GeWINO-Forschungsvorhaben: Digitale Vernetzung von Arztpraxis und Pflegeheim bringt Vorteile für Bewohner, Pflegepersonal und Ärzte
Eine aktuelle Auswertung einer Datenerhebung aus einem der letzten Jahre zeigt, dass sich durch die zusätzliche digitale Vernetzung von Hausarztpraxis und Pflegeheim, in einem Pilotprojekt des Bethanien Sophienhaus die Anzahl der Krankenhaustage je Bewohner im Jahr 2013 um 7,4 Tage verringert hat. Zudem ist der Anteil der Notfalleinweisungen um rund 15 Prozent zurückgegangen, wie ein aktuelles Forschungsvorhaben des Gesundheitswissenschaftlichen Instituts Nordost (GeWINO) der AOK Nordost zeigt.
„Eine elektronische Pflegedokumentation, auf die Hausarzt und Pflegeheim gemeinsam zugreifen können, fördert die Kooperation von Ärzten und Pflegepersonal, verbessert die Versorgungsqualität und entlastet die Mitarbeiter“, stellt die Hausärztin Irmgard Landgraf fest. Das GeWINO hat das Pilotprojekt „Vernetzte ärztliche Versorgung im Pflegeheim“, das von der Fachärztin für Innere Medizin, Irmgard Landgraf, gemeinsam mit dem Pflegeheim Bethanien Sophienhaus in Berlin-Steglitz initiiert wurde, im Rahmen eines Forschungsvorhabens begleitet.
Seit 1999 versorgt Irmgard Landgraf im Rahmen des „Berliner Projektes – Die Pflege mit dem Plus“ mehr als 100 Bewohner im Pflegeheim Bethanien Sophienhaus. Rund ein Drittel davon ist bei der AOK Nordost versichert. Im Rahmen ihrer hausärztlichen Tätigkeit suchte sie nach einer Möglichkeit, die Kommunikation zwischen Arzt und Pflegepersonal zu optimieren. Die von der Hausärztin entwickelte Lösung ist eine „virtuelle Visite“ im Pflegeheim, bei der sie die digitale Pflegedokumentation gemeinsam mit dem Pflegeheim nutzt. Das Dokumentationssystem im Bethanien Sophienhaus ist dafür über einen gesicherten Zugang in der Hausarztpraxis verfügbar. Durch diese seit 2001 praktizierte digitale Vernetzung kann sich die Internistin jederzeit – auch abends und am Wochenende – über den Zustand ihrer Patienten im Pflegeheim informieren. Das System ist für beide Seiten von Vorteil: Arzt und Pflegepersonal können sich online über Zustand und Veränderung der Gesundheit der Pflegebedürftigen austauschen und mit einer Anpassung der Therapie (beispielsweise Arzneimittelverordnungen) direkt darauf reagieren.
„Das Ergebnis des GeWINO-Forschungsvorhabens „Vernetze ärztliche Versorgung im Pflegeheim“ zeigt, dass sich bei den Patienten der Interventionsgruppe die Anzahl unterschiedlicher Wirkstoffgruppen im Vergleich zur Kontrollgruppe reduziert hat. Auch der Anteil der Heimbewohner mit Polymedikation konnte in der Interventionsgruppe fast in allen Jahren gesenkt werden und zudem reduzierten sich die Arzneimittelkosten. Bei den Krankenhauseinweisungen waren in den Jahren 2012 und 2013 die Anzahl der Krankenhausfälle und die Krankenhaustage je Pflegeheimbewohner geringer als bei Patienten der Kontrollgruppe. In der von Frau Landgraf betreuten Interventionsgruppe gab es 2012 und 2013 rund 15 Prozent weniger Notfalleinweisungen in ein Krankenhaus als bei Pflegeheimbewohnern ohne digitales Vernetzungsmodell, die die Kontrollgruppe ausmachten“, erläutert GeWINO-Geschäftsführer Prof. Dr.-Ing. Thomas P. Zahn.
Die damalige AOK Berlin, heute AOK Nordost, hatte zur Verbesserung der ärztlichen Versorgung in Pflegeheimen schon in den 1990er Jahren zusammen mit der Kassenärztlichen Vereinigung und weiteren Krankenkassen sowie Kooperationspartnern das „Berliner Projekt“ ins Leben gerufen. Für eine hochwertige medizinische Versorgung der Pflegebedürftigen gibt es interdisziplinäre Teambesprechungen, wöchentliche Heimvisiten sowie eine Rufbereitschaft für Notfälle. An dem Vertrag sind neben der AOK Nordost die IKK Brandenburg/Berlin, die BAHN-BKK und Siemens-BKK sowie Pflegeeinrichtungen beteiligt. Die ärztliche Versorgung ist in einem Vertrag zwischen den teilnehmenden Kassen und der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin geregelt. In allen drei Bundesländern versorgen heute 191 Ärzte 5.646 AOK Nordost-Versicherte in 144 Pflegeheimen. Damit leistet die AOK Nordost einen wesentlichen Beitrag in der Versorgung von Pflegeheimbewohnern. Die Vernetzung der verschiedenen Leistungserbringer in den AOK Nordost Pflegeheimprogrammen führt, wie das ausgewertete digitale Vernetzungsmodell zeigt, zu einer verbesserten Versorgung von Pflegeheimbewohnern. Die AOK Nordost plant daher neben dem Ausbau der Pflegeheimprogramme durch die Einbindung weiterer Versorgungspartner und die Gewinnung von Ärzten in ländlichen Regionen auch, die digitale Vernetzung in weiteren Heimen zu testen und zu evaluieren. Weitere Informationen unter www.gewino.de
Interview mit Haus- und Pflegedienstleiterin Cornelia Clauß (AGAPLESION Bethanien Sophienhaus, Berlin) und Prokurist Burkhard Bachnick (AGAPLESION Bethanien Diakonie gGmbH, Berlin – Frage 6)
1) In welcher Form hat sich für Sie die Versorgung Ihrer Bewohner durch das „Vernetzte Pflegeheim“ verändert?
Die Veränderungen fallen wahrscheinlich nur den Pflegekräften auf, die neu in unserem Haus beginnen. Ich hatte in meinen vorherigen Einrichtungen teilweise mit 20 verschiedenen Ärzten zu tun. Besonders problematisch war das nach Praxisschluss. Hier hieß es dann immer den Bereitschaftsdienst oder den Notarzt zu informieren. Die digitale Vernetzung von Arztpraxis und Pflegeheim ist für die Bewohner und das Pflegepersonal ideal.
2) Welche Auswirkungen hat diese Vernetzung auf Ihren Berufsalltag?
Die digitale Vernetzung erbringt für das Pflegepersonal in jedem Falle eine Zeitersparnis und das bei optimaler medizinischer Betreuung der Bewohner. Für uns ist es wichtig, dass wir den behandelnden Ärzten nicht mehr hinterhertelefonieren müssen, um Informationen austauschen zu können, sondern diese zeitnah weitergebenen werden.
3) Welche Probleme haben Sie insbesondere in der Zusammenarbeit von Arzt-Patient-Pflegepersonal bisher gesehen?
Vor der Einführung der digitalen Vernetzung war aus meiner Sicht das größte Problem die fehlende Zeit der Hausärzte für Besuche in unserer Einrichtung (Bethanien Sophienhaus). Schwierig war es immer Konsil-Ärzte für die Patientenbetreuung zu finden. Durch die Vernetzung hat sich hier vieles entscheidend verbessert.
4) In welcher Form hat sich die Kommunikation zwischen Arzt und Bewohnern verändert?
Seit der digitalen Vernetzung kommt es häufiger zu Arzt-Patienten-Kontakten. Die Zeitverluste sind minimiert und die Zusammenarbeit ist einfacher, da die wichtige Vorabinformation bereits stattgefunden hat. Daraus folgt, dass die Umsetzung von ärztlichen Verordnungen rascher geschieht und der vernetzte Arzt bereits einen guten Überblick über alle verordneten Medikamente hat. So können eventuelle Nebenwirkungen oder Wechselwirkungen vermieden oder sofort entgegengewirkt werden.
5) Neben der rein organisatorischen Verbesserung – welche Auswirkungen gab es außerdem?
Durch die optimale ärztliche Betreuung haben wir bei unseren Bewohnern weniger Krankenhauseinweisungen, weniger Krankentransporte und natürlich auch weniger Stresssituationen, denn unsere Bewohner können meist in ihrer gewohnten Umgebung bleiben.
6) Können Sie sich vorstellen, dass dieses Modell auch für andere Einrichtungen positive Auswirkungen haben könnte?
Ich kann mir das nicht nur vorstellen. Wir haben das „Berliner Modell“ in allen unseren Einrichtungen und machen damit gegenüber anderen AGAPLESION Einrichtungen, die nicht in das „Berliner Modell“ eingeschlossen sind, nur positive Erfahrungen. Es ist ein WIN-WIN Modell, bei dem alle Beteiligten gewinnen:
Der Patient: Es finden regelmäßig Arztbesuche (sogenannte Hausbesuche) statt. Eine ärztliche Versorgung außerhalb der Praxiszeiten ist organisiert und sichergestellt.
Der Angehörige: Der Arzt ist auch für die Angehörigen gut erreichbar und ist über die aktuelle Situation informiert.
Die Pflegekraft: Es gibt einen zeitnahen Informationsaustausch zwischen Arzt und Pflegekraft per Telefon oder digital über die Pflegedokumentation. Dies erspart Wartezeiten und vermindert Stress.
Der Arzt: Durch den digitalen Zugriff auf die Pflegedokumentation kann jederzeit zeitnah reagiert werden. Die digitale Vernetzung erspart dem Pflegepersonal sowie dem Arzt auch Zeit und sie führt zu optimierter Betreuung der Bewohner von Pflegeeinrichtungen.
7) Welche Verbesserungsvorschläge haben Sie?
Es wird notwendig sein, dass Programm kontinuierlich den Veränderungen anzupassen. Wir erhalten regelmäßig Vorschläge der Mitarbeiter im Pflegebereich und auch seitens der Ärzte – diese Vorschläge werden geprüft und wenn sinnvoll sowie möglich natürlich auch umgesetzt.