Ein Gebot der Wertschätzung und der Vernunft

von Dr. Sibylle Leitzbach

Immer mehr Menschen möchten heutzutage ihren Lebensabend möglichst lange in ihrer häuslichen Umgebung verbringen. Die Senioren, die in stationären Einrichtungen kommen, werden deshalb immer älter. Ihr durchschnittlicher Pflegebedarf ist höher als es früher der Fall war. Das stellt Senioren- und stationäre Pflegeeinrichtungen vor große Herausforderungen.
Zentrale Aufgaben sind die Verbesserung der Barrierefreiheit für die Bewohner und der Einsatz geeigneter Methoden und Hilfsmittel in der Pflege. Viele Maßnahmen beziehen sich dabei auf die Hindernisse bei Einschränkungen der Mobilität. Die Barrieren, die die mit dem Alter rapide ansteigenden Sinnesbehinderungen mit sich bringen, werden hingegen gerne unterschätzt. Dabei geht es bei diesen Barrieren nicht nur darum, den Bewohnern eine soziale Teilhabe und damit ihre Lebensqualität zu erhalten. Auch Effizienz und Qualität der Pflege leiden, wenn die Kommunikation zwischen Pflegekräften und Bewohnern mühsam und fehlerbehaftet ist und die Patienten deshalb ihre eigenen Beiträge nicht erbringen können oder sogar verweigern.

Jeder zweite Bewohner ist gravierend hörbeeinträchtigt

Die Statistik zeigt, dass jeder zweiter Heimbewohner von einer gravierenden Hörschädigung betroffen ist, die der Versorgung mit Hilfsmitteln wie zum Beispiel Hörsysteme bedarf. Der Umgang mit solchen Hilfsmitteln gehört immer noch nicht zum prüfungsrelevanten Wissen der Alten- und Krankenpflege. Pflegekräfte sind deshalb oftmals unsicher, wenn es darum geht, Hörgeräte so einzusetzen, dass sie nicht pfeifen, sie richtig zu säubern oder zur rechten Zeit die Batterien zu wechseln. Unleidlichkeit der Betroffenen oder sogar eine unterschwellige Ablehnung der Hilfsmittel führen dann schnell dazu, dass die Geräte in der Schublade verschwinden und die Verständigung auf das Minimum des unverbindlichen Lächelns reduziert wird.

Tipps für den Umgang mit Bewohnern mit Hörbeeinträchtigungen

Dabei sollten Pfleger und Pflegeeinrichtungen schon im wohlverstandenen eigenen Interesse auf eine gute Kommunikation mit ihre Klienten achten. Denn eine Pflege ist zeitaufwendig, mit Fehlern behaftet und oft unvollständig, wenn Anweisungen aufgrund einer Hörschädigung nicht verstanden werden und die Übernahme von notwendigen oder ergänzenden eigenen Handlungen unterbleibt. Hierfür bedarf es neben der Anwendung und richtigen Handhabung der technischen Hilfsmittel auch einiger einfacher Regeln im Gespräch.

Eine Grundregel lautet: „Langsam und deutlich sprechen“. Weiterhin sollte man in Richtung des Patienten sprechen. Denn das Sprachbild ist in Sprechrichtung viel deutlicher und der betroffene Bewohner kann vom Mund des Sprechers absehen. Man spart also keine Zeit, wenn man bei der Verrichtung pflegerischer Tätigkeiten gleichzeitig und „nebenbei“ wichtige Anweisungen in Richtung Wand oder Zimmerecke spricht.

Störgeräusche sollten ausgeschaltet oder soweit wie möglich reduziert werden. Das heißt: Fenster schließen und nicht knistern oder klappern, während man miteinander spricht. Hallende Zimmer sind ein großes Hindernis für das Sprachverständnis Hörgeschädigter. Dagegen hilft kein lauteres Sprechen, sondern nur, sich nahe zum Patienten zu begeben. Dies wird der Betroffene durchaus positiv als Zuwendung verstehen. Auch hilft es, in einfachen und kurzen Sätzen zu sprechen und Fach- und Fremdwörter zu vermeiden.

Eine gelingende Kommunikation mit hörbeeinträchtigten Bewohnern erfordert also von den Pflegekräften und Bezugspersonen eine gewisse Struktur und Konzentration. Auch wenn die Pflegesätze eine Hör- oder Sinnesbeeinträchtigung bisher noch nicht in Minuten und Sekunden berücksichtigen, lohnt es sich trotzdem, das entsprechende Zeitkontingent einzuplanen. Die betroffenen Bewohner werden die dadurch ausgesprochene Wertschätzung durch eine aktive und positive Beteiligung honorieren.

Hörbeeinträchtigung, Teilhabe und Privatsphäre

Aber nicht nur in der eigentlichen Pflege können geeignete Vorkehrungen und Maßnahmen die Situation von hörgeschädigten Patienten verbessern. Da Senioren in Heimen meist wenig Gelegenheit haben, an Angeboten außerhalb des Pflegeheimes teilzunehmen, kommt für sie den hausinternen Veranstaltungen und dem Fernsehen oder Telefon eine hohe Bedeutung zu. Doch wie sollen Heimbewohner mit Schwerhörigkeit davon Gebrauch machen, wenn keine geeigneten Kopfhörer, keine speziellen Telefone und keine Hörunterstützung bei Vorträgen vorgehalten werden?

Auch bei den Therapie- und Freizeitangeboten stellen sich für den Personenkreis der Hörgeschädigten besondere Hindernisse. Die Teilnahme an der Gruppengymnastik fällt ihnen schwer, weil sie die Anweisungen im halligen Raum und aus größerer Entfernung nicht verstehen. Beim Vorlesen längerer Geschichten ist die Aufnahmefähigkeit von schwerhörigen Bewohnern schneller erschöpft, weil es für sie viel anstrengender ist, sich auf das Hören zu konzentrieren. Für all das gibt es geeignete Hilfsmittel, die in Senioreneinrichtungen zur „Hausausstattung“ gehören sollten.

Ein wichtiges Thema ist die Privatsphäre im eigenen Zimmer. Menschen mit Hörbeeinträchtigungen hören das Klopfen an der Tür nicht. Deshalb kann jederzeit ein Besucher „ungebeten“ in ihrem Zimmer stehen. Eine einfache „Lichtklingel“ ermöglicht es Besuchern, sich vor dem Betreten des Raumes wirksam bemerkbar zu machen. So können sich die Bewohner in ihrem persönlichen Bereich geborgen fühlen und ihn wirklich als privaten, geschützten Raum empfinden.

Hörbeeinträchtigung und Demenz

Besonders hart von Mängeln bei der Kommunikation sind hörgeschädigte Bewohner betroffen, wenn sie eine Demenz entwickeln. Sie erleben diesen allmählichen Kontrollverlust viel früher und bewusster, als das Umfeld das wahrhaben möchte. Haben sie gleichzeitig Probleme mit ihrem Gehör, werden sie von zwei „Lebenskatastrophen“ gleichzeitig eingeholt. Eine unversorgte Schwerhörigkeit aber vereitelt alle Versuche, den Folgen der Demenz durch angemessene Kommunikation und Zuwendung entgegenzusteuern. Deshalb ist es so wichtig, einer Hörschädigung im Alter durch rechtzeitige Versorgung entgegenzutreten.

Leicht kommt es auch zu Fehlinterpretationen bei der Diagnose. Denn Missverständnisse, Informationsdefizite, unpassende Reaktionen, Verlust des kurzfristigen Gedächtnisses, nachlassende Konzentration, Unleidlichkeit, Abwehr, aggressives Verhalten und Rückzug von der Welt sind typische Folgen nicht nur einer Demenz, sondern auch einer Hörschädigung. Schnell überwiegt dann der Aspekt der Demenz. Wird ein hörgeschädigter Patient aber voreilig als dement eingestuft, hat das elementare Folgen für den Betroffenen.

Eine gelingende Kommunikation mit Senioren mit Hörbeeinträchtigungen ist nicht nur ein Gebot ihrer Wertschätzung und Teilhabe am sozialen Leben, sondern hilft auch Missverständnisse, Fehlleistungen und Mehrzeiten zu verringern. Senioreneinrichtungen haben deshalb ein großes Interesse daran, mit den geeigneten Maßnahmen und Vorkehrungen die Voraussetzungen dafür zu schaffen.

 

 

Kurzinfo

Dr. Sibylle Leitzbach ist Beraterin bei der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung des Deutschen Schwerhörigenbundes in Essen. Eine Beratungsstelle in Ihrer Nähe finden Sie unter www.schwerhoerigen-netz.de/beratung.

Der Artikel ist in der Ausgabe 01/2019 zu finden.

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