von Manfred Godek

Mit den strikten Hygienemaßnahmen während der Corona-Pandemie ging auch die Zahl anderer Infektionen deutlich zurück.
Warum nicht einen Teil davon aufrechterhalten?

Viren und Bakterien sind eine allgegenwärtige Bedrohung. Das Robert-Koch-Institut (RKI) warnt regelmäßig vor dem epidemiologischen Risiko, dem insbesondere Heimbewohner ausgesetzt sind. Deren fortgeschrittenes Alter mache sie vor allem für Atemwegsinfektionen und Infektionen des Magen-Darm-Traktes anfällig. In Kliniken sowie in Alten- und Pflegeeinrichtungen erfolgten laut Statistik über 70 % der Ausbrüche von Noroviren.[1] Entsprechend hoch ist die Morbidität und Letalitätsrate. Nun rückt ausgerechnet die alles dominierende Pandemie auch das „normale“ Infektionsgeschehen ins Blickfeld. Die in den letzten eineinhalb Jahren ergriffenen Hygienemaßnahmen haben zu einem dramatischen Rückgang auch dieser Erkrankungen geführt. Die Zahl der meldepflichtigen Noroviren-Infektionen ging im in ersten Halbjahr 2021 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 85 % zurück, Salmonellosen um 30 % und die Influenza fand mit 35 gegenüber 23.924 Meldungen im Jahr 2020 praktisch nicht statt.[2]

Die genannten Erkrankungen werden durch Tröpfen- oder Schmierinfektionen oder auf beiden Wegen verbreitet. Wirksame Vorbeugemaßnahmen sind – neben Abstandhalten bei Atemwegsinfekten – vor allem die Hand- und Flächendesinfektion.

„Viele Menschen haben unter dem Eindruck der Pandemie zu einem bewussteren Hygieneverhalten gefunden. Situative Abstandswahrung oder häufigeres Händewaschen wird von ihnen nicht mehr als lästig empfunden, sondern ist sozusagen zu einer Art New Normal geworden“, so Professor Martin Exner, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene und langjähriger Direktor des Bonner Instituts für Hygiene und öffentliche Gesundheit am Universitätsklinikum Bonn. Bedauerlicherweise habe es erst einer Pandemie als Anstoß bedurft. Nach SARS, Vogel- und Schweinegrippe hätten die Wissenschaft und die Fachgesellschaften das Thema bereits zu Beginn des Jahrtausends auf die Tagesordnung gebracht. Von dort sei es im Laufe der Zeit mangels Katastrophen und öffentlicher Wahrnehmung allerdings wieder verschwunden.[3] Zu Unrecht, wie die RKI-Statistik zeigt: In Jahren mit schweren Influenzawellen steigt die Übersterblichkeit in Deutschland um bis zu 25.000 Fälle an. Laut Berechnungen aus dem Jahr 2015 sind 90 % der Todesfälle über 60 Jahre alt.[4]

New Normal?

Frau wäscht sich die Hände gründlich im Waschbecken - Foto: Anna Shvets – Pexels

Foto: Anna Shvets – Pexels

Die sich aufdrängende Frage ist nun, ob und wie das „New Normal“ und seine positiven Effekte in die Nach-Corona-Zeit gerettet werden kann. Dies ist zum einen eine Aufgabe der Kommunikation. Zum anderen sind die Heimleitungen gefordert, ihre Hygienekonzepte und -organisationen entsprechend auszurichten. Dies ohne oder mit Corona. Nach aktuellen Erkenntnissen werden uns SARS-CoV-Varianten noch eine ganze Zeit begleiten.

Während bei SARS-CoV-19 die Gefahr einer Schmier- oder Kontaktflächen-Infektion nach gegenwärtigem Stand als eher gering eingeschätzt wird, ist die Situation bei den „gängigen“ Infektionen einen ganz andere. „Es ist evident, dass die infektiöse Dosis für die meisten Krankheitserreger, z. B. Campylobacter (red.: bakterielle Erreger von Darminfektionen), Norovirus und Rhinovirus (red.: virale Auslöser von Infektionen der oberen Atemwege) sehr gering ist (1-500 Partikel). Deshalb sollte bei Vorliegen eines signifikanten Risikos eine hygienische Reinigung durchgeführt werden, um den größtmöglichen Teil der Krankheitserreger von kritischen Oberflächen zu entfernen bzw. abzutöten“, so das RKI.[5]

„Wir nehmen sehr intensiv wahr, wie effektiv die Ausbreitung von Magen- und Darminfektionen oder Grippeviren eingegrenzt werden kann. Das sind relativ einfache Maßnahmen mit großer Wirkung. Das ist allen noch einmal sehr, sehr deutlich bewusst geworden. Um unsere Mitarbeitenden zu stärken, um Stress, der in einer Pandemie, wie wir sie erlebt haben, zwangsläufig entsteht, abzubauen, bieten wir auch Resilienztrainings an. Das hat sich bewährt und wir werden das beibehalten.“
– Regina Doerr, Pressesprecherin, Johanniter GmbH[6]

Laut einer vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) zitierten Untersuchung einer amerikanischen Arbeitsgruppe kann aber auch das neuartige Virus SARS-CoV-2 nach starker Kontamination bis zu 4 Stunden auf Kupferoberflächen, bis zu 24 Stunden auf Karton und bis zu zwei bis drei Tagen auf Edelstahl und Plastik infektiös bleiben. „In einem Reinigungsschema ist die Flächendesinfektion elementar und ihre Skalierung nach Viren- oder Bakterienarten gar nicht möglich“, so Marc-A. Eickholz, Geschäftsleiter der Niederberger Gruppe, eines u. a. auf Facility Services für Kliniken und Heime spezialisierten Dienstleisters.[7] Die hohe Medikationsdichte in Heimen begünstige zudem Viren- und Bakterienmutationen sowie Antibiotikaresistenzen. Desinfektion sei ein zusätzliches Schutzschild.

Masseninfektionen vorbeugen

Gleiches gelte für Klima- und Lüftungsanlagen, die Viren und Bakterien verschiedenster Art in einem Gebäude verbreiten könnten. Dies nicht nur bei einem Umluftbetrieb, sondern auch bei getrennter Zu- und Abluftführung, wenn eine Undichtigkeit besteht. Eickholz: „Die regelmäßige und vorschriftsmäßige Wartung der raumlufttechnischen Anlagen ist essenziell für den Gesundheitsschutz. Im ungünstigsten Fall reicht ein Infizierter, um eine Masseninfektion auszulösen.“ Bei einem aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen unvermeidbaren Umluftbetrieb müssten Hochleistungsfilter oder andere Maßnahmen zur Abscheidung oder Inaktivierung von Viren angewendet werden. Hygienemaßnahmen dienen nicht nur der Vermeidung von Akuterkrankungen. Martin Exner: „Bestimmte Erreger können an der Entwicklung chronischer Erkrankungen und von Allergien beteiligt sein, beispielsweise Salmonellen-Infektionen an einer Arthritis oder Helicobacter an Gastritis.“

Laut Eickholz entwickeln Wirtschaftsunternehmen Strategien, wie sie ihre Mitarbeiter schützen, Krankenstände reduzieren und zugleich in der Öffentlichkeit Punkte sammeln können. Hygienestandards prägten zunehmend den Ruf als Arbeitgeber oder Geschäftspartner. Im Shoppingcenter seien Reinigungskräfte den ganzen Tag vor den Augen des Publikums damit beschäftigt, Türklinken und Rolltreppengeländer zu desinfizieren – um der Kundschaft ein gutes Gefühl zu geben. Welch positive Auswirkungen hätte das erst für Heime, deren klassischer Imageschwachpunkt das Thema Hygiene ist.

Hygienequalität sei aber nicht nur eine Frage der operativen Umsetzung, so Exner. „Wissen und Verhalten muss zu einem festen Bestandteil eines ganzheitlichen und wesentlich präventiven Lebensstils werden.“ Ansonsten wäre sie weiterhin vom Zufall einer Pandemie abhängig.

Quellen:

[1] https://edoc.rki.de/bitstream/handle/176904/6847/24_2020_DOI_Noro.pdf;sequence=1
[2] RKI, Epidemiologisches Bulletin 26/2021
[3] Mündliches Interview
[4] https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2015/Ausgaben/03_15.pdf?__blob=publicationFile
[5] Bundesgesundheitsblatt/Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 11-2008
[6] Schriftliches Interview
[7] Mündliches Interview

Der Artikel ist in der Ausgabe 02/2021 zu finden.

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