von Sarah Marie Jung und Karolin Schäfer (Universität zu Köln, Lehrstuhl Audiopädagogik)

Die Fähigkeit zu hören stellt eine wesentliche Grundlage zur Teilnahme und Teilhabe am alltäglichen Leben dar: Mit der Umwelt in Kontakt treten, kommunizieren, sich sicher orientieren können und (lebens-)wichtige Signale wahrnehmen, gehören unter anderem zu den grundlegenden Funktionen des Hörens [1]. Eine Beeinträchtigung der Hörfähigkeit kann sich in unterschiedlichem Maße auf die verschiedenen Funktionsbereiche auswirken und somit das Leben erheblich erschweren. Um auf die besonderen Umstände sowie die spezifischen Bedürfnisse von Senior*innen mit einer Hörbeeinträchtigung aufmerksam zu machen, wurde das Präventionsprogramm „Hören und Kommunikation in Pflegeeinrichtungen“ entwickelt.

Hörbeeinträchtigung im Alter

Im Alter tritt eine Hörbeeinträchtigung statistisch gehäuft auf – so sind in Deutschland mehr als 60 % der über 60-jährigen Menschen von einer Schwerhörigkeit betroffen. Tatsächlich mit Hörhilfen versorgt sind jedoch bloß 15 % der Betroffenen [2]. Mit zunehmendem Alter steigt die Prävalenzrate auf etwa 70 % an und geht mit einer stark erschwerten Kommunikationssituation einher [3, 4]. Infolge der demografischen Entwicklung nimmt die Anzahl an Personen mit Hörbeeinträchtigung zusätzlich zu. Bei über 70-Jährigen bilden Beeinträchtigungen des Hörens den weltweit häufigsten Grund für Lebensjahre, die von einer Behinderung geprägt sind [4].

Hörbeeinträchtigung und Demenz

Zunehmend wird ein Hörverlust als Risikofaktor für eine demenzielle Erkrankung angeführt [5, 6, 7]. Aufgrund der verringerten akustischen Wahrnehmungsmöglichkeit kann die Aktivierung und Stimulation kognitiver Funktionen herabgesetzt werden bzw. vollständig fehlen. Zudem erfordert die Kompensation der Hörbeeinträchtigung im Prozess des Sprachverstehens ein hohes Maß an kognitiver Beanspruchung. Daraus resultieren Abbauprozesse des Gehirns, da die Merkfähigkeit und das Hörgedächtnis abnehmen [8].

Hörbeeinträchtigung und ihre Auswirkungen im Pflegealltag erkennen

Eine Beeinträchtigung des Hörens wird aufgrund ihres langsamen Voranschreitens zumeist über einen langen Zeitraum nicht bemerkt, von Betroffenen unterschätzt oder gänzlich geleugnet [9]. Die Auswirkungen werden in verschiedenen Bereichen deutlich und sollten im Pflegealltag in den Blick genommen werden:

  • Psychosoziale Auswirkungen: Sozialer Rückzug, Frustration, Isolation, Meidung von Gesprächssituationen, Unwohlsein in (großen) Gruppen, zunehmendes Misstrauen
  • Kommunikative Auswirkungen: Keine oder verzögerte Reaktion auf Ansprache, häufiges Nachfragen, Zunahme von Verständnisproblemen und Missverständnissen, nicht adäquates Antworten, lautes oder undeutliches Sprechen, starrer Blickkontakt
  • Kognitive Auswirkungen: Sinkende Konzentrationsfähigkeit, vermeintlich beginnende demenzielle Symptomatik, Abnahme kognitiver Fähigkeiten, mangelndes Problembewusstsein
  • Motorische Auswirkungen: Einschränkung der Mobilität, reduzierter Bewegungsradius, erhöhtes Sturzrisiko, Gleichgewichtsprobleme

Einige Symptome können ebenso im Zusammenhang mit einer Demenz auftreten, wodurch die Gefahr der Fehlinterpretation besteht. Entstehende Probleme in den unterschiedlichen Bereichen werden häufig nicht auf eine Einschränkung des Hörens zurückgeführt. Eine differenzierte Diagnostik und Pflegedokumentation sowie -evaluation sind daher für die Pflegeplanung von hoher Relevanz [10].

Das Präventionsprogramm „Hören und Kommunikation in Pflegeeinrichtungen“

Das Präventionsprogramm wird bayernweit zur Begleitung von stationären Pflegeeinrichtungen von einem multidisziplinären Team durch das Blindeninstitut Würzburg angeboten. Es umfasst verschiedene Handlungsfelder, die Wege der Prävention und Intervention aufzeigen.

Das Programm beinhaltet Inhouse-Schulungen für Mitarbeitende, eine Begehung zur hör- und kommunikationsspezifischen Barrierefreiheit sowie Informationsveranstaltungen für Senior*innen, Angehörige und Interessierte. Darüber hinaus werden niedrigschwellige Hörüberprüfungen für Senior*innen angeboten und interessierte Mitarbeitende zu Hörbeauftragten weitergebildet, um auch im Nachgang des Programms als Multiplikator*innen für die Themen Hören und Kommunikation zu fungieren. Das Präventionsprogramm wird zudem durch Mitarbeitende der Universität zu Köln, Lehrstuhl Audiopädagogik, wissenschaftlich begleitet und evaluiert.

Pflegeeinrichtungen können an dem Programm kostenfrei teilnehmen. Im Rahmen der Prävention in stationären Pflegeeinrichtungen nach § 5 SGB XI wird die Maßnahme von der Pflegekasse bei der AOK Bayern, den Betriebskrankenkassen in Bayern, der IKK classic, der KNAPPSCHAFT und der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau – SVLFG gefördert. Die wissenschaftliche Begleitstudie wird durch das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege unterstützt.

Weiterführende Informationen für interessierte Pflegeeinrichtungen sowie das Anmeldeformular zur Teilnahme am Präventionsprogramm sind unter www.blindeninstitut.de/hoeren-und-kommunikation verfügbar.

Literatur

  1. Richtberg, Werner (1990): Was schwerhörig sein bedeutet. Schriftenreihe für HNO-Ärzte. KIND Hörgeräte: Großburgwedel.
  2. Hesse, G. & Laubert, A. (2005): Hörminderung im Alter – Ausprägung und Lokalisation. In: Deutsches Ärzteblatt 102(42), S. 2864-2868.
  3. Ackermann, A., Süß, B., & Oswald, W. D. (2006): Hörbeeinträchtigungen bei Bewohnern von Einrichtungen der stationären Altenhilfe. In H. von Specht (Ed.), Hören im Alter. S. 117-140. Geers-Stiftung.
  4. WHO – World Health Organization (2021): World report on hearing, Geneva.
  5. GBD 2019 Hearing Loss Collaborators (2021): Hearing loss prevalence and years lived with disability, 1990-2019: findings from the Global Burden of Disease Study 2019. In: The Lancet, 397(10278), S. 996-1009.
  6. Livingston, G. et al. (2020): Dementia prevention, intervention, and care: 2020 report of the Lancet Commission. In: The Lancet, 396(10248), S. 413–446.
  7. Hesse, G., Eichhorn, S. & Laubert, A. (2014): Hörfähigkeit und Schwerhörigkeit alter Menschen. In: HNO, 62(9), S. 630-639.
  8. Wingfield, A. & Peelle, J. E. (2012): How does hearing loss affect the brain. In: Aging health, 8(2), S. 107-109.
  9. Moser, S. et al. (2017): Wahrnehmung von Hörproblemen bei älteren Menschen. https://link.springer.com/article/10.1007/s00106-017-0334-z (abgerufen am 28.12.2021)
  10. Decker-Maruska, M. (2021): Der schwerhörige ältere Patient – (k)eine Dauerbaustelle im Pflegealltag?! In: Geriatrie Up2date, 3(01), S. 63-75.

Der Artikel ist in der Ausgabe 01/2022 zu finden.

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