von Volker Lenk (DBSV)
Um auf die Bedürfnisse sehbehinderter Menschen aufmerksam zu machen, hat der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) im Jahr 1998 einen eigenen Aktionstag eingeführt: den Sehbehindertentag. Er findet jährlich um den 6. Juni herum zu einem bestimmten Thema statt. Dieses Jahr heißt es „Sehbehinderung und Pflege“, der Aktionszeitraum ist 1. bis 11. Juni 2023.
In deutschen Senioreneinrichtungen hat rund die Hälfte der Bewohnerinnen und Bewohner Sehprobleme und oft wird eine Sehbehinderung nicht als solche erkannt. Das zeigt die Studie OVIS (Ophthalmologische Versorgungsforschung in Seniorenheimen) der Stiftung der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft. Einer der Gründe: In der Aus- und Weiterbildung von Pflegefachkräften spielt das Thema „Sehen“ bisher nur eine untergeordnete Rolle.
Um diese Lücke zu schließen, bietet der DBSV gemeinsam mit seinen Mitgliedsorganisationen aus Anlass des Sehbehindertentages 2023 spezielle Veranstaltungen für Pflegefachkräfte an. Die Schulungen werden in analoger und digitaler Form angeboten und sensibilisieren für das Thema „Sehbehinderung“. Die Basisschulung dauert zwei Stunden und kann auf Wunsch durch zusätzliche Inhalte ergänzt werden.
Kooperationspartner sind die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) und der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa). Der Sehbehindertentag 2023 wird von der Johann Auer-Stiftung unterstützt.
Der folgende Text bietet einen Einblick in die Schulungsinhalte:
Zum Umgang mit sehbehinderten und blinden Seniorinnen und Senioren
Wenn Sie bisher nicht mit sehbehinderten und blinden Menschen zu tun hatten, sind Sie vielleicht verunsichert. Verschiedene Augenkrankheiten wirken sich unterschiedlich aus, die „Tagesform“ kommt hinzu, und es gibt tatsächlich einige „Verhaltensbesonderheiten“, die auf den ersten Blick irritierend sein können. Möglicherweise erkennen Betroffene bekannte Personen im Flur nicht mehr, stolpern öfter, stoßen sich, gehen ins falsche Zimmer, finden Dinge nicht wieder oder wirken anderweitig desorientiert. Das lässt vielleicht eher an demenzielle Veränderungen denken als an Sehverlust. Manche Symptome können tatsächlich sehr ähnlich sein.
Die folgenden Tipps sollen Fachkräften in der Pflege helfen, den Umgang mit sehbehinderten und blinden Menschen positiv zu gestalten:
Ganz allgemein
- Alle bekannten Verhaltensregeln gelten auch hier, insbesondere die Wahrung der Privatsphäre.
- Ist eine zu pflegende Person sehbehindert oder blind, sollten alle, die mit ihr zu tun haben, darüber informiert sein.
- Vorhandene Sehhilfen (Brillen) und Hilfsmittel sollten immer funktionsfähig sein und benutzt werden.
- Klären Sie mit der sehbehinderten Person, wofür welche Art von Unterstützung nötig ist und wie diese erfolgen soll. Informieren Sie Ihr Team darüber.
- Schließen Sie sehbehinderte und blinde Personen nicht wegen ihrer Behinderung von Aktivitäten aus, klären Sie besser den Hilfebedarf.
- Trauen Sie sehbehinderten Menschen etwas zu.
Kommunikation
- Setzen Sie stärker auf verbale statt auf nonverbale Kommunikation. Vergewissern Sie sich, ob Sie gehört und verstanden werden.
- Lassen Sie sich nicht von fehlender bzw. „ungewöhnlicher“ Mimik irritieren.
- Wenden Sie sich immer direkt an die zu pflegende Person. Sprechen Sie sie mit ihrem Namen an und stellen Sie sich bei jedem Kontakt mindestens mit Ihrem Namen vor.
- Kündigen Sie an, was Sie vorhaben (z. B. Berührungen, pflegerische Maßnahmen), damit sie/er sich darauf einstellen kann.
- Beschreiben Sie alles, was Sie tun. Teilen Sie auch mit, wenn Sie den Raum wieder verlassen wollen, damit Ihr Gegenüber nicht ins Leere spricht.
Orientierung
- Machen Sie mehrfach gemeinsam Rundgänge durchs Zimmer bzw. die Etage.
- Beschreiben Sie so genau wie möglich, was sich wo befindet (z. B. „rechts neben der Tür“ statt „da hinten“).
- Lassen Sie nichts im Weg stehen.
- Türen sollten immer ganz offen oder ganz geschlossen sein.
- Fragen Sie, was zur besseren Orientierung beitragen kann (z. B. das Abtasten der wichtigsten Gegenstände, ein farbiges Platzset unter dem Glas oder farbige Handtücher im Bad, Markierungen für Schalterstellungen).
- Lassen Sie die betreffende Person selbst entscheiden, wo persönliche Dinge ihren Platz haben und verändern Sie daran nichts, ohne sie/ihn darüber zu informieren.
Sehende Begleitung
- Ist Begleitung und Unterstützung nötig und gewünscht, bieten Sie einen Arm zum Führen an. Ist dies z. B. Ihr rechter Arm, greift die zu führende Person mit ihrer linken Hand Ihren Arm etwa in Ellenbogenhöhe. So entsteht automatisch der richtige Abstand zwischen Ihnen. Sie gehen voran, die/der Betroffene folgt Ihnen.
- Nennen Sie das Ziel des Weges und beschreiben Sie den Wegverlauf.
- Kündigen Sie Richtungsänderungen, Treppen und Absätze an, auch, ob eine Treppe auf- oder abwärts führt. Bleiben Sie vor einer Treppe kurz stehen.
- Lassen Sie die sehbehinderte Person nicht mitten im Raum stehen, sondern führen Sie sie zu einem Tisch, Stuhl oder Handlauf, wo sie sich festhalten kann.
- Vergewissern Sie sich, ob die sehbehinderte Person selbst zurückfindet. Holen Sie sie/ihn ggf. wieder ab oder organisieren Sie Unterstützung.
Mahlzeiten und Medikamente
- Sagen Sie, was Sie bringen und wo Sie es hinstellen bzw. was wo steht.
- Nutzen Sie für Erklärungen die „Zifferblattmethode“ (z. B.: Die Kartoffeln liegen auf 3 Uhr, das Fleisch auf 9 …)
- Schenken Sie bitte das Glas oder die Tasse nicht zu voll ein.
- Schaffen Sie Kontraste (z. B. weißes Geschirr auf dunkelblauem Platzset).
- Im Speiseraum sind feste Plätze und Speisepläne in Großdruck bzw. als gesprochene Information hilfreich.
- Sagen Sie, welche Medikamente sie/er für welche Indikation bekommt, wo Sie sie hinstellen und wie sie einzunehmen sind. So können Fehler vermieden werden.
Pflegeeinrichtungen, die an einer Fortbildung zum Thema „Sehbehinderung“ interessiert sind, finden alle weiteren Informationen unter: https://www.sehbehindertentag.de
Der Artikel ist in der Ausgabe 01/2023 zu finden.