir kurz vor dem Abschluss. In zwei Bundesländern hakt es noch – trotz klarer Gesetzeslage. Hier hoen wir auf die Bereitschaft der Pflegekassen, sich rechtstreu zu verhalten und bald einen Konsens mit uns zu finden.“  

(dieser Beitrag wurde vom Verband der privaten Krankenversicherung e.V. bereitgestellt

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