Spielen für die Demenz-Forschung

 
Mit dem neu entwickelten mobilen Spiel „Sea Hero Quest“ nutzen Wissenschaftler erstmals Crowdsourcing, um in großem Umfang Daten zu generieren. Sie werden die Demenzforschung einen großen Schritt nach vorne bringen.

Schlechte Sicht, unbekanntes Terrain – es ist eine Herausforderung, das kleine Boot durch die unübersichtliche Meereslandschaft aus Buchten und Inseln zur nächsten Boje zu navigieren. Für Spieler von Sea Hero Quest gibt es allerdings nur ein Navigationsgerät: den eigenen Orientierungssinn. Und genau um den geht es den Wissenschaftlern, mit denen die Telekom das mobile Spiel entwickelt hat: Beim Spielen werden Daten zum menschlichen Orientierungs- und Navigationsverhalten generiert, die die Grundlagenforschung für Demenz einen großen Schritt nach vorne bringen. Die Initiatoren setzen auf die drei Milliarden Stunden, die Menschen weltweit jede Woche mit Onlinespielen verbringen.

Das Konzept geht auf: Nur zwei Wochen nach Launch des Spiels haben weltweit mehr als eine Million Menschen die App heruntergeladen. „Alle Spieler zusammen haben bislang Navigationsdaten gesammelt, deren Erhebung unter Laborbedingungen mehr als 1.500 Jahre benötigt hätte“, erklärt Prof. Michael Hornberger, Professor für Demenzforschung an der Universität von East Anglia. Ein positiver Start, denn Demenz entwickelt sich schleichend zur Volkskrankheit: Nach Schätzungen der Deutschen Alzheimer Gesellschaft wird es 2050 rund drei Millionen Demenzkranke in Deutschland geben – und wird damit zu einer der größten medizinischen Herausforderungen unserer Gesellschaft. Das gesamte Projekt und das mobile Spiel hat die Telekom gemeinsam mit dem University College London, der University of East Anglia, der gemeinnützigen Organisation Alzheimer’s Research UK sowie dem Spieleentwickler Glitchers entwickelt.

Spaß und Spannung auf hoher See
Sea Hero Quest richtet sich an Spieler jeden Alters, denn die emotionale Handlung ist leicht verständlich: Der Sohn eines Seefahrers erlebt, wie die Erinnerungen seines Vaters an gemeinsam erlebte Abenteuer langsam verblassen. Um diesen Verlust aufzuhalten fährt er alle Routen noch einmal ab und hält Meereskreaturen auf Fotos fest. Genau das macht der Spieler: Er navigiert durch verzweigte Wasserlandschaften, fotografiert und muss beispielsweise Leuchtraketen zu seinem Startpunkt zurückschicken. „Wissenschaftler können so feststellen, wie gut Spieler ihren Startpunkt zurückverfolgen können“, sagt Professor Stephan A. Brandt, stellvertretender Direktor an der Klinik für Neurologie der Charité in Berlin, der die Telekom bei dem Projekt wissenschaftlich berät.

„Das Besondere an dem Spielkonzept ist, dass die unterhaltsamen Aufgaben systematisch dazu inspirieren, verschiedene Arten der räumlichen Orientierung anzuwenden und bestimmte Transferleistungen zu machen, die den Charakter einer neuropsychologischen Untersuchung haben“, erklärt Professor Brandt. Wie lenkt uns das Gehirn durch einen dreidimensionalen Raum und welche Entscheidungen trifft es dabei? Darüber erhalten die Wissenschaftler Daten, indem alle 0,5 Sekunden der Weg des Spielers über ein definiertes räumliches Raster erfasst wird.

Mit Spielerdaten gegen Demenz
Mithilfe des Onlinespiels werden 150-mal so viele Orientierungsentscheidungen pro Minute gesammelt wie mit traditionellen Forschungsmethoden. Das ist besonders wichtig, denn die Einschränkung der räumlichen Orientierung ist bei vielen Demenzkranken ein frühes und alltagsrelevantes Symptom. Sea Hero Quest ist kein Test für Spieler, ob sie an Demenz leiden – es liefert ausschließlich Vergleichsdaten zum Navigationsverhalten und der räumlichen Orientierung von Menschen jeden Alters weltweit. Denn genau das fehlt der Grundlagenforschung. Viele Fragen sind noch nicht beantwortet, etwa worin sich die Demenz von anderen Alterungsprozessen unterscheidet. Die Hoffnung der Projektteilnehmer ist es, mit den gewonnenen Daten eines Tages genau dafür Antworten zu finden.

Sea Hero Quest ist kostenlos in den Appstores von Google und Apple erhältlich. Daten werden nur nach Einwilligung und anonymisiert auf Telekom-Servern gespeichert und von Forschern des University College London ausgewertet. Andere Wissenschaftler müssen den Zugriff beantragen.

Interview

 
Die Digitalisierung bietet der Medizin große Chancen
Drei Fragen an Dr. Axel Wehmeier, Geschäftsführer Telekom Healthcare Solutions

Herr Dr. Wehmeier, welche Möglichkeiten bieten neue Technologien die Gesundheit zu verbessern? 

Foto: Marc-Steffen Unger


Da gibt es ziemlich viele: „Wearables“ warnen vor Herzinfarkt, Handykameras erkennen Hautkrebs oder Apps sammeln Vitalwerte wie Blutdruck, Gewicht oder Blutzuckerspiegel. Bereits rund ein Drittel der Bundesbürger messen mit Fitness-Trackern ihre sportlichen Leistungen oder Körperwerte. Das zeigt, die Akzeptanz in der Bevölkerung ist vorhanden. Viele Konzepte für weitere Lösungen schlummern noch in den Schubladen der Entwickler.

Kritiker befürchten bei der Digitalisierung einen mangelnden Schutz von Gesundheitsdaten.
Die Digitalisierung bietet der Medizin große Chancen. Dokumentationen auf Papier, wie manche sie fordern, sorgen zum einen für Ineffizienz und explodierende Kosten. Zum anderen können Wissenschaftler die Behandlungsdaten nicht digital zusammenführen, analysieren und für Erkenntnisse aufbereiten.

Was antworten Sie den Kritikern in Sachen Datenschutz?
Selbstverständlich sorgen wir mit unseren Sicherheitslösungen und Rechenzentren entsprechend den Vorgaben des deutschen Datenschutzgesetzes für die Sicherheit medizinischer Daten. Aber wir dürfen die Chancen der Digitalisierung nicht verschenken. Ein Beispiel: In Deutschland sterben jedes Jahr mehr Menschen an unerwünschten Arzneimittelnebenwirkungen als im Straßenverkehr! Müssten Ärzte beim Verschreiben mit einem Onlinecheck die Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten überprüfen, könnten viele Leben gerettet werden.

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