Reduzierung freiheitsentziehender Maßnahmen
Die Anzahl demenziell erkrankter Bewohner nimmt stetig zu. Gerade bei einem fortgeschrittenen Stadium einer Demenz erhöht sich regelmäßig sowohl das Sturzrisiko als auch eine Weglauftendenz der Betroffenen, was zu einer diffusen Haftungsangst bei den stationären Pflegeeinrichtungen und ihren Pflegedienstleitungen führt. Nicht selten werden deshalb immer noch freiheitsentziehende Maßnahmen (FeM) erwogen und auch umgesetzt. Motivator des Einsatzes solcher Maßnahmen ist daher zumeist der vermeintliche Schutz des Bewohners vor möglichen Schäden als auch der Schutz der Pflegeeinrichtung vor hohen Regressen. Dies kann gerade der falsche Schritt sein, da er das Problem nicht an der Wurzel packt sondern sogar neue Risikoquellen schafft. Jedes Fixieren, Arretieren eines Rollstuhls, aber auch jeder Einsatz von Psychopharmaka mit dem Ziel der Ruhigstellung eines Bewohners begründet einen erheblichen Eingriff in verfassungsrechtlich geschützte Rechte wie das Recht auf Freiheit, das Recht auf Selbstbestimmung und die Menschenwürde. Ist ein solcher Eingriff nicht hinreichend gerechtfertigt, kann gerade dieser eine zivilrechtliche und strafrechtliche Verantwortlichkeit begründen. Untersuchungen bestätigen, dass fixierte Personen das gleiche oder sogar ein erhöhtes Sturzrisiko haben. Außerdem leiden Fixierte unter ernsthafteren sturzbedingten Verletzungen. Weltweit kann auf keine Studie zurückgegriffen werden, die einen positiven Effekt durch den Einsatz freiheitsentziehender Maßnahmen bestätigen würde. Das Projekt ReduFix zeigt, dass durch gezielte Interventionen die Anzahl der Fixierungen reduziert werden kann ohne dass es zu vermehrten sturzbedingten Verletzungen kommt. Führt man sich vor Augen, dass gerade Fixierungen, aber auch andere FeM nicht unerhebliche Verletzungsrisiken mit sich bringen, wird offenkundig, wie wenig Segen auf solchen Maßnahmen tatsächlich liegen kann. Durch Fixierungen kann sich ein Strangulationsrisiko verwirklichen. Ein Bewohner, der nachts den starken Drang nach einem Toilettengang verspürt, wird sich von einem hochgestellten Bettgitter nicht selten nicht beirren lassen und dennoch versuchen, das Bett zu verlassen. Dies kann zu sehr viel gravierenderen Stürzen mit erheblichen Verletzungsfolgen führen. Eine Haftung kommt immer dann in Betracht, wenn ein Sorgfaltspflichtverstoß vorliegt. Der Maßstab der Sorgfalt bestimmt sich dabei nach dem jeweiligen Stand der medizinisch-pflegewissenschaftlichen Erkenntnisse. Gerade diese sind derzeit durch die vielzähligen Projekte und Initiativen zur Vermeidung von FeM im Fluss, so dass ein Umdenken hier begründet ist. Durch den Einsatz von FeM – gerade durch Fixierungen – verlieren die Betroffenen ihre Fähigkeit, sich sicher zu bewegen. Bewegungs-, Muskelapparat und Gleichgewichtssinn werden nicht mehr in Anspruch genommen und damit abgebaut. Dadurch lässt die Mobilität nach und das Sturzrisiko erhöht sich. Das Risiko von Kontrakturen und Dekubiti steigt. Psychischer Stress führt häufig zu weiteren Verhaltensauffälligkeiten, denen dann wiederum mit dem Einsatz von sedierenden Medikamenten begegnet wird, die ihrerseits ein erhöhtes Sturzrisiko mit sich bringen. Der Einsatz von FeM ist immer als „ulima ratio“, als letztes zur Verfügung stehendes Mittel, zu betrachten. Kann dem Risiko mit weniger einschneidenden Maßnahmen begegnet werden, sind sie vorrangig anzuwenden. Dies kann der Einsatz von Antirutsch-Socken, Hüftprothektoren, Helm-, Arm- und Knieschonern, Niedrigstflurbetten, Anti-Rutsch-Auflagen oder Sensormatten sein. Um einer Weglauftendenz zu begegnen können neuartige Personenortungssysteme oder Senderchips eine gute Lösung sein. Dies lässt freiheitsentziehende Maßnahmen hinfällig werden und schafft keine eigenen neuen Gefahrenquellen. Da einige Gerichte ihren Einsatz rechtlich aber auch als freiheitsentziehende Maßnahmen werten mit der Konsequenz, dass eine vorherige vormundschaftsgerichtliche Genehmigung für ihren Einsatz notwendig ist, empfiehlt es sich, das örtlich zuständige Vormundschaftsgericht bei ihrem ersten Einsatz einzuschalten um sich hier rechtssicher zu verhalten. Eine Vielzahl von Gerichten sieht dies mit überzeugenden Argumenten anders und sieht hierin keine freiheitsentziehende Maßnahme, so dass eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung auch nicht einzuholen ist (z.B. OLG Brandenburg, Beschluss vom 19.01.2006, Az: 11 Wx 59/05; AG Meißen, Beschluss vom 27.04.2007, Az: 5 X 25/07); AG Coesfeld, Beschluss vom 31.08.2007, Az: 9 VXII 214/06).
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Anwaltskanzlei für Heime und Pflegedienste
Alexandra Zimmermann
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