Implementierungswissenschaft – Neues erfolgreich in die Praxis bringen
Das Wissen in der Pflege entwickelt sich kontinuierlich weiter. Für Träger und Einrichtungen heißt dies, die eigene Praxis immer wieder an den aktuellen Stand anzupassen, konkret: Neues in den pflegerischen Alltag zu implementieren. Diese Neuerungen – Konzepte, Instrumente etc. – haben aber in der Regel nicht die Eigenschaft, sich wie ein fehlendes Puzzleteil elegant und leicht in die bestehenden Routinen einfügen zu lassen. Aus der Perspektive der Praktiker erscheinen sie vielmehr oft wie sperrige Brocken, überdimensioniert im Aufwand angesichts begrenzter Zeit- und Personalressourcen vor Ort. „Klingt gut – ist aber für uns nicht umsetzbar! Hat bei der Entwicklung und wissenschaftlichen Prüfung niemand daran gedacht, wie so etwas unter Realbedingungen funktionieren soll?“
In der Tat spielt die Nachhaltigkeit der Umsetzung in der ersten Phase wissenschaftlicher Prüfung eine untergeordnete Rolle. Denn hier geht erst einmal darum, festzustellen, ob eine Innovation an sich einen Nutzen hat. Führt ein neues Konzept, verglichen mit herkömmlicher Praxis, wirklich zu einer Verbesserung für Bewohner, Klienten oder Patienten? Ist dies nicht der Fall, sollte das Konzept auch nicht angewendet werden. Das Problem liegt nun darin, dass der Forschungsprozess häufig an diesem Punkt endet. „Das neue Konzept hat sich als wirksam erwiesen? Prima. Dann soll die Praxis es sich aneignen,- wie, das ist ihre Sache!“ Keine gute Idee. Denn ein noch so wertvolles Konzept verspielt sein Potenzial, wenn es nicht oder nur unzureichend implementiert wird.
Die Implementierungswissenschaft versucht diese Wissenschaft-Praxis-Lücke zu schließen. Ihre Fragen sind: Was passiert im Einzelnen, wenn Neues in den Praxisalltag kommt? Welche Faktoren behindern Implementierungsprozesse, und welche Strategien fördern sie? Und was ist zu tun, damit die einmal eingeführte Innovation langfristig umgesetzt wird und nicht wieder einschläft? Die Implementierungswissenschaft schaut dabei sehr genau auf die Rahmenbedingungen vor Ort. Sind beispielsweise Führungsstil und Personalmanagement geeignet, Mitarbeitende in der Umsetzung neuen Wissens zu unterstützen? Und mit Blick auf das zu implementierende Neue stellt sie die Frage, welche Anpassungen daran vorgenommen werden müssen bzw. können, damit es in der Praxis funktioniert, ohne seinen Kern zu verlieren.
Mit dieser Ausrichtung ist die Implementierungswissenschaft klar handlungsorientiert: Es geht darum, Implementierungsprozesse zu optimieren. Ihre Ergebnisse sind damit auch und gerade für all jene von Bedeutung, die Implementierungsprozesse in Einrichtungen der Altenhilfe und des Gesundheitswesens steuern. Denn hier werden oft zu wenige oder nicht angepasste Strategien eingesetzt. Beispiel: „Wenn alle unsere Mitarbeitenden in der neuen Methode geschult sind, ergibt sich der Rest von selbst.“ Natürlich ist Qualifizierung wichtig, doch die entscheidenden Probleme werden nicht im Fortbildungsseminar gelöst, sondern vor Ort, wenn es darum geht, Routinen zu verändern bzw. Neues mit Bestehendem zu verzahnen. Und gerade hier werden Mitarbeitende oft allein gelassen.
Wenn Implementierungsprozesse scheitern, kann dies im schlimmsten Fall dazu führen, dass eine an sich gute Neuerung in der Praxis mehr Schaden als Nutzen bringt. Aber die Folgen reichen noch weiter. Denn ein schlecht geplantes Implementierungsprojekt, das viel Stress bei kaum erkennbarem Erfolg mit sich brachte, prägt sich im Gedächtnis aller Beteiligten ein. Und wenn dann – unweigerlich – die nächste Implementierung ansteht, muss der verantwortliche Change Manager damit rechnen, dass sich die Begeisterung der Mitarbeitenden in Grenzen hält: „Wieder ein solches Chaos – nein danke!“
Im anglo-amerikanischen Sprachraum bereits etabliert, ist die Implementierungswissenschaft in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Es ist zu hoffen, dass sie sich auf hierzulande weiterentwickelt und den Wissensfundus darüber erweitert, worauf es ankommt, wenn etwas Neues erfolgreich implementiert werden soll, – gerade weil es vor Ort keine Ressourcen zu verschenken gibt.
Dr. Marion Bär, concept.alter
Wissenstransfer – Prozessberatung – Evaluation
für Altenhilfe und Gesundheitswesen