Der aktuelle Expertenstandard Dekubitusprophylaxe in der Pflege – Änderungen und ihre Bedeutung für die Praxis

von Arne Buß, Altenpfleger, BA Pflegewissenschaft (FH), Wundassistent (WAcert® DGfW Pflege) Kontakt: a.buss@dgfw.de

Die kürzlich veröffentlichte Aktualisierung des Expertenstandards Dekubitusprophylaxe in der Pflege (DNQP 2010a) hat einige Änderungen mit sich gebracht (s. Tabelle 1). Doch was bedeuten diese Änderungen für die Pflegepraxis?

Was ist neu?

Im aktuellen Expertenstandard wird, im Gegensatz zur vorherigen Version, darauf verzichtet eine bestimmte Risikoskala zur Einschätzung des Dekubitusrisikos (z.B. die Braden-Skala) zu empfehlen, da diese nicht nachweislich effektiv sind (DNQP 2010a).

Anstelle der Risikoeinschätzung anhand einer standardisierten Risikoskala soll die klinische Einschätzung der Pflegefachkraft im Vordergrund stehen. Das bedeutet, die Pflegefachkraft beurteilt auf der Basis ihrer pflegerischen Fachexpertise den Gesamtzustand des Patienten/Bewohners (DNQP 2010a). Dabei ist es ihr keinesfalls „verboten“, eine Risikoskala, wie z.B. die Norton- oder Braden-Skala heranzuziehen, wie es fälschlicherweise oft angenommen wird. Vielmehr ist entscheidend, dass nicht nur aufgrund der Werte einer Skala beurteilt wird, sondern immer alle relevanten Faktoren, im Hinblick auf den individuellen Fall, betrachtet werden müssen.

Dabei ist ein besonderes Augenmerk auf die Mobilität und Aktivität des Patienten/Bewohners zu legen. Andere, möglicherweise relevante Risikofaktoren müssen, je nach individuellem Fall, einbezogen werden (DNQP 2010a).

Dazu empfiehlt es sich spezielle Instrumente heranzuziehen, um die Einschätzung des Dekubitusrisikos im Rahmen des Pflegeprozesses abzubilden (Bauernfeind und Strupeit 2011).

Nun stellt sich berechtigterweise die Frage, wie bei den ohnehin knappen Zeitressourcen der Pflegenden die Umsetzung eines derart umfassenden Risikoassessments überhaupt zu realisieren ist.

Es ist gewiss nicht von der Hand zu weisen, dass insbesondere die Einführungsphase geeigneter Methoden und Instrumente einen höheren Zeitaufwand mit sich bringt. Erfahrungen aus der Praxis sprechen jedoch dafür, dass sie sich nach einer gewissen Eingewöhnungsphase gut in den pflegerischen Ablauf integrieren lassen, ohne außerordentlich zeitintensiv zu sein. Die formale Gestaltung der Instrumente bleibt dem Anwender überlassen.

Die ursprüngliche Kriterienebene 4 (Ernährungsspezifische Maßnahmen/Maßnahmen zur Förderung der Gewebetoleranz) wurde komplett gestrichen, da auch hier haltbare Belege für deren Wirksamkeit fehlen (DNQP 2010a).

Das bedeutet jedoch nicht, dass die Faktoren Ernährung und Hautzustand keine Rolle mehr spielen. Der Hautzustand ist nicht außer Acht zu lassen, da trockene bzw. mazerierte haut sich z.B. nur schwer von Kategorie 1-Dekubitus abgrenzen lassen. Auch der Ernährungszustand kann eine Rolle spielen. Es geht vielmehr darum, dass diese Maßnahmen nicht generell zur Dekubitusprophylaxe eingesetzt werden sollten, wie z.B. die Bewegungsförderung.

Maßnahmen zur Ernährung und Hautbeschaffenheit werden darüber hinaus im Rahmen des Ernährungsmanagements bereits durchgeführt, wo sie mehr von Bedeutung sind. Dazu sollte entsprechend auf den Expertenstandard Ernährungsmanagement (DNQP 2010b) zurückgegriffen werden. Zudem wurde im aktuellen Expertenstandard eine Reihe von begrifflichen Veränderungen vorgenommen, um eine präzisere Formulierung zu erreichen. Tabelle 1 zeigt eine Auswahl dieser Änderungen.

Die Festlegung von neuen Begriffen betrifft vor allem deren Beachtung im Rahmen der Dokumentation, aber auch der verbalen Kommunikation unter den Pflegenden, z.B. bei Übergaben.

Eine möglichst präzise Sprache fördert die Professionalisierung des Pflegeberufes – jede Profession benötigt ihre „eigene Sprache“. Das sollte auch für die Pflege gelten.

Alter Expertenstandard (2000/2004)

Neuer Expertenstandard (2010)

  •  Empfehlung einer Dekubitusrisikoskala (z.B. BRADEN, NORTON)
  •  Verzicht auf eine Empfehlung von Risikoskalen
  •  Empfehlung gezielter Maßnahmen zur Ernährung und Hautbeschaffenheit
  •  weggefallen
  •  Verwendung von Begriffen:
    •  Dekubiti (Mehrzahl von Dekubitus)
    •  Dekubitus-Grad
    •  Lagerungsplan
    •  Druckreduzierende Hilfsmittel
  •  Verwendung von Begriffen:
    •  Dekubitus (Mehrzahl von Dekubitus)
    •  Dekubitus-Kategorie
    •  Bewegungsplan
    • Druckverteilende Hilfsmittel

Tab. 1 Übersicht Änderungen im aktuellen Expertenstandard

Literaturhinweise

Bauernfeind, Gonda und Strupeit, Steve (2011): Themenheft Dekubitusprophylaxe in der Pflege: Den Expertenstandard sicher umsetzen. AOK-Verlag

Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) (Hrsg.) (2010a): Expertenstandard Dekubitusprphylaxe in der Pflege. Entwicklung, Konsentierung, Implementierung. Osnabrück: DNQP

Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) (Hrsg.) (2010b): Expertenstandard Ernährungsmanagement zur Sicherstellung und Förderung der oralen Ernährung in der Pflege. Entwicklung, Konsentierung, Implementierung. Osnabrück: DNQP

Kurzinfo

Deutsche Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung e.V.

+49 641 6868518

http://www.dgfw.de

Die Deutsche Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung e.V. (DGfW e.V.) wurde 1994 als interdisziplinäre wissenschaftliche Fachgesellschaft in Wiesbaden gegründet. Ziel der Gründer war es, eine Organisation zu schaffen, welche den Wissenstransfer zwischen Forschung und Praxis zur verbesserten Behandlung akuter und chronischer Wunden unterstützt.

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