von Franziska Lutz M.A., Blindeninstitut Würzburg
Bis ins hohe Alter Zeitung lesen, sich sicher fortbewegen, aktiv sein – wie können Bewohner einer Pflegeeinrichtung möglichst lange am gesellschaftlichen Leben teilhaben? Eine Grundvoraussetzung dafür ist, gut sehen zu können.
Menschen sind visuelle Wesen, über 80 Prozent unserer Umwelt nehmen wir mit den Augen wahr. Wie wichtig das Sehen für nahezu alle Bereiche des täglichen Lebens ist, wird aber oftmals erst bei einer Abnahme des Sehvermögens bewusst. Um auf die Bedürfnisse sehbeeinträchtigter und blinder Seniorenheimbewohner aufmerksam zu machen und Wege der Prävention aufzuzeigen, gibt es seit einigen Jahren in Bayern das Präventionsprogramm „Gutes Sehen in Pflegeeinrichtungen“.
Prävention in der Lebenswelt
Aufgrund des demografischen Wandels gewinnt die Gesundheitsförderung gerade für ältere Menschen zunehmend an Bedeutung. Die klassische Primärprävention, die vor dem ersten Auftreten einer Krankheit ansetzt, kommt in Senioreneinrichtungen aber häufig zu spät. Dennoch kann die Gesundheit der Bewohner durch gezielte Maßnahmen gestärkt werden, etwa durch die Früherkennung bzw. Eindämmung von Krankheiten (Sekundärprävention) oder durch das Abmildern der Konsequenzen einer bereits aufgetretenen Krankheit und das Vorbeugen von Folgeschäden (Tertiärprävention). Es gilt zu bedenken, dass Gesundheit gerade im Alter aus mehreren Dimensionen besteht und sich nicht nur auf die Abwesenheit von Erkrankungen bezieht. Eine aktive Lebensgestaltung, die Anwendung von Bewältigungsstrategien und ein angemessenes System an Unterstützung sind ebenso von Bedeutung.
Immer mehr ältere Menschen – das bedeutet nicht nur eine steigende Anzahl an Pflegebedürftigen, sondern auch eine starke Zunahme blinder und sehbehinderter Senioren in den kommenden Jahren, denn viele Augenerkrankungen sind Alterserscheinungen. Präventionsmaßnahmen für diese Personengruppe sollten daher systematisch und dauerhaft in den Lebensalltag der Pflegeeinrichtung integriert werden. Welche baulichen Anforderungen es für blinden- und sehbehindertenfreundliche Seniorenheime zu beachten gilt, wurde in der letzten Ausgabe des Seniorenheim-Magazins (01/2019) bereits berichtet. Genauso wichtig ist es aber auch, Augenerkrankungen, ihre Auswirkungen und Möglichkeiten der Rehabilitation, Kompensation und Unterstützung zu kennen und dieses Wissen in die tägliche Pflege und Betreuung miteinzubeziehen.
Augenerkrankungen und ihre Auswirkungen
Die meisten Augenerkrankungen verursachen keine akuten Schmerzen und werden daher von Betroffenen oft erst sehr spät bemerkt. Besonders ab dem 60. Lebensjahr steigt das Risiko einer Erkrankung deutlich an, die Auswirkungen auf das Sehen können dabei sehr unterschiedlich sein. Bei einer Früherkennung lassen sich viele Krankheiten inzwischen behandeln, die regelmäßige Kontrolle durch einen Augenarzt ist deshalb die beste Vorsorgemaßnahme. Wendet man sich frühzeitig an Fachleute, kann das „gute Sehen“ möglichst lange erhalten bleiben.
Die häufigste Augenerkrankung in Deutschland ist die Altersbedingte Makuladegeneration, kurz AMD. Im Frühstadium der Krankheit sind die Beschwerden meist gering und äußern sich beispielsweise in einer langsamen Minderung der Sehschärfe. Etwa 6,9 Millionen Menschen sind davon betroffen, rund 480.000 Patienten leiden an der fortgeschrittenen Form der Krankheit. Dabei entwickelt sich die anfänglich trockene AMD zur feuchten AMD weiter. Besonders die Mitte des Gesichtsfelds ist dann von Ausfällen beeinflusst, das heißt gerade das, was man zu fokussieren versucht, kann nicht mehr gesehen werden. Das Lesen wird immer mühsamer, Gesichter werden nicht mehr erkannt, gerade Linien werden gekrümmt oder verzerrt wahrgenommen. Durch eine dauerhafte Behandlung kann ein Fortschreiten der Krankheit aufgehalten bzw. verlangsamt werden.
Weit verbreitet ist auch die Diabetische Retinopathie, von der rund 1,2 Millionen Menschen betroffen sind. Durch den Diabetes können auch am Auge Nerven und Blutgefäße geschädigt werden, wodurch eine Beeinträchtigung des Farbensehens, eine Einschränkung des Gesichtsfelds oder Schwankungen in der Sehschärfe hervorgerufen werden können. Noch bevor ein Allgemeinmediziner Diabetes diagnostizieren kann, erkennt der Augenarzt erste Anzeichen einer Erkrankung an den Netzhautgefäßen.
Zu den bekannteren Augenerkrankungen zählt der Grüne Star, auch Glaukom genannt, an dem in Deutschland circa 919.000 Menschen leiden. Neben einer fortschreitenden Sehminderung kann es auch hier zu Gesichtsfeldeinschränkungen kommen. Da die Krankheit langsam voranschreitet, werden die Symptome von den Betroffenen oft zu spät bemerkt. Die Schäden, die durch einen erhöhten Augeninnendruck hervorgerufen werden, betreffen den Sehnerv und sind nicht reversibel. Durch das kontinuierliche Verabreichen von Augentropfen kann eine Senkung des Augeninnendrucks erzielt werden.
Die weltweit häufigste Ursache für ein Erblinden ist der Graue Star oder auch Katarakt. Bei dieser Krankheit ist die Augenlinse eingetrübt, wodurch Betroffene wie durch eine Milchglasscheibe sehen. Eine verringerte Sehschärfe und erhöhte Blendempflindlichkeit können die Folge sein. Der Graue Star kann ambulant operiert werden, allein in Deutschland werden jährlich 800.000 solcher Operationen durchgeführt.
Augenerkrankungen im Alltag erkennen
Besonders ältere Menschen leiden häufig an Augenerkrankungen. Gleichzeitig schätzen viele ihr Sehvermögen besser ein als es tatsächlich ist oder nehmen ein Nachlassen der Sehkraft als unvermeidliche Alterserscheinung hin. Die Mitarbeitenden in der Pflegeeinrichtung sollten daher die ersten Anzeichen einer Veränderung des Sehens (er-)kennen:
- Blendempfindlichkeit
- Erhöhter Lichtbedarf
- Gesichter und Gegenstände werden nicht immer erkannt
- Sozialer Rückzug
- Unlust zu Lesen oder Fernzusehen
- Starkes Annähern an Objekte, Zeitung etc.
- Augenblinzeln, Auge zukneifen
- Augentränen, rotes Auge, verklebtes Auge
- Schmerzende Augen (akuter Handlungsbedarf!)
Wie wichtig das Sehen ist und wie sich dieses im Alter verändert, ist in den meisten Pflegeeinrichtungen nicht im Bewusstsein. Durch Schulungen und Selbsterfahrungsangebote sollte dieses Wissen den Mitarbeitenden daher unbedingt vermittelt werden. Beate Herrmann, Pflegedienstleitung in einer Senioreneinrichtung in Kitzingen, hat im Rahmen des Präventionsprogramms an einer Mitarbeiterschulung zum Thema „Gutes Sehen“ teilgenommen und berichtet: „Die Selbsterfahrung hat dem Personal wirklich die Augen geöffnet. Wir achten seitdem viel sensibler auf die unbewussten Signale der Bewohner und hinterfragen mehr. Warum ist jemand unsicher zu Fuß? Liegt es am Gleichgewicht oder fällt vielleicht die Orientierung aufgrund einer Seheinschränkung schwer?“
Das Präventionsprogramm „Gutes Sehen in Pflegeeinrichtungen“
Das Präventionsprogramm ist bayernweit in vollstationären Pflegeeinrichtungen und Tagespflegen unterwegs und berät diese bei der Entwicklung hin zur „sehgerechten“ Einrichtung. Neben Inhouse-Schulungen für die Mitarbeitenden gehören auch eine Begehung zur sehbezogenen Barrierefreiheit, eine Informationsveranstaltung für Angehörige und weitere Interessierte sowie Augenüberprüfungen für die Senioren zu de
n Leistungen des Programms dazu. Auf Basis des Präventionsgesetztes wird die Finanzierung von den Pflegekassen der AOK Bayern, des BKK Landesverbandes Bayern, der IKK classic, der KKH Kaufmännischen Krankenkasse, der KNAPPSCHAFT und der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau – SVLFG übernommen. Durchgeführt wird das Programm von interdisziplinären Fachkräften des Blindeninstituts Würzburg und des Blindeninstituts Regensburg. Pflegeeinrichtungen, die kostenfrei am Präventionsprogramm teilnehmen möchten, finden das Bewerbungsformular sowie weitere Informationen unter www.blindeninstitut.de/gutes-sehen.
Quelle der Zahlen zu den häufigsten Augenerkrankungen: Initiative „Woche des Sehens“ https://www.woche-des-sehens.de/infothek/zahlen-und-fakten/augenkrankheiten-zahlen-fuer-deutschland/
Der Artikel ist in der Ausgabe 02/2019 zu finden.