Die verbleibende Lebenszeit in größtmöglicher Autonomie und Würde erleben
Friedemann Nauck, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP)
Das Kernanliegen der Palliativmedizin besteht in der umfassenden Linderung von Schmerzen sowie belastenden Symptomen wie Atemnot, Übelkeit, Obstipation, Schwäche oder Appetitlosigkeit bei Patienten mit einer fortschreitenden und unheilbaren Erkrankung. Durch eine effektive Symptomkontrolle und die Beachtung nicht nur körperlicher, sondern auch psychischer, sozialer und spiritueller Bedürfnisse soll die Lebensqualität dieser Patienten verbessert werden, so dass die verbleibende Lebenszeit in größtmöglicher Autonomie und Würde erlebt werden kann. Dies erfordert die Betreuung durch ein multiprofessionelles Team, das sich bedarfsorientiert aus Ärzten, Pflegekräften, Physiotherapeuten, Sozialarbeitern, Seelsorgern, Psychologen sowie Kunst- oder Musiktherapeuten zusammensetzt und durch Ehrenamtliche ergänzt wird.
Palliativmedizin ist nicht auf die letzte Lebensphase und auf Krebserkrankungen beschränkt
Ursprünglich wurde Palliativmedizin fast ausschließlich bei Patienten mit Krebserkrankungen angewendet. Inzwischen ist allgemein anerkannt, dass auch Patienten mit anderen lebenslimitierenden – etwa internistischen oder neurologischen – Erkrankungen von einer umfassenden und frühzeitigen palliativmedizinischen Betreuung profitieren.
Palliatives Handeln beginnt in dem Moment, in dem man daran denkt. Die Auseinandersetzung mit der Endlichkeit unseres Lebens, mit Tod und Sterben, die frühzeitige offene und einfühlsame Kommunikation mit den Patientinnen und Patienten und ihren Angehörigen ist ein wesentlicher Schritt palliativen Handelns, welches schon in frühen Phasen der Erkrankung zur Linderung spezifischer Probleme und zur Krisenintervention erforderlich werden und sinnvoll sein kann. Frühzeitige Unterstützungsangebote geben Sicherheit und Lebensqualität und haben neben der gegen die Erkrankung gerichteten Behandlung einen hohen Stellenwert. Angehörige werden auch über den Tod des Patienten hinaus begleitet.
Der kranke Mensch wird mit all seinen Nöten von einem multidisziplinären Team betreut
Das „Neue“ an der Palliativmedizin ist, dass der Fokus der Behandlung nicht in der Therapie von Schmerzen oder anderer belastender Symptome liegt, sondern die Behandlung des kranken Menschen mit allen seinen körperlichen, seelischen oder psychosozialen Nöten in einem multidisziplinären Team beinhaltet und sein soziales Umfeld mit Familie und Freunden umfasst.
Dies erfordert eine gut abgestimmte multiprofessionelle Zusammenarbeit, die sich im Übrigen auch in der Zusammensetzung der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin widerspiegelt: Bis zu 60 Prozent der 4000 DGP-Mitglieder kommen aus der Medizin, fast 30 Prozent aus der Pflege und gut zehn Prozent aus weiteren in der Palliativversorgung tätigen Berufsgruppen.
Auf dem Weg zu einer flächendeckenden Palliativversorgung in Deutschland konnten bereits viele Hindernisse aus dem Weg geräumt werden, so die zunächst unzureichende Aus, Fort- und Weiterbildung der Berufsgruppen, die schwerkranke und sterbende Menschen betreuen. Hier hat in den vergangenen Jahren die weitere Qualifizierung von Ärztinnen und Ärzten, des Pflegepersonals, aber auch der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus anderen Berufsgruppen dazu geführt, dass die qualitativ hochwertige hospizliche und palliative Versorgung in Deutschland weiter ausgebaut werden konnte.
Ziel ist es, schwerstkranke Patienten dort zu betreuen, wo sie sich zuhause fühlen Neben der Qualifizierung ist es wichtig, die Themen Sterben, Tod und Trauer wieder mehr in die Gesellschaft zu integrieren. Dazu haben im Jahr 2010 über 50 gesundheits- und gesellschaftspolitisch wesentliche Institutionen gemeinsam die „Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland“ verabschiedet. Deren Bedürfnisse und Rechte standen im Mittelpunkt des Prozesses, den die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin, der Deutsche Hospiz- und PalliativVerband und die Bundesärztekammer in Gang gesetzt haben und – auch dank der Förderung der Robert Bosch Stiftung und der Deutschen Krebshilfe – zum Konsens führen konnten. In fünf Leitsätzen und Erläuterungen werden Anforderungen an die Betreuung der schwerstkranken Menschen, ihrer Angehörigen und der ihnen Nahestehenden benannt. (Ein online-Bericht zur derzeitigen Umsetzung der „Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen“ folgt).
Eine dritte Herausforderung besteht darin, den palliativmedizinischen Ansatz auch in die allgemeine Versorgung zu integrieren – und dies sowohl ambulant als auch stationär in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Ziel muss es sein, den Patienten dort zu betreuen, wo er in einer schwierigen Phase seiner Erkrankung am Lebensende leben möchte – unabhängig davon, ob die Versorgung zuhause, in der Klinik oder im Pflege- oder Altenheim stattfindet.
Alte, chronisch und dementiell erkrankte Menschen haben einen palliativen Versorgungsbedarf
Insbesondere chronisch kranke, schwer demente und sterbende alte Menschen bedürfen häufig einer Palliativversorgung. Grundansatz der Palliativen Geriatrie ist es, den Hospiz-und Palliativgedanken in die Organisationskultur der Institutionen zu integrieren. Die Weltgesundheitsorganisation verdeutlicht, dass in der Begleitung älterer, chronisch und demenziell erkrankter Menschen ein neuer Anspruch an die Palliativversorgung geltend gemacht werden muss: Die Indikationsstellung sollte eher auf der Grundlage der Symptome und Probleme erfolgen als auf der Grundlage einer bestimmten Diagnose. Demenzen können von daher als Modellerkrankungen jenseits der traditionell im Fokus stehenden Tumorerkrankungen gesehen werden.
Menschen mit Demenz haben in allen Krankheitsphasen in unterschiedlichem Ausmaß palliativen Versorgungsbedarf, wobei kurative und palliative Maßnahmen nebeneinander erforderlich sein können. Die Bedürfnisse der Betroffenen sollten möglichst frühzeitig sensibel erhoben und schriftlich festgehalten werden. (Ein online-Bericht zu den Grundelementen der palliativen Versorgung von alten Menschen und den Notwendigkeiten zur Implementierung von Palliativversorgung im Alten- und Pflegebereich folgt).
„Dem Tag mehr Leben geben“, bedeutet für Menschen, die an einer fortschreitenden und unheilbaren Erkrankung leiden oder in hohem Lebensalter chronisch und/oder dementiell erkrankt sind, dass sie Beachtung finden und als Menschen mit ihren Ängsten und Nöten wahrgenommen werden.
www.dgpalliativmedizin.de, www.charta-zur-betreuung-sterbender.de
Kurzinfo
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin e.V.
+49 30 81826885
http://www.dgpalliativmedizin.de/